„Alice Ensemble“ spielt im Dschungel Wien eine in die Gegenwart und ein Internat versetzte Version der berühmten Geschcihte über Liebe und verfeindete Gruppen von William Shakespeare.
Schon der Titelzusatz „- WTF?!“ verspricht, dass diese eineinhalb Stunden von Shakespeares „Rome und Julia“ recht jugendlich daherkommen. Und, es ist tatsächlich kein Marketing-Schmäh des Alice-Ensembles. Die sechs Schauspielerinnen, die sich in diesem Fall einen externen Regisseur dazu geholt haben, verlegen die Handlung in die Gegenwart (inklusive einer Art Video-Serien-Intro zu Beginn und ungefähr jede halbe Stunde) und in ein Schulinternat – genannt Escalus (wie Shakespeare den Prinzen von Verona nannte). Die verfeindeten Familien Capulet (Julia) und Montague (Romeo) werden zu Banden, die einander – choreografisch meisterhaft – bekämpfen und übelst die eine oder andere mobben.
Die Sprache bleibt jene einer der bekannten Übersetzungen des Originals, also bei weitem keine Alltagssprache. Wenngleich nicht immer alles deutlich verständlich auch in der letzten Reihe ankommt, geht nichts verloren, weil die sechs Schauspielerinnen sehr körperlich, kraftvoll und spielfreudig agieren und so ohnehin verständlich vermitteln, worum’s gerade geht.
Flott, teils fast akrobatisch, keine Sekunde langweilig und durchwegs sehr glaubhaft verkörpern Viktoria Hillisch den Romeo, Leonie Reiss die Julia, Sophie Isermann Julias Amme, meist Anne genannt (was anfangs zu Verwirrung führen kann, weil doch weit verbreitet ist, dass das türkische Anne auf Deutsch Mutter heißt). Letztere reißt alle fast von den Sitzen, wenn sie angesichts der vermeintlich toten Julia einen durch Mark und Bein gehenden, gellenden Schrei loslässt.
Zu den drei Genannten gesellen sich drei weitere Kolleginnen, die jeweils in zwei verschiedene Rollen schlüpfen, und auch diese Wechsel überzeugend spielen: Denise Neckam als Benvolio (einen der Montagues) sowie Paris, mit dem die Capulets ihre Tochter verheiraten wollen; Astrid Nowak als Tybalt, einen der Capulets, sowie als gestrenge Mutter Julias (die die Vater-Anteile aus Shakespeares Stück mit in ihre Person integriert) und schließlich Caroline Weber als Romeos Freund Mercutio und als Bruder Lorenzo. Letzterer ist ja der Vertraute, der Julia und Romeo heimlich traut und die List ersinnt, dass sie für 24 Stunden scheintot wird, damit sie Paris nicht heiraten muss.
Hier ergibt sich eine dramaturgische (Regie: das Ensemble und Richard Schmetterer) Schwäche, denn Romeo, der aus der Stadt verschwinden musste, glaubt ja, dass Julia tot ist, weil ihn der Brief nicht erreicht, indem der Pater diesen Trick erklärt. Doch warum ein Bote mit dem geheimen Brief, wenn in der Jetztzeit im Stück alle immer wieder mit Handys herumrennen und sie auch benutzen?
Dass sechs Frauen auch alle Männer-Rollen spielen, spielte in einem der Nachgespräche mit Schulklassen kaum eine Rolle – und ist ja auch nichts anderes als die Umkehr aus der Shakespeare’schen Zeit, wo Frauen noch gar nicht auf die Bühne durften und daher Männer auch in die Frauenrollen schlüpften. Abgesehen davon, dass Schauspiel genau davon lebt, andere Figuren zu verkörpern.
Was ein wenig zu kurz kommt und gegen Ende ziemlich verloren geht: Dass diese Liebe so abenteuerlich, heimlich über die Bühne gehen muss und obendrein tödlich endet, ergibt sich ja „nur“ daraus, dass die beiden Gruppen miteinander zutiefst verfeindet sind. Und bei Shakespeare am Ende immerhin beide deutlich machen, welcher Blödsinn das war, der ihnen mehrere Tote, einschließlich der eigenen jugendlichen Kinder, einbrachte. Und leider in vielen Inszenierungen fehlt, in manchen sogar in einem gemeinsamen Versöhnungsessen endet.
Alice Ensemble
Schauspiel, ab 13 Jahren; 1 ½ Stunden
Regie, Bühne und Ausstattung: Alice Ensemble in Zusammenarbeit mit Richard Schmetterer
Es spielen
Amme, genannt Anne: Sophie Isermann
Benvolio (Montague)/ Paris: Denise Neckam
Julia: Leonie Reiss
Mercutio/ Pater Lorenzo: Caroline Weber
Romeo: Viktoria Hillisch
Julias Mutter/ Tybalt (Capulet): Astrid Nowak
Choreografie: Alice Ensemble und Till Frühwald
Musik: Victor Weiss
Licht: Christo Novak
Bis 8. April 2022
Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: 01 522 07 20-20