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Szenenfoto aus "Apokalypse Miau"

Wenn sich das Theater selbst hinreißend witzig auf die Schaufel nimmt…

Wenn das Theater sich selbst feiert und gleichzeitig in Frage stellt – und das zwar durchaus tiefgehend aber voll durchzogen von (Selbst-)Ironie und Witz – dann ist „Apokalypse Miau“ ein Paradebeispiel. Sowohl vom Stück selbst her (Kristof Magnusson; Mitarbeit: Gunnar Klack) als auch nicht zuletzt in der Umsetzung am Wiener Volkstheater (Regie: Kay Voges, vor allem aber das extrem spielfreudige Ensemble).
Der Lohn dafür: Auch mehr als ein Monat nach der Premiere: Vollbesetze Publikumsränge.

Keine zwei Wochen nach der Verleihung der heimischen Theaterpreise „Nestroy“ begann auf der Bühne des Theaters am Arthur-Schnitzler-Platz die knapp dreistündige und dennoch kurzweilige Show, die sich um die Verleihung der „Destroy“-Awards dreht. Was sich nicht nur durch einen Buchstaben vom berühmten Theaterdichter unterscheidet, sondern im Englischen für „zerstören“ steht, war übrigens schon vor fast einem halben Jahrhundert das Motto einer berühmt gewordenen T-Shirt-Kollektion, der am Ende des Vorjahres verstorbenen Punk-Mode-Aktivistin Vivienne Westwood.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Apokalypse Miau“

(Theater-)Typen

Der Theaterpreis – moderiert von Bonnie van Klompp, hinreißend gespielt von Evi Kehrstephan in Persiflage einer bekannten TV-Moderatorin mit niederländischem Akzent – bringt unterschiedlichste Typen aus der Theaterlandschaft in die Rolle von Nominierten, die der Reihe nach Einzelauftritte im Back-Stage-Bereich haben, der zum Zentrum des Bühnengeschehens wird.

Wir erleben den Regisseur Wenjamin Olinde (Andreas Beck), der Klassiker gesellschaftskritisch in die Gegenwart transformiert und vor Jahrzehnten „einen unglaublichen Faust in Saaaankt Pöööölteeen“ inszeniert hat. Damals mit dabei Regisseurin Meta Gleiberg (Anke Zillich), die noch viel tiefgreifender gesellschaftspolitisch und -relevant arbeitet – Gender, Klasse und Antirassismus sind ihr besonders wichtig. Außerdem stellte sie immer konkrete Menschen ins Zentrum und versucht ihre Ideale auch (künstlerisch) zu leben: Kollektives Arbeiten ist ihr wichtig. Und, sollte sie den Preis – übrigens eine Art asiatische Winke-Katze mit allerdings überdimensional muskulösem Arm – würde sie ihn definitiv ihrer Putzkraft Slavica widmen, denn erst durch deren Arbeit erhalte sie die für ihre künstlerische Arbeit nötige freigeschaufelte Zeit.

Gegenstück zu den beiden ist der reaktionäre, frauenfeindliche Uralt-Schauspieler Konrad Fidelius (Uwe Rohbeck), Verfechter „werkgetreuer Inszenierungen“.

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Szenenfoto aus „Apokalypse Miau“

Egozentrik

Verhaltensauffällig sind sie alle, egozentrisch nicht weniger. Doch auf die Spitze treibt diese Eigenschaften wohl die Figur des Erasmus Selbach-Stein, Schauspieler (Elias Eilinghoff). Der Jungstar legt Wert auf größtmögliche Authentizität bei der Interpretation von Rollen, deshalb spielt er am liebsten und besten sich selbst in seiner Exzentrik.

Schließlich ist noch der Choreograf vor allem von Tanztheaterstücken zu aktuellen (gesellschafts-)politischen Themen, Fritjof Blavatsky (Mario Fuchs) nominiert, der stets mit einem Schuss Esoterik auf der Bildfläche erscheint, stark auf Rituale setzt, von Community redet und … – aber dazu später.

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Szenenfoto aus „Apokalypse Miau“

Stars und Sternchen

Zu den Nominierten gesellen sich noch zwei berühmte Preisüberbringer:innen. Da ist zum einen DER auf Social Media gehypte Star, die Schauspielerin, Sängerin, geschäftstüchtige Unternehmerin Celeste Engel (Bettina Lieder). Obwohl sie über den Atlantik anreisen muss, ist sie deutlich pünktlicher als der Autor Christian Gustafsson (Christoph Schüchner), der erste durch einen Anruf der Moderatorin mobilisiert wird, sich endlich auf den Weg zur Gala zu machen.

Nicht vergessen werden soll auf Irem Gökçen und Magdalena Simme, die zum Einen als Zwillinge Lizzi und Minni die Moderatorin auf der Showbühne begleiten, sozusagen als Liza Minelli in doppelter, oder gespaltener Person. Zum Anderen tauchen sie als tapsige Teletubbies-Parodien Shi-Shi und La-Va in den (un-)möglichsten Situationen auf.

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Szenenfoto aus „Apokalypse Miau“

Wenn die Fassaden zerbröseln

Ach ja, Weltuntergang – darauf läuft alles hinaus. Das gibt ja schon der Untertitel der Komödie vor. Aufgelöst taucht die Moderatorin im Backstag-Bereich auf, die Übertragung der Gala im TV muss gekürzt werden, Vulkanausbrüche, Schwarze Löcher sind in den verschiedensten Ecken der Wel schon aufgetaucht. Der Einschlag eines Asteroiden namens Kassandra mit urlangem Zusatz hat sich nahe dem Theater angekündigt. Die Theatergrößen nehmen das erst gar nicht ernst. So oft sei Weltuntergang schon prophezeit worden etc. Davon lassen sie sich auch durch die ersten von der Decke fallenden Trümmer nicht beeindrucken.

Doch nach der Pause – die Bühne ist mit Trümmern, Asche übersät – hat sich der Einschlag als Realität herausgestellt. In Trümmer fallen auch die von den Künstler:innen errichten Fassaden ihrer Selbst. Da wird der kritische Regisseur zum Harvey Weinstein, der Reaktionär zum Retter der Fast-Vergewaltigten und gleichzeitig zu einem Mörder. Schüsse und Tote fallen mehrere. Der Lack ist ab. Sozusagen. Und wie können sich die Überlebenden retten? Und so tragisch einer-, so machen Inszenierung und Spiel andererseits auch das zu einem Feuerwerk an humorvoller (Selbst-)Verarschung. Und damit doch wieder ein Loblied darauf, was Theater kann.

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Vor mehr als 90 und ungefähr 190 Jahren

Übrigens feiert das Stück des isländisch-deutschen Schriftstellers und Übersetzers in Wien die Welturaufführung. Da wurden Weltuntergänge schon vor fast 100 und 200 Jahren bespielt und besungen.

1936 wurde Jura Soyfers Stück „Der Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein‘ Fall mehr lang“ uraufgeführt. „Er hat sich gedacht, ein Zusammenprall ist eh überflüssig: Die Menschen rotten einander sowieso über kurz oder lang aus!“, ließ der junge hochbegabte, zeitkritische im KZ Buchenwald ums Leben gekommene Autor in dem Stück den Saturn sagen. Als Entschuldigung dafür, dass Komet Konrad den Auftrag der Sonne nicht ausführte, mit der Erde zusammenzustoßen. Das Zentralgestirn unseres Sonnensystems hatte die Planeten zusammengerufen, weil die „Sphärenharmonie“ gestört war. Als Schuldigen machten sie die Erde aus, bestellten den Mond als Auskunftgeber ein, der das Geheimnis des Problems lüftete: Die Erde habe Menschen.

Und da verwendete Soyfer schon im Untertitel eine Anspielung auf das „Kometenlied“ in Johann Nestroys „Der böse Geist Lumpazivagabundus“ (Uraufführung: 1833).

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Szenenfoto aus „Apokalypse Miau“

Falsches Zitat

Und sehr oft wird folgendes (angebliches) Zitat, das meist Karl Kraus, aber auch anderen zugeschrieben wird in Gesprächen, Diskussionen, mitunter aber auch in Theaterstücken und Filmen eingestreut: „Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Wien. Dort passiert alles zehn Jahre später.“ Meist wird es Karl Kraus zugeschrieben, manchmal auch Gustav Mahler und vielen anderen.

Es dürfte auf eine Variation eines am 12. Dezember 1837 in „Neue Zeitschrift für Musik“ (Mainz) abgedruckten Berliner Witzes zurückgehen: „Was wirst du machen, wenn die Welt untergeht?“ – „Da gehe ich nach Königsberg, da kommt Alles 50 Jahre später!“

Noch ein Schmankerl gefällig? Es existiert eine Website weltuntergang.at – mit Impressum eines Tom Ehrlich aus Berlin. Inhalt: Ein einziger Satz: Der Weltuntergang hat schon längst begonnen – mit drei Rufzeichen und einem Button: „Hier isser“.

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Szenenfoto aus „Apokalypse Miau“