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Szenenfoto aus "Wir Drei"
Szenenfoto aus "Wir Drei"
28.10.2024

Beziehungsstatus: Es ist sehr kompliziert

Österreichische Erstaufführung von „Wir Drei“ von Elsa Bernstein im ältesten, kleinsten Wiener Kellertheater, „Experiment – Theater am Liechtenwerd“ (Wien-Alsergrund).

Während die Begegnungen der jungen Frau Agnes (Veronika Zellner) mit ihrem Ehemann Richard Ebner (Paul Wiborny) eher von Kühle und Distanz gekennzeichnet sind, liegt Prickeln in der Luft, wenn die junge, vielumjubelte Bühnenautorin Sascha Korff (Lisa-Marie Bachlechner) das Ehepaar besucht, den Raum betritt, vielmehr erobert. Hier bin ich! Und (fast) nur ich! Sozusagen. Der Ehemann scheint die Besucherin weit mehr als zu verehren, eher zu begehren. Die scheint aber viel mehr Wert auf den Kontakt zu Agnes zu legen. Die wiederum das ziemlich kalt lässt.

Österreichische Erstaufführung

„Wir Drei“ heißt dieses Stück, das derzeit (bis 2. November 2024) im „Experiment – Theater am Liechtenwerd“ (Wien-Alsergrund) gespielt wird. Große Fragezeichen ergeben sich aufs erste, wenn es dabei „österreichische Erstaufführung“ heißt. Kann das sein? Immerhin hat Elsa Bernstein (1866 – 1949), geborene Porges, unter dem Pseudonym Ernst Rosmer – inspiriert von Henrik Ibsens „Rosmersholm“ – das Stück als ihr Erstlingswerk 1891(!) veröffentlicht (Wikipedia zufolge zwei Jahre später), aber jedenfalls vor mehr als 130 Jahren. Und dennoch erfolgte selbst die Uraufführung erst 2003 (!) – im Solana Theater in Köln (Deutschland).

Teamfoto - auf und hinter der Bühne - von
Teamfoto der Mitwirkenden, Regisseurin vorne sitzend mit rotem Pulli

Lange gesucht

Und nun die Erstaufführung Österreichs im wohl kleinsten (49 Sitzplätze) und ältesten (seit 1956) Kellertheater Wiens. Regisseurin Stefanie Elias hat wie sie Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erklärt, „bewusst nach einer weiblichen Autorin aus der Zeit der Jahrhundertwende/Naturalismus gesucht, da ich persönlich großen Wert auf die weibliche Perspektive lege.“ (Elias betreibt auch den Podcast „weibs:bilder – von bitches und queens“ mit.) Bei dieser Suche stieß sie auf viele Frauen, aber – zunächst – lange auf keine Dramatikerin.

Dann also Elsa Bernstein, deren Stücke – nicht zuletzt „Königskinder“ – sogar viel gespielt wurde. „Ich fand gleich ihre ganze Biografie so spannend! Die Tatsache, dass sie zu Lebzeiten so bekannt war und nun in Vergessenheit geraten ist, ist so bezeichnend dafür, wie der literarische Kanon bestimmt, wer die Zeit überdauert und wer nicht – als Frau, noch dazu mit jüdischen Wurzeln, hat man da schlechte Chancen. Sie wurde als Jüdin geboren, hat als Kind mit der ganzen Familie zum Protestantismus gewechselt und als Erwachsene zusammen mit ihrem Mann als Atheistin gelebt – trotzdem wurde sie von den Nazis verfolgt und kam ins KZ (erst Dachau), wo sie durch ihren Prominentenstatus (in Theresienstadt) überlebte.“

Drei Ecken oder „nur“ eine Person?

Was als Dreiecksbeziehung und (Homo-)Sexualität im Ankündigungstext zu lesen ist, wirkt höchst ungleichgewichtig, ist davon doch bei Agnes gar nichts zu spüren. Und dies liegt nicht am Schauspiel, wenngleich die Textlawinen (126 Seiten), die zu 2 ½ Stunden (¼ Stunde Pause) Dauer führen, hin und wieder doch mehr Text als Gefühl transportieren. Großartig sind die vier Darsteller:innen hingegen dann, wenn sie die Gefühle ihrer Rollen das Publikum auch spüren lassen.

Das komplizierte Beziehungsgeflecht – Sascha brachte Agnes und Richard zusammen, hat sie ihrer Ansicht nach sogar füreinander ausgesucht – und doch setzt sie sich mittendrein – könnten aber vielleicht auch „nur“ Anteile einer Person sein, vielleicht sogar der Autorin selbst. Immerhin lässt sie hier ihre Sascha Korff Erfolg für das Drama „Königskinder“ haben – das Bernstein bald nach „Wir Drei“ veröffentlichte.

Wunschtraum

Richard begehrt an Sascha möglicherweise nur, was ihm selber (noch) nicht gelingt: Große Anerkennung für eigene Texte. Sascha will sowieso und immer im Mittelpunkt stehen und eigentlich geht es ihr immer nur um sie selber. Und dennoch beneidet sie Agnes um eine unaufgeregte, wenngleich durchaus langweilige Ehe mit Aussicht auf Kind(er). Ja sogar in der Tragik von Agnes Totogeburt konkurriert sie mit einer erzählten – angeblichen – Abtreibung.

Aufgesetztes Ende

Als vierte Figur zu den drei genannten Protagonist:innen hat sich Elsa Bernstein Agnes‘ alte Haushälterin, die diese schon seit Kindertagen begleitet, ausgedacht. Betty Hofstetter, herb-herzlich gespielt von Helga Grausam. Das Ende mit der Rückkehr Richards zu Agnes nach der Scheidung wirkt dann doch ein wenig aufgesetzt. Noch dazu, wo Agnes immer und immer wieder nach der Totgeburt ihres Kindes nichts sehnlicher wünscht als „Stille“ und Richard Schuldeinbekenntnisse quasselt und quasselt.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Wir Drei

von Elsa Bernstein (Ernst Rosmer), 1891
2½ Stunden (¼ Stunde Pause)

Regie: Stefanie Elias

Agnes Eber: Veronika Zellner
Richard Ebner, ihr Ehemann: Paul Wiborny
Sascha Korff: Lisa-Marie Bachlechner
Betty Hofstetter, Haushälterin von Agnes Eber: Helga Grausam

Bühne: Erwin Bail
Lichtdesign und Technik: Andreas Seidl
Abendspielleitung: Alice Schneider

Wann & wo?

Bis 2. November 2024
Di – Sa.; 1. November spielfrei
Experiment – Theater am Liechtenwerd
1090, Liechtensteinstraße 132
Telefon: 0664 908 23 63 (Erwin Bail)
0676 540 2631 (Fritz Holy)

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