Kinder Jugend Kultur und mehr - Logo
Kinder Jugend Kultur Und mehr...
Szenenfoto aus "Der überaus starke Willibald"
Szenenfoto aus "Der überaus starke Willibald"
29.12.2025

Farm der Mäuse – der Weg in Tyrannei und mögliche Auswege

Gut nachvollziehbare, spielfreudige Bühnenversion des schon vor mehr als 40 Jahren erschienenen Kinderromans „Der überaus starke Willibald“ im Theater der Jugend (Wien).

Einige blau-weiß gemusterte große Fliesen an den vorwiegend grauen Wänden, gaaaanz weit oben eine überdimensionale Steckdose. Projiziert auf einen durchscheinenden Vorhang erscheinen riiiiesige menschliche Waden und Füße. Womit die Größenverhältnisse höchst wirksam abgesteckt werden, denn alles Folgende spielt sich im Reich von Mäusen ab. Ein weiteres beeindruckendes Beispiel aus diesem Bühnenbild (Ulv Jakobsen) bleibt allerdings gut einem Viertel des Publikums – auf der linken Seite der Sitzreihen mindestens bis zur Mitte derselben – leider verborgen: Ein Regal mit zwei Dosen – Bohnen und Mais sowie einem Glas eingelegter Weichseln; schaaaade. Die Mais-Dose kommt wenigstens später als Podest für die Titelfigur in „Der überaus starke Willibald“ im Renaissancetheater ins Spiel.

Sehr gut sichtbar für alle ab 6 Jahren wird dafür in dem Stück (Bühnenfassung und Regie: Sebastian von Lagiewski) nach dem gleichnamigen 120 Seiten starken, leicht lesbaren gleichnamigen Kinderroman von Willi Fährmann (Autor und Pädagoge; 1929 – 2017) ein Mechanismus, wie jemand Demokratie zerstört und sich zum Tyrannen macht.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Der überaus starke Willibald“

Alle kamen zu Wort

Bisher haben die Mäuse liebend gern Fangen und anderes in der Küche gespielt und hatten ihren Spaß am Leben, wenn die Menschen schliefen. Und wenn es galt, eine Entscheidung zu fällen, haben „wir seit Mäusegedenken beraten, alle kommen zu Wort und am Ende stimmen wir ab“, bringt der gewählte Präsident Georg (Leon Lembert) das demokratische Prinzip auf den Punkt.

Das bleibt nicht so, ähnlich wie George Orwell (1903 – 1950) in der viel berühmteren „Farm der Tiere“ (Animal Farm; 1945 erschienen) schildern Buch (1983 veröffentlicht) und Stückfassung angesiedelt im Tierreich, wie Demokratie – und das leider ziemlich schnell – zerstört werden können. Die Titelfigur Willibald, der sich als „überaus stark“ aufspielt, und Josef, der schon zu Beginn die spielenden Mäuse wegen fehlender Disziplin und nur Spielen im Kopf anherrscht, basteln an der Legende einer gar wilden Katze im Garten.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Der überaus starke Willibald“

Ab in die Bibliothek

Bei der großen Gefahr aber würde beraten und reden nicht funktionieren. Es brauche einen der da das Sagen hat. Die verbreitete Angst vor dem Außenfeind lässt viele der Mäuse einknicken. Die einen sind gleich für den Führer Willibald, andere wie Georg besänftigen, das wäre aber nur für diese Gefahrenzeit. Lediglich Lili (nachdenklich, hinterfragend, mutig Lara Haucke) widerspricht. Und wird – noch dazu als einzige weiße Maus mit roten Augen – zum inneren Feindbild auserwählt, gar verdächtigt, mit der Katze „unter einer Decke zu stecken“, und in die Bibliothek verbannt. Nur zum Hackeln darf, nein muss sie in die Küche kommen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Der überaus starke Willibald“

Propagandasprüche

Willibald (herrlich unsympathisch herr-isch und noch dazu kunstvoll dümmlich Sebastian Pass) und vor allem aber sein Ideengeber Josef (gespielt unterwürfig gegenüber dem Boss, gnadenlos zu jeder Art von in-Frage stellen: Valentin Späth) schmieden Abwehrpläne, bei denen alle anpacken müssen. Außer die beiden selbst. Doch auch das traut sich nur Lilimaus anzumerken. Als Philipp (Sebastian von Malfèr) wagt, seiner Kollegin recht zu geben, wird er in die Schranken gewiesen.

