„Da steht er, zwischen den anderen, eine grün-weiße Raupe mit Zyklopenauge, schief am Stammplatz, du hast es eilig gehabt. Dein Bus ist mutterseelenallein, schwach beleuchtet. Ich habe ihn an den Post-its erkannt, sie kleben an der Windschutzscheibe und am Armaturenbrett. Ich gehe langsam auf ihn zu, hole die Stange aus dem schwarzen Rucksack, leger auf einer Schulter, lege das Eisen ans Gummi der Tür, es gibt leicht nach, ganz einfach, ich stemme die Tür auf, wie du es mir gezeigt hast und steige ein, dein Platz ist frei, aber ich sehe dich noch sitzen, verschmolzen mit dem bedruckten Stoffsitz. Direkt über dem Fahrersitz ist eine Sonne gezeichnet, dein eigener Stern…
Ich habe erst nach zwei Wochen meines neuen Schulwegs erkannt, dass immer du da vorne sitzt und fährst, immer im selben Bus, wie hast du das geschafft, habe ich dich gefragt, wenn du lange genug dabei bist, bist du frei irgendwann. Die Leute bemerken dich nicht mehr, so bist du mit dem Bus verwachsen und er mit dir, hast beobachtet und mitgeschrieben. Notierst die Geschichte, sie klebt gelb um dich rum. Du hast mir ab der vierten Woche eine Bedeutung zugewiesen, ich bin der, der sein Geld nie dabei hat, Schwarzfahrer, der trotzdem bezahlt, mit Kastanien, mit Nimm2, mit Spickzetteln oder einem Wort, ich habe dir nie eine Münze gegeben, du hast gesagt, ich nicht, ich muss mehr zahlen, den höheren Preis, du hast dir das ausgedacht in der vierten Woche, beim achten Mal Geld vergessen.
Unsere Freundschaft, Bekanntschaft, die lief so: Ich steige ein, ich bezahle (ich mache eine Pirouette, gebe dir ein Herbstblatt, sage meine Lieblingseissorten alphabetisch auf, du bestimmst den Preis), du schüttelst mir ernst die Hand, grüßt, ich gehe die Reihen entlang, der Rucksack schief auf den Schultern. Immer derselbe Platz, du links vorne, ich rechts hinten, in Fahrtrichtung. Auf dem Sitz vor mir steht: Lebn ist hart ohne S-Budget Juneberry, und, ich war das nicht, habe ich dir gesagt, als wir Plätze getauscht haben.“
„Sonne über dein Haupt“ ist die Geschichte eines Schülers, der im Chauffeur des Busses, mit dem er in seine neue Schule fährt, einer alternativen Form von Lehrer begegnet. Von ihm lernt er unter anderem, dass es auch andere Formen der Bezahlung gibt, dass es gilt, Freiheit auszusitzen, und erst dann davon gesprochen werden kann, wenn man für die anderen unsichtbar geworden ist.
Sukzessive verwandelt sich das Innere des Busses in eine sonderbare Form von Klassenzimmer, in dem rund um den Fahrersitz auf zahlreichen Post-its Die Geschichte geschrieben steht. Als der Chauffeur eines Tages tatsächlich nicht mehr ist, nimmt der Protagonist dieses Zettelwerk an sich. Zurück lässt er hingegen die Zeichnung einer Sonne, dort, wo sich, knapp darunter, tagtäglich die Halbglatze des Fahrers befunden hat.
Was diesen Text auszeichnet, ist der Mut, erzählerisch alternative Wege zu gehen, das Erblühen einer Beziehung zwischen einem Heranwachsenden und einem Rädchen im Alltagsbetrieb zu schildern und dabei, anstatt auf altbekannte Bilder zurückzugreifen, selbst welche zu erfinden. Auch scheut der Text nicht davor zurück, jene Akteure ins Zentrum zu rücken, die dazu tendieren, Teil des Hintergrundrauschens unseres Lebens zu sein und anzuerkennen, dass gerade ihre Menschlichkeit und die Eigenheit das Gewöhnliche zu etwas Besonderem werden lassen können. Wir tauchen in die Vorstellungswelt eines sich entwickelnden kreativen Geistes ein, der bereit ist mit seinen eigenen Einfällen vorlieb zu nehmen.“
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen