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Sabrina Myriam Mohamed liest aus ihrem (ersten) Jugendroman im Wiener Literaturhaus

Susi und die „Migra“-Kids…

Sie sind so 14/15 Jahre (vierte Klasse Gym), eine eingeschworene Freund:innen-Crew, die schon so manchen Kampf mit ungerechten Lehrer:innen oder überheblichen Macho-Jungs ausgefochten haben. In diesen Sommerferien fahren ihre Familien nicht weg, weshalb Adriana, Hannah, István, Leila und Yasmin ihre freie Zeit vor allem in den Höfen jenes Wiener Gemeindebaus in dem sie alle wohnten, verbrachten.

Soweit das Ausgangs-Szenario des kürzlich im Wiener Literaturhaus vorgestellten Jugendromans „komm runter!“ – das sich vor allem aus dem Spruch ergibt, wenn die eine oder der andere bei der Gegensprechanlage läutet, um die Freund:innen zusammen zu trommeln. Sabrina Myriam Mohamed hat mit einem Kapitel namens „All inclusive“ im Vorjahr einen der exil-Literaturpreise gewonnen. Im Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… hatte sie damals verraten, dass dies nur der Beginn eines Romans war. Den hatte sie in groben Zügen fertig. In den folgenden Monaten wanderte der Text mehrfach zwischen ihr und der Lektorin Christa Stippinger hin und her. Stippinger ist auch Gründerin, Herz und Seele dieses Verlages, in dem heutige Größen wie Julya Rabinowich, Dimitré Dinev, Didi Drobna oder Susanne Gregor ihre ersten Bücher veröffentlicht haben.

Wienerisch, Arabisch, Englisch …

Die Namen des jugendlichen Quintetts deuten schon die Vielfalt an wie sie unter Wiener Kindern und Jugendlichen üblich ist. Und so lässt die Autorin neben vielen (Alt-)Wiener Ausdrücken wie sich „aufpudeln“, „blöde Funzn“, „haaß“ (für wütend, sauer und in dem Fall nicht für hohe Temperatur), „herumstierln“ und andere organisch in den leicht und immer wieder vergnüglich lesbaren Text ebenso einfließen wie Begriffe auf Arabisch, BKS (Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch), Englisch, Romanes, Ungarisch. Viele erklärt sie gleich mit Fußnoten auf der jeweiligen Seite, einige hat sie in ein eignes Glossar am Ende der rund 180 Seiten gepackt.

Natürliche Vielfalt

Diese Vielfalt, die oft so „nebenbei“ daherkommt und nie aufgesetzt, bemüht oder gar pädagogisch wirkt, kennzeichnet den Roman, der viele Jugendliche ansprechen könnte. Es ist einer der Beweggründe dafür, dass sie ihn geschrieben hat. Ähnlich wie Thomas Brezina sagt, er schreibe die Bücher, die er gern als Kind gelesen hätte, sagt die 27-jährige Autorin im Interview mit KiJuKU-Praktikantin Stefanie Kadlec unter anderem: „Ich habe nie wirklich ein Jugendbuch gefunden, wo ich mich komplett identifizieren konnte, und ich wollte ein Buch schreiben, wo sich mehr Leute wie ich identifizieren können.“ (Link zum gesamten Interview am Ende des Beitrages.)

Ewige „Migra“-Kids

„Leute wie ich“ sind solche, die selbst oder deren (Groß-) oder gar schon (Urgroß-)Eltern neu nach Österreich oder Wien gekommen sind – und selbst trotz mehrerer Generationen noch immer als „Ausländer“ oder „netter“ formuliert „mit Migrationshintergrund“ abgestempelt werden. Und so kommt eine durchaus ähnlich erlebte Szene vor, in der Yasmin, längst Gymnasiastin, auf ihre ehemalige Volksschullehrerin Susi trifft, die (nicht nur) ihr nahegelegt hatte, Gymnasium wäre nix für sie – dieser Abschnitt ist im Bericht über die vorjährige Preisverleihung zitiert.

Deppate Machos

Aber nicht nur rassistische Lehrkräfte wie „Frau Susi“, sondern auch Macho-Jungs kriegen ihr literarisches Fett ab. Wenn Burschen laut und goschert mit „wallah, Allah“ auf den Lippen samt sexistischen, abwertenden Schimpfworten Mädchen etwa Ballspielen im „Käfig“ verbieten wollen, dann lässt die Autorin ihre fünf Hauptpersonen auch nicht auf den Mund fallen.

