Aufbruch in eine Stadt befreiter Menschen (Mahagony) ist das Leitmotiv des Stücks „Rom*nja City“ des Theaterkollektivs Rom*nja Power (Berlin) – zusammen mit dem Wiener Theaterverein Romanosvato und dem Rroma Aether Klub Theater Berlin, das nun in Wien im Rahmen des dritten „E Bistarde/ vergiss mein nicht“-Roma-Kulturfestivals zu erleben war.
Das Ensemble nimmt das Publikum mit auf eine heftige Achterbahn der Gefühle. Zum einen ist der Weg ins utopische, herr-schaftsfreie Mahagony verheißungsvoll. Zum anderen wird eine wahre, erlebte schmerzhafte bis tödliche Geschichte aufgearbeitet. Die Szenen fließen – gespielt, getanzt mit Schrift- und Foto-Einblendungen – nicht-linear mitunter ineinander. Zu Tränen rührende Tragik wechselt mit humorvollen, parodistischen TV-Talk-Show-Elementen ebenso ab, wie widerständischer Kampf und selbstbewusst-befreites Auftreten.
Die wahre Geschichte von Rita, Rolanda und ihrer Mutter Theresia Winterstein, raubt den Atem, macht (fast) sprachlos. Theresia (1921 in Mannheim geboren), Tänzerin und Sängerin hatte als Sintiza die „Wahl“, in ein Konzentrationslager verfrachtet zu werden oder sich sterilisieren zu lassen. Sie war schon im dritten Monat schwanger. Im März 1943 wurden ihr die neugeborenen Zwillingsmädchen zwangsweise abgenommen und Menschenversuchen ausgesetzt (Uniklinik Würzburg, ähnlich den berüchtigten Mengele-Zwillings-Versuchen). Rolanda starb, Rita trug unter anderem Epilepsie und weitere Folgen aus den Experimenten davon. Erst ein Jahr später (April 1944) konnte die Mutter wenigstens die überlebende Tochter abholen.
Nach der Nazizeit und dem zweiten Weltkrieg wanderten Theresia und Rita zunächst in die USA aus, kehrten jedoch nach Deutschland zurück, um für die Aufarbeitung der – nicht nur an ihnen – erlittenen Verbrechen zu arbeiten und um Entschädigung zu kämpfen.
In diesem Geschichtenstrang des Stücks spielt Joschla Weiss die erwachse Rita Prigmore, Estera Sara Stan schlüpft in die Rolle Ritas als Kind. Cat Jugravu gibt die Tänzerin und Mutter, Nebojša Marković wird zu Rolanda – überlebend in den Erzählungen und Erinnerungen und taucht mit einem Kinderwagen auf, aus dem er eine Babypuppe hervorholt – gespenstisch der Moment, wenn er sich umdreht und das Totenkopfgesicht der Puppe zum Vorschein kommt. Als Symbol für die vielen ermordeten auch Kinder, errichten die Schauspieler:innen ein Geviert aus Schuhen, die sie aus zwei großen Kartons holen. Das Viereck wird zum Grab Rolandas. Der Moment zum Heulen.
Diese tragische, wahre Geschichte des Rassenwahns der Nazis, die an „Herrenmenschen“ bastelten, wird aber nicht linear niederschmetternd erzählt. Szenen von Rita, Rolanda und Theresia – immer wieder welche in denen getanzt wird, was ja ihre Profession war – wechseln sich ab mit jenen des Kampfes um Mahagony wie sie die Stadt befreiter Menschen nennen. Der Kampf um diese Befreiung umfasst eben auch die Erzählung der wahren tragischen Geschichte(n) nach dem Motto: Wir schreiben unsere Historie nun endlich selbst und lassen nicht die anderen, die uns jahrhundertelang diskriminiert, unterdrückt, verfolgt, ermordet haben bestimmen, was und wie über uns gesagt, geschrieben, verbreitet wird.
