„Full House“ ist eine wunderbare neuzeitliche Fabel der Theatergruppe „Eléctrico 28“, entstanden in einer Grazer Wohnanlage.
Herr Hund ist der Hüter der Mülltrennung. Und ganz schlecht auch Nachbar:innen zu sprechen, die Bioabfälle in die Restmülltonnen werfen. Die Nachbar:innen: Frau Pferd und Koala, eine Jugendliche. Das Trio bevölkert die Bühne in einer Art dreiteiligem Container, mit drei Kabinen. Davor Rollos, wenn die Tür zu ist auch mit einem Klappfenster. So präsentiert sich „Full House“ beim Wiener Kultursommer. (Leider nicht mehr zu erleben – zumindest heuer.)
Pferd, also eigentlich Stute, kommt von einem Spazierritt quer durch die Publikumsreihen auf die Bühne. Sie liebt es zu kochen. Blauer Rauch steigt aus ihrem Topf.
Die junge Koala’rin schaukelt in die Szenerie, beginnt die Hausfassade mit Blumen zu verzieren, was dem griesgrämigen Hund auch nicht so ganz gefällt.
Was und wie passiert, wie sie streiten oder sich (wieder) vertragen ist schon nicht unspannend. Getoppt wird es aber durch die Art der Kommunikation. Neben der Bühne sitzt ein musizierender Schauspieler mit Ukulele, Mikrofon und kleinen Mischpulten. Das Stück der Gruppe „Eléctrico 28“ (dazu später) kommt die ganze Stunde ohne gesprochene Worte aus. Ob die entsprechenden Geräusche, vor allem aber auch mögliche Dialoge oder auch Selbstgespräche der handelnden Figuren, alles erzeugt der Musiker (Siruan Darbandi) – sei es mit seinem Instrument, den elektronischen Geräten, vor allem aber mit seiner Stimme – ohne je ein Wort zu sagen. Genial eines der ersten Zusammenspiele zwischen Hund und Musiker. Die Figur schleppt ein uraltes tragbares Radio heran und dreht das Rad, um einen Sender zu suchen. Ob das Rauschen, Pfeifen oder die unterschiedlichsten Musiksender – alles „nur“ Werk des Musikers.
Nach rund zwei Drittel des Spiels kommt von außen ein Fremder, ein Tiger (Josep Cosials) mit einer ähnlichen Behausung wie das Trio, aber lediglich aus Karton als viereckigem Rucksack. Kaum will der Tiger der jungen Koala-Frau (Alina Stockinger), die Blumengirlanden an der ganzen Fassade anbringen will, einen Hammer aus seinen Beständen reichen, schon zittert sie vor Angst, bis er das Werkzeug wieder wegpackt. Als er seinen kleinen Kugelgriller auspackt und zu kochen beginnt, produziert er rosa Rauchwolken.
Tigers Einladung zu Getränken mit Trinkhalmen wird erst von Koala, dann auch von Pferd angenommen. Hund (Daniela Poch) hat sich in seinem Abteil zurückgezogen. Zögerlich nähert sich Koala an seine Tür an, klopft – und seeeehr misstrauisch, aber doch… Happy End – gemeinsames „Z’amm, z’amm, z’amm…“
Als Frau Pferd (Ana Redi-Milatović) nun auch noch geschnittenen Karotten auf einem Teller zum Verzehr anbietet, naja – da wird es Zeit, die Masken (Ivana Kovalčik) zu lüften.
Die Fabel „Full House“ ist im Grazer Gries-Viertel entstanden, erzählen Siruan Darbandi und Alina Stockinger Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… Eine Hausverwaltung engagierte die Künstler:innen, um Konflikte in einer Wohnanlage einmal anders zu beackern. Die Gruppe „Eléctrioc 28“ (benannt nach einer Straßenbahn in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon, wo einige aus dem Ensemble eine Zeitlang lebten), bekam eine kleine Wohnung für ein Monat, um dort proben zu können. Und eine Liste der häufigsten Konflikte in der Anlage. Vom Streit um Mülltrennung über Lärm, Gerüche und private Nutzung gemeinschaftlicher Räume usw.
Daraus bauten die Künstler:innen das Stück. Bald war klar, ähnlich einer Fabel, die Konfliktsituationen ins Tierreich zu übersiedeln. Verfremdet und doch erkannten sich die Bewohner:innen und ihre Troubles – bei den Aufführungen im Innenhof, zu denen jede und jeder persönlich – bereits mit Tiermaske – eingeladen worden war, ganz gut wieder. Samt den Auswegen. Großer Anklang bei den Betroffenen.
Dann spielte das Ensemble das nonverbale Stück bei einem großen spanischen Theaterfestival – und wurde von dort weg vielfach engagiert. „Wir haben das dann in verschiedenen Städten Spaniens sicher mindestens 50 Mal gespielt“, so Stockinger zum Reporter, bevor sie zum Rapport gerufen wurde, um mit ihren Kolleg:innen die vielen Utensilien der Bühne in den Transporter mit einzuräumen.
Würde sich sicher auch gut für eine Tour durch Wiener Wohnanlagen eignen – sozusagen als Wiederauferstehung des Gemeindebautheaters vielleicht, das vor rund zweieinhalb Jahrzehnten mit Dario Fo und Franca Rame-Stücken sowie dem Schmetterlinge Kindertheater in den Höfen spielte. Eventuell könnte es einen passenderen Titel geben – die Mischung aus Full House und Eléctrico 28 lässt möglicherweise eher an ein Musik-Event erinnern.
Eléctrico 28
Künstlerische Leitung: Ana Redi-Milatović
Hund: Daniela Poch
Pferd: Ana Redi-Milatović
Koala: Alina Stockinger
Tiger: Josep Cosials
Musik & Sound: Siruan Darbandi
Masken: Ivana Kovalčik
Dramaturgie: Ana Redi-Milatović, Sergi Estebanell, Alina Stockinger
Bühnenbild: resanita & dageko.gmbh, Tony Murchland
Kostüme: resanita & Eléctrico 28
Dramaturgische Beratung: Josep Cosials, Montolio und Daniela Poch
Idee: ARGE do.it.to.do.do & Ana Redi-Milatović
Produktion: ARGE do.it.to.do.do (Georg & Dagmar Kotzmuth) & Eléctrico 28
Koproduktion: theaterland steiermark