„Das weiße Dorf“ kann endlich im Theater Drachengasse live und analog gespielt werden.
Parallelgesellschaften – diese Bezeichnung wird in der polit-medialen Öffentlichkeit fast immer abwertend für Communities von zugewanderten Menschen verwendet. Wirklich abgehoben, oft fast jenseitig spielt sich hingegen das Leben (Super-)Reicher oder solcher, die sich zur „feineren Gesellschaft“ zählen ab. Fast nach dem Motto „Eure Armut kotzt mich/ uns an“.
Blicke in einen solchen Mikrokosmos eröffnet Teresa Doplers „Das weiße Dorf“, das nun endlich real und analog im Theater Drachengasse (Wien) erlebt werden kann (Regie: Valerie Voigt) – im Vorjahr wurde es aus den bekannten Gründen (C und L) für eine Video-Aufzeichnung gespielt.
Die Autorin siedelt ihr 2-/4-Personen-Stück auf einem Luxus-Kreuzfahrtschiff an, das den Amazonas befährt. Wobei es eigentlich egal wäre, wo das Schiff unterwegs ist. Ruth und Ivan, einst ein Paar, die nun mit neuen Partner:innen hier zufällig aufeinander treffen, interessieren sich weder für Menschen noch für Landschaften hier, ja erstere verachten sie sogar. Beide genießen, dass sie sich diese Fahrt leisten können, einmal entspannen vom Stress ihrer jeweiligen Jobs als ach so erfolgreiche Führungskräfte.
Und sie finden rasch (wieder) Gefallen aneinander – mit der Aussicht auf und knisternden Gesprächen über mehr. Mit so manch bewusst gesetztem scheinbar unfreiwilligen Humor in Gehabe und Art des Redens, die Borniertheit demaskiert.
Bevor Naemi Latzer und Johannes Benecke in skurrilen Plastik-Fische-Badeschlapfen die schmale Bühne, die die Reling des Luxusdampfers bildet, betreten, stand schon ein paar hier – Alberto Cissello und Paula Dominici. Scheinbar sprachen aber schon Ruth und Ivan aus ihnen – Stimmen aus dem Off. Sie tauchen ab – in den großen mit rund 1000 Liter Wasser wenige Zentimeter gefüllten Bereich zwischen den beiden Sitzreihen-Hälften des Theaters (Bühne, Kostüme: Thomas Garvie).
Im ersten Moment wirkt es, als wären diese beiden die jeweils neuen Partner:innen Ben und Lea, doch in ihrem praktisch die gesamten 1 ¼ Stunden durchhaltenden atmosphärischen wortlosen nahen Tänzen spielen sie viel mehr die weitergesponnenen Vorstellungen von Ruth und Ivan (Musik: Scott Douglas Gordon). Mit dem Höhepunkt aus fast ekstatischem Aufpeitschen von Wellen und Rauspritscheln in Richtung Publikum als die beiden an der Reling von einer möglichen gemeinsamen Nacht phantasieren. Das Agieren dieser beiden, die meistens im Schatten agieren, findet möglicherweise zu wenig Beachtung, weil ihre Alter Egos im Rampenlicht agieren und sich dort auch in Szene setzen.
Ruths und Ivans Traum wäre es, extemporieren sie, gemeinsam einen Sommerurlaub in einem vollkommenen durchgängig weißen Dorf in Spanien zu erleben. Was kümmert sie der Amazonas, die Menschen in den Dörfern am Ufer, was ihre mitreisenden Partner:innen, ja letztlich sehen sie in der scheinbaren Vertrautheit der/des anderen frisch nichts anderes als Bestätigungs-Gegenüber, Spiegelungen ihrer selbst. Ich bin mir nicht nur selbst die/der Nächste, sondern mehr als genug.
von Teresa Dopler
Regie: Valerie Voigt
Es spielen:
Ruth: Naemi Latzer
Ivan: Johannes Benecke
Sprachloses Tanzpaar im Wasser: Alberto Cissello und Paula Dominici
Bühne, Kostüme: Thomas Garvie
Choreografie: Karin Pauer
Musik: Scott Douglas Gordon
Regieassistenz: Theresa Kraus
Rechte bei Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH
Bis 5. Februar 2022
Theater Drachengasse: 1010, Fleischmarkt 22/Eingang Drachengasse 2
Tickets:
Telefon: 01 513 14 44
karten@drachengasse.at