In der „Artenne“, einem Kulturzentrum in einem aus- und umgebauten Stadel im Vorarlberger Nenzing sind künstlerische Arbeiten und Alltagsgegenstände unter dem Titel „Ein Stück Heimat“ zu sehen.
Nenzing, Marktgemeinde in Vorarlberg und das Zentrum von „Luaga & Losna“ (auf Hochdeutsch: sehen und hören), beherbergt aber mehr als dieses Theaterfestival für junges Publikum, das in diesem Herbst (2021) zum 33. Mal stattgefunden hat. Beispielsweise die Artenne, einen zum Kultur- und Ausstellungszentrum umgebauten alten Stadel. Derzeit läuft dort die Ausstellung „Ein Stück Heimat“. Künstlerinnen und Künstler – nicht nur aus Nenzing wurden gebeten, dazu Beiträge, „Stücke“, anzufertigen oder „auszugraben“. Und so hängen an den Wänden Landschaftsbilder ebenso wie grell-bunte-plakatartige Gemälde, die sich bildnerisch kritisch mit dem Begriff selber auseinandersetzen. Von der Decke hängen dreidimensionale Objekte, unter anderem ein weißer Unterrock – mit Schwarz-Weiß-Fotos (Bettina Bohne) bedruckt und an den Wänden rundherum Fotos von Menschen mit mehr oder minder weit entfernten Heimaten – Roma aus Rumänien, die ihre Zelte an der Ill aufgeschlagen hatten – bis sie polizeilich vertrieben worden sind.
Insgesamt werden zwei Dutzend künstlerische Positionen gezeigt, die mit jeweils ganz speziellen Aspekten zum Thema aufwarten. Sprache, Landschaft, Gebäude, Brauchtum und vor allem die Menschen, die an dem Ort leben, prägen den besagten Begriff. Und viele Erinnerungen, die damit verbunden sind. Die Bedeutung von Heimat wird nicht selten erst dann bewusst, wenn man der ursprünglichen Heimat fern ist und plötzlich gewisse Dinge fehlen.
Der Titel „Ein Stück Heimat“ wurde bewusst gewählt, weil er schon nahelegt, dass es viele Heimaten gibt. Zum Ausdruck gebracht wird dies nicht nur anhand der bildnerischen Beiträge, sondern auch durch Musikaufführungen, Lesungen, Vorträge und Wanderungen, die das Ausstellungsprojekt begleiten. Auch sind kurze Statements von Menschen aus der Region oder auch von Schriftsteller:innen wie etwa Monika Helfer oder Daniel Wisser in Audiostationen zu hören, in denen sie ihren Zugang zu „Heimat“ skizzieren.
Darüber hinaus wurden Bewohner:innen eingeladen, ein Objekt mit Text zum Thema beizutragen. So finden sich in einer Vitrine etliche „Heimatkunde“-Hefte der Obfrau des eingangs genannten Kinder- und Jugendtheaterfestivals (über das hier ausführlich berichtet wird). Und ein megafetter Schrauben, den sie aus einer ehemaligen Stahl-Werkshalle ihrer ersten Heimat Duisburg (Deutschland) mitgenommen hatte.
Witzig, verspielt, vielleicht auch verstörend ist ein wunderbar gedeckter Tisch mit unterschiedlichen Speisen – beim Näherkommen sind die Lebensmittel aus Stoff, Wolle, Pappmaché und anderen Materialien 😉 „Gekocht“ haben diese Objekte Schüler:innen der Klasse FÖ2 des Pädagogischen Förderzentrums Feldkirch (PFZF) sowie der Kulturverein ArtCore, der die Web-Plattform „kultur-online.net“ betreibt, in Zusammenarbeit mit der Künstlerin May-Britt Nyberg Chromy.
Der Ausgangspunkt: Esskultur ist ein wesentliches Identifikationsmerkmal für „Heimat“. Im Rahmen eines Doublecheck-Projektes (mit finanzieller Unterstützung des Bundes – OeAD), das die thematische Vorgabe „Europa“ hatte, haben die Jugendlichen mit der Künstlerin untersucht, was die europäischen Nationen so alles kochen und essen. Die Gerichte wurden in der Schule nachgekocht, die Menüs mit unterschiedlichsten Techniken als Objekte nachgebaut und letztlich die Highlights in einem sehr speziellen Kochbuch zusammengefasst.