Josef, den Autor Fährmann bewusst so genannt hat, erfindet auch zwei Propagandasprüche: „Ein Boss! Ein Haus! Ein Rudel!“ sowie „Flink wie Fledermäuse! Zäh wie Schweineschwarte! Hart wie Käserinde!“ (im Buch statt letzterem Tirolerbrot), die auch nicht zufällig an „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ bzw. „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“ der Nazis und ihres Propagandaministers Josef Goebbels erinnern. Im Buch hat Willibald zudem noch neben Josef eine Hermannmaus in seinem Herrschaftsstab (Hermann Göring war Chef der Nazi-Luftwaffe und Reichswirtschaftsminister).

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Der überaus starke Willibald“

Militarisierung

Disziplin, militärische Übungen, Verteidigungswall aus ausgestreuten Erbsen jede Nacht bauen und in der Früh, bevor die Menschen kommen, wieder einsammeln – nix ist mehr mit Spielen. Da werden auch die treu ergebenen Mäuse – neben den schon genannten noch Friederike (Shirina Granmayeh), einst enge Freundin von Lili und die stets hungrige Karin (Beate Korntner) ein wenig mürbe. Als Philipp dann noch nach langer Beobachtung aus dem Fenster im Garten gar keine Katze ausfindig macht, schleichen die Mäuse mitunter zu Lili in die Bibliothek, die dort in Bilder-Lexika blättert, lesen lernt und Geschichten erzählt. Geschichten, die Mut machen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Der überaus starke Willibald“

Gefährliches Denken

Zu viel sehen, zu viel denken – das finden die Machthaber gefährlich. Noch findet Karin es super, dass ihnen der Boss das Denken abnimmt. Lili wird als Gefahrenherd als „Nichtmaus“ tituliert. Sie beginnt an Flucht zu denken, es gibt doch auch andere graue Häuser und Mäusefamilien, noch dazu wo ihre einstigen Freund:innen zu „Duckmäusen“ geworden sind, „aber das alles zurücklassen…?“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Der überaus starke Willibald“

Kraft von Geschichte(n)

Außerdem schöpft sie Kraft aus gelesenen Geschichten und will dem Tyrannen die Küche und das Haus nicht überlassen. Und so lassen Autor und Regisseur die Geschichte mit dazwischen noch einigen spannenden, gefährlichen Szenen natürlich happy enden, den Tyrannen und seinen Helfer / Einflüsterer / Propagandisten stürzen, wobei die sich selbst zu Fall bringen und zum Prinzip des gemeinsamen Beratens und Beschließens zurückkehren…

Ankündigungsgrafik zu
Ankündigungsgrafik zu „Er ist wieder da“

„Er ist wieder da“

Im April kommt übrigens eine Dramatisierung des Romans von Timur Vermes „Er ist wieder da“ (Bühnenfassung und Regie: Thomas Birkmeir) ins Renaissancetheater (das große Haus des Theaters der Jugend in Wien). In diesem 2012 erschienen satirischen Buch, das bald danach verfilmt wurde, erwacht Adolf Hitler 2011 wieder, meint einen Filmriss zu haben, bis er auf das richtige Datum und nach und nach die weitere historische Entwicklung draufkommt. Wie Menschen auf ihn reagieren – von der Vermutung eines Schauspielers über Erschrecken bis zum Wittern eines möglichen Geschäftserfolges mit ihm spannt sich der Bogen, den Stefano Bernardin spielen wird.