In dieser „neuen“ Stadt erleben wir mehrmals die „befreite“ TV-Talk-Show mit einer Moderatorin (Rea Andrea Kurmann), die doch fast wie eine Persiflage auf herkömmliche TV-Shows wirkt. Und eine utopische Stadt, zu der es aber nur Zutritt gibt, wenn die mit weißen Gesichtsmasken sich vor den Stadttoren Bewerbenden, zwei Zeug:innen mitbringen, die beweisen, dass die/der Neuankömmling auch wirklich reinrassig zu Rom:nja, Sinti:zze, Lovara usw. gehört. Eine ironische Kritik an – gescheiterten – Utopien?
Der Name eines Baumes für die Stadt befreiter Menschen wird mehrfach angesprochen, in einer Szene dargestellt: Bäume haben Wurzeln, die unterirdisch mit den Artgenoss:innen vernetzt sind, sie können Ketten sprengen, sind eins mit der umgebenden Natur und – wie viele indigene Völker hätten viele Rom*nja, Sinti*zze… noch diesen Bezug, dieses Bewusstsein, Teil des Universums zu sein.
Fast ständig präsent ist Roxie Thiele-Dogan als Kali, Göttin der Zerstörung des Bösen – oft vom Rande aus auf einer Couch das Geschehen beobachtend, dann wieder mittendrin, als Teil der Tanzperformance in der Gruppe, immer wieder auch mit dominierenden Solo-Auftritten.
Und: In gewisser Weise haben die Schauspieler:innen/Tänzer:innen – ebenso wie andere Gruppen und Künstler:innen des Festivals – das noch bis 9. November im Dschungel Wien läuft – einen Teil ihrer Utopie schon verwirklicht: Rom:nja, Sinti:zze, Lovara, Jenische… erzählen ihre eigenen Geschichten, spielen die von inhen selbst gewählten(Haupt-)Rollen und nicht höchstens ihnen zugewiesene oft Klischee-Figuren.
„Schaut euch die Menschen an, ohne Vorurteile, seht ihnen in die Augen und erkennt in jedem einzelnen, dass er ein Mensch ist, egal welche Hautfarbe er hat, ob er behindert ist, ob er fremd ist. Nur das Herz zählt, nur das Herz eines Menschen ist wichtig.“
Zitat aus einer Rede von Rita Prigmore auf der Homepage von Rom*nja Power Theater.
wuerzburgwiki -> Rita Prigmore
wikipedia -> Theresia Winterstein
Janina Sollmann kniet in einer Nische seitlich der Sitzreihen und schafft einer Pflanze durch Umtopfen mehr Platz. Gleichzeitig tanz ihr Kollege Lawrence Ritchie raumgreifend auf praktisch der gesamten Bühnenfläche von rund 45 Quadratmetern. „Platz da!“ heißt die jüngste, mittlerweile 30., Performance der „schallundrauch agency“. Frauenräume vs. Männerräume!?
Wobei letzteres nicht das explizite Thema war, sondern sich so ergeben hat, wie Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… im Gespräch nach der fast die Tribünen sprengenden übervoll besetzten Premiere erfuhr. „Aber es ist uns schon bewusst geworden, was das darstellt“.
Wie immer bei dieser Performance-Gruppe, die mit dem neuen Stück den 20. Geburtstag ihres Bestehens feiert, gehen die Beteiligten, nachdem sie sich auf ein Thema geeinigt haben, von sehr persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen aus. Diese bringen sie in den Prozess der Stückentwicklung ein, arbeiten damit und daran. Daraus entstehen Szenen, die das jeweilige Thema von vielen Seiten beleuchten, angehen, auseinandernehmen, Assoziationen in den Köpfen der Zuschauer:innen auslösen. Eine durchgängige Geschichte ist eher der Ausnahmefall.