Die Ausstellung will gar keine neue Definition von „Heimat“ liefern, ist auf der Homepage der Artenne zu lesen. „Aber es sollen Teilaspekte davon sichtbar werden, was „Heimat“ vielleicht alles sein könnte (und was nicht). Wie „identitätsstiftend“ oder auch zynisch entlarvend etwa Volksmusik sein kann, belegt eine Fotoserie des Tiroler Fotografen Lois Hechenblaikner. Für diese Langzeitdokumentation besuchte Hechenblaikner über zwanzig Jahre lang Konzerte und Festivals, an denen die Zillertaler Schürzenjäger, die Kastelruther Spatzen, Andreas Gabalier und immer wieder Hansi Hinterseer auftraten.
Interessantes, fast mysteriöses, Detail abseits der Ausstellung: Bei der Fahrt von Nenzing in Richtung Feldkirch taucht plötzlich nach der Nachbarsgemeinde Frastanz ein Ortsschild Nenzing Heimat auf. Das ist eine Enklave, erklären Nenzinger:innen, wissen aber die Hintergründe auch nicht zu erklären.
Auch der 1962 in Hard geborene Fotograf Gerhard Klocker ist mit einer Langzeitdokumentation in der Ausstellung vertreten. Für sein Projekt „INRI“ lichtete er rund 250 Wegkreuze in Vorarlberg, Tirol und Südtirol ab. Diese Schwarzweißaufnahmen berühren und irritieren abseits des religiösen Hintergrunds, weil Klocker das Mittel der Nahaufnahme gewählt hat, die den Aspekt des Leidens gleichsam in den Vordergrund zoomt. Die finnische Künstlerin Tea Makinpää und die nach Jahrzehnten in Australien nun ins Ländle zurückgekehrte Künstlerin Monika Thomas wiederum haben im Zuge einer Gemeinschaftsarbeit ganz spezielle Wegweiser entwickelt, die Bezug auf die Geschichte des Landes, oder eine verblüffende geografische Besonderheit innerhalb und jenseits des Walgaus nehmen, während der Schrunser Künstler und Kunstforumleiter Roland Haas anhand von großformatigen Acrylarbeiten die schizophrene Bautätigkeit im hochalpinen Bereich ins Bild setzt. Dies sind nur einige von zahlreichen interessanten Beiträgen.
Als eine Art „Sonderschau“ in der Schau wird mit Andreas Amann, Lisa Egger, Karl Heine, Angelo Montibeller, Johann „Hans“ Oberbacher und Albert Rauch auch eine Gruppe von bereits verstorbenen Landschaftsmalern präsentiert, die sich um 1950 und danach vor allem mit dem Walgau als Thema beschäftigt haben. Die Landschaft diente diesen Kunstschaffenden unter anderem als „Projektionsfläche“, um innere Zustände malerisch umzusetzen.“
Reinold Amann, Bettina Bohne, Veronika Dirnhofer, Double Check, Hannes Egger, Alois Galehr, Roland Haas, Luis Hechenblaikner, Cornelia Hefel, Helmut King, Gerhard Klocker, Johannes Ludescher, Tea Makipää, Michael Mittermayer, May-Britt Nyberg, Johannes Rauch, Sarah Schlatter, Monika Thomas, Georg Vith
Schau in der Schau: Andreas Amann (1913-1971), Lisa Egger (1895-1983), Karl Heine (1891-1957), Angelo Montibeller (1904-1991), Johann „Hans“ Oberbacher (1914-2012) und Albert Rauch (1908-1970).
Kurator: Helmut Schlatter
Bis 3. Oktober 2021
Artenne Nenzing: 6710, Kirchgasse 6, im Walgau
Mittwoch und Sonntag, 16 bis 19 Uhr UND bei Veranstaltungen (siehe Homepage)
Telefon: 0664 73574514
artenne.at
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