Theaterkollektiv „Bum Bumb Pieces“ spielt und singt in der Serie „Songs About Places“ über alte (Abriss-)Häuser und deren Geschichte.
Das Publikum versammelt sich auf dem schmalen Gehsteig vor dem Haus Ungargasse 34. Manche gehen auf di gegenüberliegende Straßenseite um das Objekt, um das sich die Performance in den kommenden nicht ganz zwei Stunden dreht, zu fotografieren. Es wird ein Abgesang – in Würde und Wertschätzung – auf die Gastwirtschaft „Zum Alten Heller“.
Das Theaterkollektiv Bum Bum Pieces inszeniert solche Trauer- und Würdigungsfeiern auf Gebäude, die teils schon abgerissen sind oder davor stehen, einem Neubau weichen zu müssen, schon seit einigen Jahren – bisher in Wien, Graz und Eferding.
Das Bühnenszenario ist immer gleich: In unmittelbarer Nähe – im Normalfall ist vor dem jeweiligen Objekt kein Platz um noch dazu vor Publikum zu spielen – steht ein großer Tisch mit einer „Schiene“ aus mehreren verbundenen Fahrradketten. Davor eine Zeitleiste, auf der ein Pfeil ins jeweilige Jahrzehnt gekurbelt wird. Dazu ein Schauspieler (Martin Brachvogl), der als Mischung aus Pfarrer und Chronist historisch verbürgte Daten und Fakten aus einem dicken alten Aktenordner verkündet, sowie der Musiker Robert Lepenik (Komposition und Gitarre) und Nora Winkler, die sowohl musiziert (Akkordeon, Flöten) als auch schauspielt, mitunter auf dem Tisch turnt und Häuser aufstellt, verschiebt, fallweise auch das jeweilige Objekt sich über den Kopf stülpt und so zur Stimme des Hauses wird.
Rund um Pfingsten gab’s also die berührende Geschichte rund um dieses (Gast-)Haus, dessen „Geburtsstunde“ im Jahr 1776 verortet wird – als Landstraße 435 in Niederösterreich – von Beginn an als Gasthaus, damals mit dem Namen „Zur ungarischen Krone“. Fast 100 Jahre später (1863) bekommt das Haus – nunmehr gehört dieser Teil zu Wien – die Adresse Ungargasse 34.
Das Team des Theaterkollektivs, namentlich Miriam Schmid, recherchiert, wenn die Gruppe auf ein mögliches Objekt einer Performance auserkoren wird, intensiv in den diversen Archiven. So wird das Leben in und rund um ein solches Haus liebevoll vor den Augen und Ohren des Publikums lebendig.
Gespielt wurde dieses Mal in unmittelbarer Nähe im Garten der mdw, der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, deren alte Gebäudeteile vormals die veterinärmedizinische Uni, also die tierärztliche Hochschule beherbergte. Die oben beschrieben Szenerie war übrigens auf jenem Teil der Grünflächen aufgebaut, in dem gleich daneben jahrelang als Zwischennutzung das 3-Raum-Theater Hubsi Kramars im alten Sezier-, und manchmal dem alten steil ansteigenden Hörsaal sowie dem Foyer desselben spielte.
Zurück zum „Alten Heller“, der nach ungarischer auch noch Kaiserkrone hieß, bevor er den 1938 den aktuellen Namen bekam. Heller hatten die Besitzer geheißen, in diesem Jahr übernahm die Tochter der Hellers, Frau Waller, das (Gast-)Haus. Heller war übrigens auch die Bezeichnung der Währung bis 1925.
Apropos Währung – in den „Songs About Places“ wie die Theatergruppe diese Serie der Trauerfeiern für Häuser nennt, bauen sie immer auch Grundnahrungsmittel und ihre Preisentwicklung in ein Lied ein und so erfahren wir, dass ein Laib Brot beim Greißler in der Ungargasse 18 Heller im Jahr 1900 und sieben Jahre später bereits um die Hälfte mehr und 1925 sogar fast das 300-fache gekostet hat (5300 Heller). Die Reihe wird dann in Groschen, Pfennig und Schilling bis 1994 fortgesetzt.
Ein Familienrezepte für Kalbsrahmbeuschel wie Auszüge aus der Speisekarte werden dargebracht sowie über Zusammenkünfte verschiedenster Vereinigungen, etwa regelmäßige Treffen samt Vorträgen der Mykologischen Gesellschaft (Pilzkunde) oder nach Schilderung des Endes vom (Gast-)Haus im Jahr 2016 als Rückblende eine ausführliche Darstellung der Feier des 40-Jahrjubiläums des Hausbesorgers Anton Bürger aus der Eslarngasse 28.
Eine der Stammgäst:innen – und ihre Arbeit – wird genauer beschrieben, hat sie doch selbst detaillierter über diese Gegend geschrieben: Ingeborg Bachmann, die dieses Grätzel in ihrem Roman „Malina“ verewigt hat. Und es wird gar ein Zusammenhang mit einer anderen Berühmtheit hergestellt, der Wiener-Lied-Sängerin Maly Nagl, die angeblich Inspiration für den Namen des Roman-Protagonisten Bachmanns gewesen sein soll.
Das Team von Bum Bum Pieces ist übrigens immer wieder auf der Suche nach solchen Objekten, die Geschichte haben und es (bald) nicht mehr gibt.
Zum Alten Heller
Konzept: Bum Bum Pieces (Simon Windisch und Nora Winkler)
Regie: Simon Windisch
Recherche: Miriam Schmid
Kostüm- und Bühnenbild: Rosa Wallbrecher
Komposition: Robert Lepenik
Mit: Martin Brachvogel, Nora Winkler, Robert Lepenik
Kulturvermittlung: Teresa Lukas
Produktion: Mascha Mölkner, Bernhard Werschnak
Regieassistenz: Carmen Schabler