Und hier geht’s um die Frage des Platzes, des Raumes. Wodurch ist er belegt, wie kann er – mehr – für Menschen, nicht zuletzt für Kinder – (zurück-)gewonnen werden? Ohne dies auch nur ansatzweise plakativ auszuspielen, sondern spielerisch anzudeuten, zu umkreisen, damit zu spielen. Und so engen die Performer:innen – zu den beiden genannten gesellt sich ein paar Minuten nach Beginn Caterina Vögel mit Leiter, Holzkiste auf Rädern und aufblasbarer Weltkugel hinzu – die 9 mal 5 Meter Spielfläche selber zunehmen ein. Kreuz und quer spannen sie bunte Schnüre, müssen drüber und drunter hindurch klettern, tanzen, turnen. (Bühne und künstlerische Mitarbeit: Michael Haller, Licht und künstlerische Mitarbeit: Silvia Auer).
Dabei erzählen sie von Situationen, wo’s in ihrer Kindheit oder hin und wieder auch später ganz schön eng geworden ist – bis hin zu einem letztlich doch glimpflich ausgegangenen Unfall. Und bauen eine zweite Ebene ein: Doch eine Geschichte – die Stadt ist bedroht von einem Bösewicht. Das war die Idee bei der Entwicklung von „Platz da!“. Als Janina Sollmann, die in diesem Fall auch Regie führte – und gemeinsam mit Gabriele Wappel, die dieses Mal künstlerisch coachte, die Gruppe gründete und leitet – zu Hause davon erzählte, schlug der achtjährige Sebi vor: „Es könnte ein Nebelmonster sein“, wie er KiJuKU nach dem Stück erzählte.
Und so wurde es – Theaterrauch aus der oben genannten fahrbaren Kiste. Gerettet könne die Stadt nur werden, wenn Wald, Wasser und Weltall zusammenhelfen. Und ein bisschen Energie aus dem Publikum erbitten sie. Der Satz „Wir brauchen keine Hilfe, nur ein bisschen Unterstützung!“ ist übrigens auch ein Produkt von Sebi Moser-Sollmann, der in den Credits auch als Junior-Berater angeführt ist, weil er obendrein noch einige der Musikstücke ausgewählt hat.
Und so reist das Trio in die genannten drei Gegenden, wo es auf ein Waldmonster, einen Libellenwal und einen Milchstraßenturm trifft. Stadt befreit – ein Podest mit einer Harfe fährt durch die Tür an der Bühnen-Rückwand, Caterina Vögel beginnt zu spielen, die dichtest eng sitzenden Zuschauer:innen können sich mehr Platz verschaffen und auf dem Boden rund um die Harfinistin platzieren 😉
sebis-kampf-gegen-corona -> damals noch im KiKu
Wunderschön anzuschauen, phasenweise aber sehr heftig, bedrohlich, sind nicht nur die Bewegungen der drei Tänzer:innen in „Ancestor’s Gift“ (Geschenk der Vorfahren). Das rund einstündige Stück (Konzept und Leitung: Ulduz Ahmadzadeh und Till Krappmann) das im Rahmen des Puls Festivals im Dschungel Wien kürzlich Premiere feierte und – im Gegensatz zu den anderen Produktionen – noch weiter zu erleben ist, ist ein Gesamtkunstwerk mit leider wieder besonders aktuellem Hintergrund.
Du kannst richtiggehend versinken in die perfekten, leichtfüßigen, immer wieder auch akrobatischen, fließenden Tänze von Desi Bonato, Naline Ferraz und Xianghui Zeng. Sie berühren, selbst wenn du den Hintergrund nicht kennst und auf den Text nicht achtest. Und sie rütteln dich durch, denn Naline Ferraz als Jugendliche, die ein unbeschwertes Leben zu führen scheint zwischen Apfel frisch vom Baum und gemütlich Bücher lesen wird nachts von Albträumen geplagt. Martialisch und furchterregend tanzen Desi Bonato und Xianghui Zeng als Altvordere, Vorfahr:innen – wenngleich nicht unbedingt die eigenen. Düsteres, existenzbedrohende Kämpfe, Krieg(e) tauchen als Assoziationen auf.