Heftige Spannung

Sabrina Myriam Mohamed baut im ungefähr letzten Drittel des Romans aber noch eine sehr spannende Wendung ein, die dich als Leser:in aus dem lockeren Ferien-Alltag von Adriana, Hannah, István, Leila und Yasmin rausreißen und mitfiebern lassen. Navid, so etwas wie ein Cousin von Leila, ist von der Abschiebung bedroht. Die involvierten Eltern wollen das von den fünf Jugendlichen fernhalten, die kommen irgendwie zufällig drauf, wissen aber nicht mehr, reimen sich einiges zusammen und entwickeln einen Schlachtplan zur Verhinderung – ohne Navid selbst einzubeziehen. Da geht’s einigermaßen turbulent zu – mehr sei nicht gespoilert, die Spannung soll bleiben.

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Titelseite des Jugendroman
Titelseite des Jugendromans „komm runter!“
Sabrina Myriam Mohamed im Interview mit KiJuKU-Praktikantin Stefanie Kadlec

„Ein bisschen eine up-gedatetere Version von einem Jugendroman“

KiJuKU: Wie lange hast du für deinen Roman gebraucht?
Sabrina Myriam Mohamed:Gute Frage, wahrscheinlich 2 Jahre. Begonnen hat es mit einer kleinen Geschichte über die 5 Kids. Irgendwann habe ich begonnen weiterzuschreiben und hatte keine Lust auf andere Charaktere, weil ich die schon gernhatte. Eigentlich ist es unabsichtlich passiert und dann ist es immer mehr geworden bis ich dachte, dass die Teile gut zusammenpassen.

KiJuKU: Wie schreibst du? Kommt es immer in Schüben oder bist du so diszipliniert, dass du dich jeden Tag hinsetzt und etwas schreibst?
Sabrina Myriam Mohamed: Gar nicht. Vor allem als noch sehr wenig da war, kam es immer in Schüben. Mir ist etwas eingefallen oder ich habe irgendwas gesehen und es aufgeschrieben. Erst als es konkret um die Arbeit am Buch ging, musste es konsequenter sein, womit ich mir sehr schwergetan habe. Ich bin jemand, der eine To-Do-Liste hat, und wenn diese Liste am Abend abgearbeitet ist, bin ich sehr glücklich. Nur beim Buch ist es so, dass ich zehn gute Minuten pro Tag habe. Dann muss man die zehn guten Minuten erst finden. Manchmal sind sie gar nicht gekommen, aber du hast trotzdem einen Abgabetermin.

KiJuKU: Diese zehn guten Minuten können irgendwann sein?
Sabrina Myriam Mohamed: Sie können in der U-Bahn sein oder spätabends. Im besten Fall sind sie dann, wenn du vor dem Laptop sitzt, wo du eigentlich planst zu schreiben.

Sabrina Myriam Mohamed im Interview mit KiJuKU-Praktikantin Stefanie Kadlec
Sabrina Myriam Mohamed im Interview mit KiJuKU-Praktikantin Stefanie Kadlec

KiJuKU: Wie viele Leute haben es Probe gelesen?
Sabrina Myriam Mohamed: Offiziell gelesen und lektoriert hat es die Christa Stippinger vom Exilverlag. Dann ist es noch einmal ins Lektorat gegangen zur Eva. Für die mehrsprachigen Teile habe ich Leute vom Korrektorat gesucht und FreundInnen gefragt. Vor allem beim Arabischen war es oft so, wie wir ein bestimmtes Wort am besten transkribieren oder in die andere Schriftsprache übersetzen. Sie haben so viel Geduld mit mir gehabt, wie zum Beispiel Mona, die das Arabisch-Korrektorat gemacht hat, hat dann auf YouTube zehn Mal ein Wort abgespielt, um zu hören, ob es eher ein „e“ oder ein „i“ ist. Dann kennen es manche Leute, weil es nicht so verbreitet ist, nur in der Version. Wenn ich das hinschreibe, dann wissen die anderen nicht, was das heißen soll. Also welche Version nimmst du jetzt?

Nie ein Buch gefunden, wo ich mit identifizieren konnte

KiJuKU: Für Leute, die das Buch nicht kennen: Könntest du die Handlung in ein bis zwei Sätzen beschreiben?
Sabrina Myriam Mohamed: Fünf Jugendliche, die im selben Gemeindebau wohnen… ich habe nie wirklich ein Jugendbuch gefunden, wo ich mich komplett identifizieren konnte, und ich wollte ein Buch schreiben, wo sich mehr Leute wie ich identifizieren können. Das habe ich probiert in dieses Buch zu packen. Ein bisschen eine up-gedatetere Version von einem Jugendroman.

KiJuKU: Du würdest es schon als Jugendroman bezeichnen?
Sabrina Myriam Mohamed: Bis jetzt habe ich gehört, dass es erwachsene Personen gelesen und gut gefunden haben, aber ich bin vor allem auf das Feedback von Jugendlichen extrem gespannt. Egal in welchem Alter, die struggles von erster, zweiter, dritter Generation Migra-Kids sind eine echt spannende und teilweise komplett unterschiedliche Erfahrung in Wien bzw. Österreich. Es gibt viele Parallelen, wo sich Leute wiederfinden. Auch wenn nicht alle die Frau Susi gekannt haben, eine rassistische Lehrperson haben viele gehabt.

