18-Jähriger droht Abschiebung nach Serbien. Schülerinnen und Schüler engagieren sich, lernen politische Bildung in der Praxis.
Freitag, kurz vor 8 Uhr früh, Anton-krieger-Gasse 25 in Wien Liesing. Die meisten sind schon in der Schule, einige strömen noch herbei, meist von der Busstation, einige wenige steigen aus Eltern-Taxis. Ein Schüler erkennt den Journalisten und nimmt ihn mit in seine Klasse, die 7d. Der Geschichte-Lehrer kontrolliert noch die G-Nachweise und räumt den Platz. Ein für die Klasse, auch ihn und vor allem eine Schülerin wichtiges Thema steht nun auf dem „Stundenplan“: Zivilgesellschaftliches, (gesellschafts-)politisches Engagement. Zwei Tage zuvor hat die Klasse einen offenen Brief an den Innenminister geschrieben. „Wir, die Klasse 7D und die gesamte Schule, ersuchen Sie, Herr Innenminister Karl Nehammer, Ajla das humanitäre Bleiberecht zu gewähren.“
Wenn du/Sie nicht ohnehin schon von dem „Fall“ gehört oder gelesen hast/haben, hier zunächst knapp zusammengefasst. Ajla Omerović (18), lebt seit fünf Jahren in Österreich, nach zwei Jahren Neuer Mittelschule, besucht sie nu eben die 7. und damit vorletzte Klasse des oben genannten Oberstufen-Realgymnasiums, steht also knapp mehr als eineinhalb Jahr vor ihrer Matura. „Ich hab drei Zweier – in English, Deutsch und Spanisch – und sonst lauter Einser“, sagt sie leise, fast verschämt Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr …
„Danach will ich Sozialarbeiterin oder Pädagogin werden, so genau weiß ich das noch nicht. Ich möchte gern anderen helfen. Und auch schon bei einem Berufsorientierungstest in der Mittelschule ist herausgekommen, dass ich für einen Job im Sozialbereich gut geeignet bin.“
„Sie hilft auch vielen in unserer Klasse, wenn sich wer in Mathe wo nicht auskennt, erklärt sie’s immer“, schildert beispielsweise Moritz Krainz. Und praktisch alle nicken zustimmend. „Ich will gern helfen, aber nicht im Mittelpunkt stehen“, antwortet sie fast schüchtern auf die Reporter-Frage, ob sie auch Klassensprecherin war, ist oder werden wollte. Sie wollte auch nicht auf dem Foto sein.
Vor mehr als einer Woche wurde in der Klasse und Schule bekannt, dass ihrer Mitschülerin Mitte Dezember die Abschiebung droht. Bestens integriert, beliebt, hilfsbereit und Top-Schülerin – im schon zitierten Offenen Brief – der hier in voller Länge veröffentlicht wird – heißt es unter anderem „auf Deutschschularbeiten schreibt sie öfters bessere Noten als Schüler*innen mit Deutsch als Muttersprache. Auch in anderen Fächern ist sie aufgrund ihres Ehrgeizes Klassenbeste“.
Und das, obwohl schon lange über ihr das Damoklesschwert einer Abschiebung schwebt, wie sie sagt. „Das ist schlimm, seit ungefähr drei Jahren weiß ich nie, ob ich bleiben darf oder nicht. Aber nie hat irgendwer in dem ganzen Verfahren mit mir selber geredet.“ Nicht einmal nach Zeugnissen sei sie gefragt worden. Als ihr im Oktober die Abschiebung angedroht wurde, „hab ich gefragt, ob das nicht wenigstens dann erst im Februar sein könnte, damit ich noch ein Semesterzeugnis bekommen. Abgelehnt.“
Die Mitschüler:innen legten sich ins Zeug. Als vor ziemlich genau einer Woche der ORF in der Schule war, um in Sachen bevorstehender Lockdown zu drehen, entstand spontan die Idee, den Dreh zu nutzen. In Windeseile schrieben Jugendliche Plakate gegen die Abschiebung, für den Verbleib Ajlas und damit Gerechtigkeit, beschreibt Magali Wieselthaler, Sitznachbarin und Freundin von Ajla. Sie und andere weisen auch darauf hin, dass der ganzen Klasse etwas Wichtiges fehlen würde, würde Ajla nach Serbien abgeschoben.
