Aus traurigem Anlass – der Autor Erwin Riess (65) ist tot – Neu-Veröffentlichung dieses Textes: Auftakt zur „Szene Österreich“ in den Wr. Neustädter Kasematten mit Erwin Riess‘ „Herr Grillparzer fasst sich ein Herz und fährt mit einem Donaudampfer ans Schwarze Meer“.
Eine der langgezogenen Gewölbe-Röhren in den Wiener Neustädter Kasematten (ehemalige dick-mäurige teils unterirdische Wehranlage) wird seit Donnerstagabend (24. Februar 2022) zu einem „Schiff“. Quer-bestuhlt und bespielt erlebt das Publikum eine 1 ¼ -stündige „Generalflucht“ des vom Namen her berühmten von seinen Stücken und Texten her viel zu wenig bekannten Dichters Franz Grillparzer (1791 bis 1872). Er will mit einem Donaudampfer – zumindest – bis ins Delta (nein, keine Corona-Metapher, sondern „nur“), die Flussmündung am Schwarzen Meer.
Die bedrückende Enge im monarchischen Wien und das „vermaledeite Archiv, diese Höhle, in die ich abgeschoben wurde wie ein lästiges Haustier, auf der Flucht vor dem kriecherischen Beamten…“, lassen den Dichter diese Reise antreten. Und doch wirkt er auch hier nicht glücklich. Mit sich und der Welt unzufrieden lässt Autor Erwin Riess in „Herr Grillparzer fasst sich ein Herz und fährt mit einem Donaudampfer ans Schwarze Meer“ Grillparzer in seinem bitterbösen Text gegen Engstirnigkeit auf eine aufgeweckte junge Stewardess treffen. Csilla Szilágyi, deren Namen er zwar einfordert, ihn aber ebenso wie ihren Herkunftsort Márosvásárhely ins Lächerliche zieht und sich dennoch nie merken will, hingegen strotzt vor Lebensfreude, Neugier und hat dennoch auch eine Fluchtgeschichte. Auch sie rannte vor der Enge ihres Heimatortes – und nur zart angedeutet – vor sexueller Bedrängnis durch den örtlichen Pfarrer davon.
Soweit die Grundgeschichte. Im Zentrum jedoch steht Literatur, die Beschäftigung mit Text und Sprache. Der Dichter schreibt an Bord, die Stewardess zeigt sich daran mehr als interessiert, lernt vom doch sich schrittweise öffnenden alten Grantler (sehr authentisch gespielt von Horst Schily) liebend gern Formulierungen, dient sich ihm als Schreiberin seiner Gedankenflüsse an und beginnt selber zu schreiben. Verschmitzt strahlt Saskia Klar aus, dass sie eigentlich doch mehr weiß, als sie als naive Stewardess vorgibt.
„Szenische Skizze“ nennt sich die Art der Aufführung, in der die beiden (fast) immer die Zettel mit dem Text in Händen halten. Und das wirkt sehr stimmig als Illustration dafür, dass sie ja gerade an solchen schreiben. Untermalt, verstärkt, unterbrochen werden Szenen immer wieder von einer Live-Pianistin. Raphaela Schober spielt gefühlvoll Kompositionen von Erik Satie. In früheren Inszenierungen an anderen Orten spielte Jérôme Junod, der hier wieder die Szenerie eingerichtet hat, selber. Neben Bett, Tisch und Koffern der Schiffskabine hängt eine Art Scherenschnitt-Landschaft des Donau-Ufers an Drähten (Ausstattung: Lydia Hofmann) und mit jeweils einem Schubser durch die Stewardess pendelt die hin und her, als würde das Schiff ein wenig schwanken 😉
Follow@kiJuKUheinz
Erwin Riess über Franz Grillparzer – Video anlässlich der Aufführungen seines „Kammerspiels“ 2016 am Thalhof – für Saslon5.at
Homepage von Erwin Riess
Szenische Skizze; 75 Minuten, keine Pause
wortwiege
Text: Erwin Riess
Schauspiel:
Franz Grillparzer: Horst Schily
Csilla Szilágyi, Stewardess am Donauschiff: Saskia Klar
Live-Klavier: Raphaela Schober
Einrichtung: Jérôme Junod
Ausstattung: Lydia Hofmann
Licht: Lukas Kaltenbäck
Mit freundlicher Genehmigung von Thomas Sessler Verlag, Wien
25. und 27. Februar 2022
10., 12. und 13. März 2022
Kasematten Wiener Neustadt: 2700, Bahngasse 27
wortwiege -> Herr-grillparzer/
Theodora Bauer / wortwiege
3. bis 12. März 2022
Drei hoffnungsvolle Burgenländer:innen brechen in den 1920er Jahren auf, um in Amerika ihr Glück zu suchen.
Die Kasematten (ehemalige unterirdische durch dicke Mauern und Gewölbe gesicherte Wehr-Anlage) in Wiener Neustadt werden seit ihrer Renovierung und Zugänglichkeit vor zwei Jahren mit Kultur bespielt. „Wortwiege“ startete damals mit dem Festival „Bloody Crown – Europa in Szene“ über Aufstieg und Fall von (König-)Reichen, mit jeweils historischen bzw. zeitgenössischen Texten. Seit diesem Jahr wird das Programm um einen Zyklus „Szene Österreich“ erweitert.