Und so ist es auch gedacht. Die schon genannte Co-Leiterin des Stücks und ihrer zeitgenössischen Tanzgruppe ATASH عطش wird im pädagogischen Begleitmaterial dazu so zitiert: „Ich habe meine Kindheit im Krieg verbracht, bis ich acht Jahre alt war. Was ich erlebt habe, war jahrelang in mir vergraben und ich habe es sogar als harmlos verdrängt. Bis ich erfuhr, dass dies offenbar ein typischer Schutzmechanismus für Traumatisierungen ist. Als Mutter von drei Kindern habe ich mich verstärkt mit der transgenerationalen Weitergabe von Kriegsfolgen beschäftigt. Dieses Thema war der Ausgangspunkt für unser neues Stück Ancestors‘ Gift.“ (Ulduz Ahmadzadeh)
In diesen nächtlichen Albtraumphasen ist die Bühne (Szenografie: Till Krappmann) nicht nur sehr dunkel, zum Start der Albträume gehen noch von der Decke hängende Lampen mit blutroten Lichtern der Reihe nach an und erzeugen damit Grusel-Atmosphäre, aber nicht Halloween-mäßige, sondern bitterernste. „Ancestor’s Gift“ ist – wie schon oben erwähnt – ein Gesamtkunstwerk – obwohl das natürlich für die meisten Produktionen gilt, hier besonders. Über der Bühne und damit den Tänzer:innen hängen Hunderte Objekte, die irgendwie rätselhaft wirken. Sind es Blumen? Vögel? Wölkchen? Alles nicht, aber was dann?
Auch hier hilft der Blick in das schon erwähnte Begleitmaterial auf der Dschungel-Wien-Homepage (in der Infobox verlinkt, wobei’s dann leider nicht direkt zu den einzelnen Materialien geht, sondern durchgesucht werden muss). Demnach sind diese leichten, schwebenden Objekte Querschnittsbilder menschlicher Wirbel. „Es sind in gewissermaßen die materiellen Überreste unserer Vorfahr:innen und bilden gleichzeitig unser Rückgrat … In der Wirbelsäule verläuft auch unser zentrales Nervensystem, das jegliche sinnlichen Eindrücke an unser Gehirn weiterleitet, wo diese anschließend verarbeitet werde. Ein Trauma ist eine Überforderung der Sinneswahrnehmungen und demnach unmittelbar mit unserem Nervensystem und der Wirbelsäule verbunden. Die hängenden Wirbelquerschnitte sollen ebenso die Überreste unserer Vorfahr:innen symbolisieren, die uns unser gesamtes Leben beeinflussen und wie eine Wolke über uns wachen und uns begleiten. Es soll hierbei gesagt sein, dass die Objekte sehr abstrakt aussehen und sehr schön zum Ansehen sind und keine angsteinflößenden Elemente sind!“
Aber nicht nur die schwebenden Wirbelteile über den Köpfen auch Projektionen reihen sich ins Gesamtbild ein: „Es werden mikroskopische Live- Aufnahmen von Blutkörperchen projiziert. Dies ist ebenso ein Eintauchen in die inneren menschlichen Strukturen. Es kann auch als eine Suche nach etwas Verborgenem gelesen werden, wie dieses „Etwas“, was wir durch die Generationen mitgegeben bekommen haben.“
„Ancestor’s Gift“ lässt natürlich die jugendliche Protagonistin nicht in den Albträumen steckenbleiben. Neben den Tag-Phasen an denen sie die Traumata offenbar als Überlebensstrategie verdrängt und doch fröhlich leben kann, legt sie Stück für Stück unheimliche Plastik-Puppenteile ihres Kostüms ab, gibt sie an die Ahn:innen zurück, legt Lasten ab, kann unbeschwerter ihre eigenen Wege suchen.
Das Tanztheaterstück dreht sich aber auch um positive Connections zu Generationen davor bzw. das Bedauern, solche nicht rechtzeitig hergestellt zu haben. So bedauert die Protagonistin beim Tod des Opas, dass sie davor sich wenig mit ihm und seinem Leben beschäftigt hat.