Ankündigungsfoto für das Stück
Ankündigungsfoto für das Stück „Der kleine Diktator“ vom Theater „Die Kurbel“

„Der kleine Diktator“

Schon früher, 9. Jänner bis 19. Februar – zunächst im NordbahnSaal und dann bei Junge Theater Wien in Simmering und Liesing – spielt das Figuren- und Objekttheater „Die Kurbel“ ein selbst entwickeltes Stück namens „Der kleine Diktator“. In der Welt von Schachfiguren rebellieren diese gegen den Schachlehrer, der daraufhin „eine Anleitung zum Chef werden“ erteilt – inspiriert von Michela Murgias Buch „Faschist werden – eine Anleitung“ und mit Anspielungen an Charlie Chaplins „Der große Diktator“.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Der überaus starke Willibald“

Aus der Geschichte lernen?

Natürlich kommt bei Willibald, dem „kleinen“ oder auch „großen Diktator“ und erst recht bei „er ist wieder da“ und vor allem der derzeitigen aktuellen politischen Entwicklung fast weltweit der furchtsame Gedanke auf: Lernt die Menschheit nie aus der Geschichte? Und das häufig wiedergegebene Zitat von Ingeborg Bachmann aus ihrem Roman „Malina“: „Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler.“

Ein Gedanke, der schon mehrfach hier im Zusammenhang mit anderen Stückbesprechungen – „Astoria oder: Geh‘ ma halt ein bisserl unter“ und „Hand made Tyrant“ im Schubert Theater sowie „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (beide Wien) – geschrieben schon Jahrzehnte früher von Antonio Gramsci (1921 in „Ordine Nuovo“) formuliert wurde: „Die Illusion ist das zäheste Unkraut des Kollektivbewusstseins; die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler.“

Willi Fährmann

Der Autor des bereits vor mehr als 40 Jahren erschienen Buches „Der überaus starke Willibald“ hat übrigens einige historische Romane, manche ausgehend von echten leidvollen Erfahrungen von Flucht, Ausgrenzung, Vorurteilen verfasst; u.a. „Das Jahr der Wölfe“, „Kristina, vergiss nicht“, „Es geschah im Nachbarhaus“, „Zeit zu hassen, Zeit zu lieben“.

kijuku_heinz

diekurbel.at

wikipedia –> willi fährmann

INFOS: WAS? WER? WANN? WO? + BUCH-INFOS

Der überaus starke Willibald

von Willi Fährmann; Bühnenfassung: Sebastian von Lagiewski
Ab 6 Jahren; 2 Stunden (inklusive Pause)

Lili: Lara Haucke
Willibald: Sebastian Pass
Josef: Valentin Späth
Philipp: Sebastian von Malfèr
Friederike: Shirina Granmayeh
Georg: Leon Lembert
Karin: Beate Korntner

Regie: Sebastian von Lagiewski
Bühnenbild: Ulv Jakobsen
Kostümbild: Irmgard Kersting
Licht: Christian Holemy
Dramaturgie: Sarah Caliciotti
Hospitanz: Emma Hirt

Aufführungsrechte: Felix Bloch Erben GmbH & Co. KG, Berlin

Wann & wo?

Bis 25. Jänner 2026
Renaissancetheater (großes Haus des Theaters der Jugend)
1070, Neubaugasse 36
Telefon: 01 52110-0
tdj.at –> der-ueberaus-starke-willibald

Trailer

Das Buch

Text: Willi Fährmann
Illustration: Werner Blaebst
Der überaus starke Willibald
Ehrenliste zum Österreichischen Staatspreis für Kinderliteratur
Auswahlliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis
120 Seiten
Ab 8 Jahren
Arena Verlag
8,30 €
eBook: 4,99 €

Zu einer Leseprobe geht es hier

Downlaod von Unterrichtsmaterialien dazu hier