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Szenenfoto aus "Das rote Fahrrad"

Quoten-Queen und ihr Geheimnis

Die toughe, Quoten bringende, TV-Moderatorin eine mondäne Business-Lady. Immer unter Strom. Immer wichtig. Chefin nach herkömmlich-patriarchalem Muster: So behandelt sie die Sekretärin, mit der sie nur per Telefon kommuniziert, als wäre die ihre Sklavin.

Eeendlich Feierabend, sie will zu einem – wichtig scheinenden – privaten Date. Da erinnert Lisa sie noch an einen Termin, eine Bewerberin. Widerwillig empfängt sie die vermeintliche Job-Kandidatin, behandelt sie als wär’s eine weitere Dienerin.

Freundschafts-Bruch

Soweit die ersten Minuten des Stücks „Das rote Fahrrad“ in der Theater Arche Wien. Geschrieben von Fred Apke, einem Deutschen, der in Polen lebt, wo das Stück als Hörspiel im Radio gelaufen ist, reißt es in den folgenden 1 ¼ Stunden tiefe Wunden zwischen den beiden Frauen auf. Die Bewerberin ist keine solche, sondern eine einstige Freundin aus Kindertagen in einem Sozialbau am Rande einer Stadt. 37 Jahre liegt der Bruch von Daria und Sylwia zurück. Letztere wunderbar die meiste Zeit kalt und abweisend verkörpert von Eszter Hollósi will sich lange angeblich gar nicht erinnern. Doch Daria lässt nicht locker, Heide Maria Hager spielt diese hartnäckige Kämpferin, die immer auch den Grat zu wissen geht, um doch nicht von Sylwia aus ihrem Büro geschmissen zu werden.

Schrittweise wieder näher

Schritt für Schritt gelingt es ihr, die wahren Hintergründe für den Bruch, zur Sprache zu bringen. Vordergründig – und für Sylwia noch immer – war’s dazu gekommen, weil Daria der Freundin das rote Fahrrad, ein Geschenk vom Vater zum 13. Geburtstag, gestohlen hatte.

Worum’s wirklich geht, enthüllt Daria nach und nach, immer mehr gelingt es ihr auch die Abwehrhaltung Sylwias zu lockern, bis diese doch ihren Eispanzer schmelzen lässt.

Im Detail sei hier die Geschichte nicht verraten, vorweggenommen. Nur grob skizziert.

Missbraucht und verraten

Daria hatte jahrelange sexuelle Ausbeutung von frühen Kinderjahren an erlitten. Sylwia war ihre emotionale und psychische Rettungs-Insel. Aus der auch mehr geworden ist. Wozu die Freundin aber nicht nur nicht stehen wollte, sondern Daria schändlich verraten hatte – erst um die Schuld von sich zu weisen und den eigenen Vater zu besänftigen – wofür sie dann das Rad bekam – und später um der Karriere willen. Und dennoch – ohne Details zu spoilern – ist das Stück noch vielschichtiger, ist auch Daria nicht nur Opfer. Was sie aber erkennt.

Zusatztexte per Stimme aus dem Off

Neben den beiden Antagonistinnen, die sich doch (wieder) annähern, kommt immer wieder noch aus dem Off eine zarte und doch starke sehr betroffen machende Stimme aus dem Off – gesprochen von Amélie Persché. Sie bringt die Stimmung, ein zentrales Gefühl von Kindern und Jugendlichen, die missbraucht worden sind/werden, zu Gehör: „Ich kann so gut still sein… laut still sein … ich möchte gehört werden!“

Diese gesprochenen kurzen Texte sind Teil einer viel längeren literarischen Reflexion von  Heide Maria Hager über sexuelle Gewalt, die sich schon lange vorher geschrieben hatte. Aus kleinen Lautsprecherboxen im Foyer des Theaters werden sie abgespielt.

Regisseur Nagy Vilmos hat eben einige der markantesten Zitate über die Stimme aus dem Off in das Stück eingebaut – um sozusagen die junge Daria und ihre Gefühle noch anders in das Stück einzubauen als die reflektierte Erzählung der längst erwachsenen Frau aus dem Rückblick.

Ausstattung und Überraschungs-Schauspiel

Unbedingt noch zu erwähnen ist die Ausstattung der Bühne von Helena May Heber mit manche fast subtilen Details – etwa dem weißen, plüschigen Teppich unter dem mittigen Tisch, den Sylwia stets vermeidet zu betreten. Er steht, das heißt liegt, für die Unschuld die sie nicht antasten will. Ein wenig offensichtlicher hat sie den Schreibtisch Sylwias aus per Heißluftföhn gebogenen durchsichtigen Kunststoffteilen gestaltet. Im richtigen Moment als die TV-„Göttin“ erkennt, dass ihr Leben im Moment nicht so stabil sei, reicht eine fast unmerkliche Bewegung, um auch den Tisch ins Wackeln zu bringen.

Die Ausstatterin selbst spielt auch die eingangs erwähnte nur in dieser einen Szene im Hintergrund agierende Sekretärin. Die Mittzwanzigerin ist als doch mindestens zehn Jahre ältere Figur kaum bis nicht zu erkennen. Und das macht nicht nur die Perücke. Du nimmst ihr die schon sichtlich abgearbeitete „Sklavin“ definitiv ab. Sie rundet damit – auch wenn nur kurz – die vielschichtig bewegende Inszenierung von „Das rote Fahrrad“ ab.

Wahrer Kern

Zumindest die Grundsituation – zwei Frauen, die einander nach 37 Jahren zum ersten Mal wieder treffen/sprechen und es vordergründig um ein rotes Fahrrad geht ist nicht erfunden, erzählt der Autor des Stücks, Fred Apke, Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… nach der vielumjubelten bewegenden Premiere. Die habe er aus dem Leben in seinem unmittelbaren privaten Umfeld gegriffen. Die Details dessen, was die beiden Frauen dann besprochen – und aufgeschrieben – haben, kenne er nicht. Aber diese Ausgangssituation habe ihn zu diesem Stück inspiriert. Das sich in Polen niemand traute aufzuführen, selbst das Hörspiel ins Radio zu bringen sei keine leichte Sache gewesen. Da herrsche (noch?) zu viel Scheinheiligkeit in seiner sehr katholisch dominierten zweiten Heimat, so Fred Apke im Gespräch mit dem Journalisten. Der Schluss-Satz des Stückes – nein er bleibt hier ein Geheimnis – ist auch eher an die Situation in Polen gerichtet, wo die angesprochenen Themen noch weit eher tabuisiert sind als hier.

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Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Das rote Fahrrad“