Anfangs, so gesteht Direktor Michel Fleck, sei er schon irritiert gewesen, als bei seinem Fernseh-Interview Jugendliche mit Plakaten aufgetaucht seien. „Aber dann war ich stolz, dass unsere Schülerinnen und Schüler so engagiert und initiativ sind. Durch den Lockdown für den natürlich sehr viel zu organisieren war, wollte ich Anfang dieser Woche beginnen etwas für den Verbleib von Ajla zu unternehmen. Aber die Schülerinnen und Schüler haben mich da eindeutig überholt. Ich musste nur mehr den Offenen Brief der Klasse und der Schulsprecherin, die auch die Medienarbeit übernommen hat, unterschreiben.“
Maria Marichici, die gewählte Schulsprecherin und AHS-Landesschulsprecherin, „war overwhelmed (überwältigt) als ich vor einer Woche in einer Pause in die Klasse gekommen bin, um zu besprechen, was wir tun könnten. Die waren alle schon am Tun, hatten die Plakate gemalt und in Arbeitsgruppen daran, den offenen Brief zu schreiben.“
Stolz zeigte sich auch Geschichtelehrer Lukas Fröis, der sich und die Klasse an seine erste Stunde im Herbst erinnerte. „Da ist es darum gegangen, ob Jugendliche von der Politik wahrgenommen werden. Tenor: Keiner hört uns zu. Ob’s ums Klima oder anderes geht. Und dann taucht so etwas auf, und ihr engagiert euch spontan“, freut sich der Lehrer – und hofft – wie alle in der Klasse und auch, gestehe es, der Journalist, „dass es auch hilft und Ajla dableiben darf.“
Fi Grimm, eine weitere Mitschülerin meint, dass es auch im egoistischen Sinne Österreichs wäre, wenn Ajla bleiben können, hier soziale Arbeit macht und noch dazu Jahrzehnte lang Steuern und Sozialversicherung bezahlt.
„Vor 5 Tagen beging die Republik Österreich den Tag der Kinderrechte. Politiker*innen zeigten sich mit Kinderrechtefahnen und betonten, wie wichtig die 54 Artikel der UN Kinderrechtskonvention sind. Sechs davon sind in Österreich im Verfassungsrang. Artikel 1 des Österreichischen Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern lautet: „Jedes Kind hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“
Nun steht wieder die Abschiebung einer Schülerin bevor, die seit fünf Jahren in Österreich lebt, bestens integriert und Klassenbeste ist und nächstes Jahr maturieren würde. „Und schon ist es vorbei mit dem Kinderrecht auf Bildung für Ajla. Denn offensichtlich gelten die Kinderrechte, ja sogar das Menschenrecht auf Bildung (Art. 26 der Menschenrechtskonvention) in Österreich nicht für alle Kinder, die hier leben. Das ist traurig, und die Kinderfreunde werden nicht aufhören, den Daumen auf diese Wunde zu legen“, zeigt sich Christian Oxonitsch, Vorsitzender der Wiener Kinderfreunde erschüttert.
„Das Wohl eines Kindes ist unantastbar. Egal ob es Peppi, Sarah oder Mohammed heißt. Kinderabschiebungen sind absolute Grauslichkeiten, die es sofort abzustellen gilt. Besonders in Zeiten einer Pandemie, sollte die Politik andere Prioritäten setzen, als gut integrierte Kinder außer Landes zu schaffen“, ärgert sich der jahrzehntelange Wiener Bürgermeister und nunmehrige Präsident der Volkshilfe Wien, Michael Häupl, in einer weiteren Aussendung. Und die Geschäftsführerin dieser Organisation, Tanja Wehsely, ergänzte: „Es ist einfach inakzeptabel, dass Schüler*innen aus ihrem Umfeld gerissen werden, ihre Freund*innen und ihre Bildungschancen verlieren. Kinder und Jugendliche, die hier leben, in die Schule gehen, ihre Ausbildung machen sind von hier – ohne Wenn und Aber. Besonders der Fall von Ajla, die nach der Matura eine Ausbildung als Sozialarbeiterin machen will, ein Job, der mehr als gefragt ist, auch bei uns in der Volkshilfe Wien, lässt mein Unverständnis für die Abschiebepolitik der Bundesregierung weiter anwachsen, und dagegen protestieren.“