Wir erleben auf der Bühne einen beeindruckenden Weg einer Protagonistin, die jedoch für alle Menschen stehen kann, sich einerseits von dem immer schwerer werdenden über Generationen weitergegebenen „Rucksack“ zu befreien und andererseits das Bemühen, diese Verbindungen überhaupt wahrzunehmen oder herzustellen. Zum Glück ist ja auch so manches, das wir übernehmen (können) eher bereichernd als belastend – auch eine Frage der sogenannten Geburtslotterie. Und ohne auch nur im Geringsten aufgesetzt zu wirken, tanzt das Trio ein ausgelassenes – ansteckendes – Happy End.
Selbst wenn du den Hintergrund nicht kennst und auf den aus dem Off eingesprochenen Text nicht achtest, kannst du die Botschaft spüren. Dieser Text (Marek Zink) ist übrigens wunderschön poetisch, wenngleich mitunter das getanzte Bild verdoppelnd, wirkt insgesamt jedoch wie ein aufgesetzter pädagogisch motivierter Fremdkörper. In einer App ist er in verschiedenen Sprachen verfügbar – doch den Blick zwischen Smartphone und Tanz auf der Bühne pendeln lassen? Vielleicht hätte sich der Text verdient, extra davor oder danach gelesen zu werden?
Das „angenehme Land“ spielt sich als TV-Show zwischen Regalen mit mehr als vier Dutzend Kartons ab. Die zwei „Lagerarbeiter“, die zu Beginn die Show betreten, entpuppen sich als Live-Musiker. Ivan Stott und Roman Lukać liefern den Sound-Track sowohl zu den Show-Auftritten der bald danach hinter Boxen in den Regalen auftauchenden drei Moderatorinnen Tajá Luegáèzor Christian, Linh Huynh und Josie Morley als auch den zu jenen Szenen, in denen das Trio über sich und Schlaglichter auf ihr Leben erzählend spielt.
„Pleasant Land“ war eines der internationalen Gastspiel beim Puls-Festival im Dschungel Wien, bei dem Stücke gezeigt wurden, die in Kooperation Theaterschaffender mehrerer Länder entstanden sind (ConnectUp, unterstützt durch das Creative Europe Programm der EU). „Angenehmes Land“ brachte das Derby Theatre aus England und das Teatro Elsinor aus Italien zusammen. Thema: Identität(en).
Das englische Theater und Regisseurin Sarah Brigham hatten zunächst über neun Monate hinweg mit vielen Schülerinnen und Schülern zu diesem Thema in Workshops gearbeitet. Was und wie sie eingebracht haben ist in die Entwicklung des Stücks eingeflossen. Und so „prüfen“ die drei Moderatorinnen zunächst einmal das Publikum ein wenig in Sachen Zuordnungen – welche Musik und anderen Dinge sie wem der drei Schauspielerinnen zuordnen würden. Diversität – unterschiedlichste Backgrounds des Trios (Schwarz, Weiß, Vietnam) – erzeugen nicht selten „Einsortieren“ in Schubladen. Die Vielfalt des Qintetts erweitert einer der Musiker (Roman Lukać) mit dem Anstimmen der Roma-Hymne „Dzelem Dzelem“.
Das Spiel rund um Klischees und ihr Durchbrechen wird so in dieser Stunde zum lockeren Spiel, womit sich vielleicht sogar leichter verfestigte Bilder im Kopf lockern lassen können. Nicht zuletzt durch das aktivierende Ende – mit verteilten Buntstiften und Zetteln, auf die die Zuschauer:innen sich selbst in eine Box zeichnen können, wie sie sich und ihre Zugehörigkeit definieren. Außerdem laden die beiden Musiker das Publikum ein, mit ihnen und den drei Schauspielerinnen einen Song der Hoffnung – auf englisch – zu singen (Text auf der Rückseite des verteilten Zeichenblattes). Der beginnt mit „einem Schlüssel zum Unbekannten“ und endet mit, dass dieser „in meiner Hand liegt“. Ein „Schlüssel“ zum Entsperren von vorurteils-Schubladen sozusagen. Und ein weiter Weg bis dahin.