KiJuKU: Wie bist du auf den Titel „Komm runter“ gekommen? War es schwer ihn zu finden?
Sabrina Myriam Mohamed: Er hat mir gefallen wegen der Doppeldeutigkeit und weil es so ein geläufiges Ding ist. Wenn du mit Leuten im selben Wohnhaus wohnst und dann willst du, dass sie runterkommen, weil es so einfach ist. Wie genau ich auf den Titel gekommen bin, weiß ich nicht mehr.

Sabrina Myriam Mohamed im Interview mit KiJuKU-Praktikantin Stefanie Kadlec
Sabrina Myriam Mohamed im Interview mit KiJuKU-Praktikantin Stefanie Kadlec

KiJuKU: Kannst du dir vorstellen, hauptberuflich Schriftstellerin zu sein?
Sabrina Myriam Mohamed: Es würde mich schon interessieren, aber wenn davon abhängig ist, ob ich etwas zum Essen habe und gerade schreiben kann – wie gesagt die guten zehn Minuten pro Tag – weiß ich nicht, ob ich mir das zutraue. Deshalb bin ich mir immer noch unklar.

KiJuKU: Hast du ein Lieblingszitat oder einen Lieblingssatz aus deinem Buch?
Sabrina Myriam Mohamed: Manchmal wenn ich die Dialoge von den Kids lese, die alle an Leute angelehnt sind, die ich kenne, nur keine Person ist wirklich eindeutig eine Person, sondern die Erfahrungen sind alle danach ausgewählt, mit wem ich aufgewachsen bin, höre ich ganz oft die Stimmen von den Personen, die manchmal tatsächlich wortwörtlich gesagt haben, was drinnen steht. Das finde ich immer voll schön, wenn die Erinnerungen kommen.

KiJuKU: Ist eine Person der Freundesgruppe dir am meisten nachempfunden?
Sabrina Myriam Mohamed: Von der Biografie her am meisten Yasmin, von der man die Welt aus sieht, aber es wäre sehr weit aus dem Fenster gelehnt, wenn ich sagen würde, keine Person hätte irgendwas von mir. Man tut sich schon ein bisschen so hineinstreuseln, weil man sich einfach am besten kennt. Aber es ist auch beim FreundInnenkreis so, denn die Leute, mit denen du dich umgibst, prägen am meisten deine Persönlichkeit, den Humor und die Sprache. Deshalb ist es auch extrem schwierig, die Grenze zu ziehen und zu sagen: Das bin komplett nicht ich. Das ist auch in einer Freundschaftsgruppe so.

Aufregend

KiJuKU: Wie war es heute für dich, vor den anderen zu lesen?
Sabrina Myriam Mohamed: Sehr aufregend. Ich habe auf jeden Fall gezittert, aber das Gute ist, dass man einen Tisch hat, an dem man sich festhalten kann. Aus meiner Wahrnehmung gehört dazu, dass man ein bisschen aufgeregt ist bei den Sachen, die einem Spaß machen. Ich versuche es als Aufregung zu deuten und nicht als Nervosität, das gibt mir ein besseres Gefühl.

KiJuKU: Wie hat es sich angefühlt, als die Leute dann zu dir gekommen sind? Da waren sicher Bekannte, aber auch Fremde…
Sabrina Myriam Mohamed: Ich habe heute zum ersten Mal Leute gesehen, die ein Buch von mir in der Hand hatten, die ich nicht kannte. Das war komplett absurd für mich. Es gibt so viele Bücher und diese Personen sind hergekommen, haben es sich angehört und kaufen jetzt mein Buch. Ich glaube, so richtig ankommen wird es bei mir in einer Woche, also es ist für mich noch extrem neu und aufregend.

KiJuKU: Es ist aufregend, aber schön?
Sabrina Myriam Mohamed: Extrem schön. Ich habe keine Sekunde Angst, dass ich da irgendwie zu viel von mir Preis gegeben habe. Oder dass die Leute jetzt urteilen können und sagen, dass sie es furchtbar finden. Irgendwer muss es furchtbar finden. Wenn es zu etwas eine gute Meinung gibt, muss es auch eine schlechte Meinung geben. Es ist immer so. Ich freue mich auch, wenn ich zum ersten Mal von jemandem höre: Ich finde es richtig furchtbar. Mich würde interessieren warum. Mit Kritik von Autoritätspersonen habe ich mir immer schwerer getan, aber wenn es jemand ist, mit dem ich auf Augenhöhe bin, bin ich ur-gespannt, was die Person sagt.

Stefanie Kadlec, 17

Zu einer Besprechung des Buches geht es hier unten