Einen „sehr, sehr langen Weg“ beschreibt auch der Text der oben schon angesprochenen Roma-Hymne, heißt doch die erste Liedzeile „Djelem djelem lungone dromesa“ (Auf meinem sehr, sehr langen Weg) und setzt sich fröhlich und optimistisch fort: „djelem djelem lungone dromesa/ Maladilem bachtale romenza“ (auf diesem sehr, sehr langen Weg/ Begegneten mir viele glückliche Roma).
Kleine Anmerkung – selbst die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Identitäten samt Vorurteilen und Aufbrechen von Schubladen hat offenbar nicht verhindert, dass im ausgeteilten Blatt mit den Songtexten Roma mit dem englischen Pendant zum deutschen Z-Wort übersetzt wurde – einem Begriff, den Angehörige der Roma, Sinti, Jenischen usw. spätestens seit der ersten internationalen Roma-Konferenz 1971 (!)ablehnen.
Fast ein Dutzend Jugendlicher und junger Erwachsener traten beim Abend „Wem gehört die Bühne“ im Theaterhaus für vor allem junges Publikum im Wiener MuseumsQuartier ins Rampenlicht. Eine 17-jährige Journalismus-Praktikantin bei Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… interviewte Munira Mohamud.
KiJuKU: War das heute dein erster Poetry Slam oder hast du schon davor bei solchen Veranstaltungen mitgemacht?
Munira Mohamud:Das erste Mal war in diesem Jahr, aber ich kann mich nicht erinnern wann, weil ich so einen Abwehrmechanismus habe, wodurch ich durch Nervosität meine Performances vergesse. (Lacht) Ich kann mich erinnern, ich habe etwas vorgetragen, aber ich könnte nicht sagen, wann es war, aber ich weiß es war dieses Jahr das erste Mal.
KiJuKU: Wo war dein erster Auftritt?
Munira Mohamud: Es war bei „Salam Oida“, einem Verein, der viel mit Kunst und Kultur von Menschen mit Migrationsbiografie und muslimischen Personen macht.
KiJuKU: Welche Bedeutung hat Kunst generell in deinem Leben?
Munira Mohamud: Ehrlich gesagt wollte ich Kunst studieren und Skulpturen machen, aber ich habe realisiert, dass das ein Prestigestudium ist und war verunsichert. Ich habe auch nicht so viele Leute gesehen, die ausschauen wie ich und Kunst machen. Dann war ich so: Vielleicht ist das doch nichts für mich. Zum Glück interessiert mich vieles, ich habe Politikwissenschaften studiert und bin sehr zufrieden damit. Ich habe angefangen zu schreiben, weil es fällt mir sehr schwer, Emotionen zu „expressen“. Vieles unterdrücke ich, deswegen habe ich angefangen zu schreiben. Es ist mir viel leichter gefallen, sie in Schrift festzuhalten, als wirklich zu sagen, was das Problem ist.
KiJuKU: Ist Lyrik deine Lieblingsform des Schreibens?
Munira Mohamud: Lyrik ist meine Lieblingsform, weil sie viel einfacher zugänglich ist als Prosa. Prosa geht sehr oft in die Länge und muss grammatikalisch korrekt sein, auch die Zeichensetzung. Bei Lyrik hast du viel mehr Freiraum, auch Sachen auszulassen, falsch oder anders zu schreiben. Das hat mir voll gefallen, weil dann auch die Angst vorm Schreiben weg war.
KiJuKU: Hast du auch überlegt, etwas in die Richtung zu studieren?
Munira Mohamud: Ich studiere Politikwissenschaft und Chinesisch. Wenn ich Sprache studiere, habe ich Angst, dass mein Interesse verloren geht, weil ich es dann mit Prüfungen und Noten verbinde und dann meine Kreativität verliere. Ich habe oft überlegt, Sprachkunst zu studieren.
KiJuKU: Was brauchst du, um kreativ zu sein?
Munira Mohamud: Es hilft mir voll, wenn ich Ziele habe. Wenn ich zum Beispiel weiß, ich performe irgendwo, dann fällt es mir auch viel leichter, Gedichte zu schreiben, weil ich ein Ziel verfolge. Ich schreibe auch oft, wenn ich viel fühle. Oft gehe ich noch immer zu meinem Ursprung. Wenn ich Emotionen nicht verarbeiten kann, schreibe ich sie auf. Das sind meistens Gedichte, die nicht vorgelesen werden, weil sie sehr wischiwaschi und persönlich sind. Ich weiß nicht, ob ich Leuten diesen Teil meiner Selbst zeigen möchte – jetzt.
KiJuKU: Gibt es irgendwas Wichtiges, was du der Welt gerne sagen würdest?
Munira Mohamud: Ich möchte einfach Leuten motivieren, die schreiben wollen. Einfach schreiben. Am Anfang kann es Blödsinn sein, aber wenn du dann immer öfter zu deinen Gedichten zurückkommst, merkst du, es entsteht irgendwas. Schreiben ist generell so was Zugängliches von den künstlerischen Formen. Zum Beispiel Malen oder Skulpturen machen ist sehr elitär. Du brauchst Materialien und Geld. Fürs Schreiben kannst du einfach dein Handy herausnehmen und in deine Notizen tippen. Man kann Künstlerin sein, ohne Künstlerin zu sein.
Stefanie Kadlec, 17
„Wie schaut’s denn da aus? Wenn das so ist, brauch ich in meinem Zimmer auch nicht mehr aufräumen!“, wundert Mila sich, als sie auf den Dachboden kommt. Eigentlich wollte sie nur nach einer Schnur suchen, um ihren Flugdrachen steigen lassen zu können. Und was ist da? Schachteln, Kisten, Durcheinander. Viel Zeugs. Alles Mögliche, nur nicht die Schnur. Hinter einem schwarzen Vorhang entdeckt sie sogar eine – nie zuvor gesehene – Tür. Und dann fängt die noch an zu sprechen, später singt sie sogar noch.
Was noch viel schräger ist, irgendwie scheint die Tür mit Mila seelenverwandt zu sein: Viel und schnell reden, immer die Klappe offen … Neugierig und quirlig wie das Kindergartenkind ist, öffnet sie natürlich die Tür – und findet jedes Mal etwas ganz anderes dahinter – Wald, Müllhalde, See – samt schwimmendem großen Fisch, den sie vor dem Angelhaken rettet -, einen langweiligen, leeren Raum und dann wieder das Weltall mit leuchtenden Sternen.
Und so wird aus dem ¾-stündigen immer wieder witzigen Stück „Die komische Tür“ (Text: Lukas Schrenk, Musik und Regie: Nils Strunk) mit dem Duo Emilia Rupperti (Mila) und Philip Leonhard Kelz (Türstimme und verschiedene auftretende Figuren vom Fisch über die Vermesserin bis zum Eisverkäufer) im Dschungel Wien ein Ausflug in Fantasiewelten (Bühne: Anna Reichmayr; Kostüme: Anne Buffetrille), wie sie sich viele Kinder ausdenken. Und dabei auch mit Gegenständen ins Gespräch kommen.
Die hier auf dem Dachboden abgestellte „komische“ Tür, weil sie so gar nicht „normal“ ist, bestärkt Mila in der Art wie sie ist. Und gibt ihr obendrein fast poetisch formulierte Tipps – vergleicht die wechselnden, mitunter aufbrausenden Gefühle mit einem Flugdrachen, den sie durchaus steigen und hoch fliegen lassen kann. Aber wenn sie ihn an der Schnur hat, kommt er ihr schließlich nicht zu sehr aus 😉