Gespräch mit zwei Vorstandsmitglieder der neugegründeten Höchschüler*innenschaft Österreichischer Roma und Romnja.
In ihrem Studium transkulturelle Kommunikation wurden eines Tages in einer Vorlesung Zeitungsartikel aus Frankreich diskutiert, in denen berichtet wurde, wie Roma-Siedlungen von staatlichen Behörden platt gemacht wurden. Die Bewohner*innen, praktisch allesamt gebürtige Französ*innen sollten nach Ungarn abgeschoben werden.
„Das war der Zeitpunkt“, so Sladjana Mirković zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … „wo ich mir echt überlegt habe, mich zu outen!“ Kürzlich wurde sie Präsidentin der neugegründeten HÖR, der Hochschüler*innenschaft Österreichischer Roma und Romnja.
Outen war ihr bis dahin nie in den Sinn gekommen mit dem Bekenntnis zu ihrer Volksgruppe in Verbindung zu bringen. Meist wird/wurde es verwendet, wenn es um sexuelle Orientierung abseits der heterosexuellen Mehrheit geht. Outen – ist offenbar immer dann notwendig, wenn Menschen einer Gruppe unterdrückt werden und nicht einfach so sagen können „ich bin – was auch immer“. Manche brauchen’s nicht tun, weil’s ihnen angesehen wird – Hauptfarbe zum Beispiel.
Andere, wie eben Roma und Rom*nja und Sinti*zze, wissen manchmal gar nicht, dass sie dieser europaweit größten ethnischen Minderheit angehören, weil es ihre (Groß-)Eltern aus Angst verheimlichen. Mit 14 Millionen zählt die seit mehr als einem halben Jahrtausend u.a. in Europa lebenden aus einer Reihe unterschiedlichster Gruppen bestehende Community übrigens rund 1½-Mal so viel Menschen wie ganz Österreich an Einwohner*innen hat.
Zu den Letzteren, nämlich den Österreicher*innen, gehören übrigens Roma und Romnja seit 1993 als anerkannte Volksgruppe – leider erst nach dem Mord an vier Roma in Oberwart als Teil der Serie von Brief- und anderen Bomben-Attentaten des Franz Fuchs. Und Jahrzehnte davor, im Faschismus, wurde rund eine halbe Million Angehörige dieser Volksgruppen in den Vernichtungslagern der Nazi ermordet.
Diese bitteren historischen Erfahrungen erzeugen bei so manchen Eltern die Sorge, outen sich ihre Kinder, so könnten sie zur Zielscheibe rechtsextremer Gewalt werden. Zumindest aber würden sie sich mit Vorurteilen konfrontiert sehen, die ein Schlechtteil der Bevölkerung mit solchen wie den Z. verbindet. Das Auftreten gegen das Z-Wort ist übrigens einer der Aufgaben, die sich HÖR gestellt hat, so die Präsidentin zum Journalisten.
In erster Linie aber, so sie und ihre Vorstandskollegin des neuen Vereins, Laura Darvas, „wollen wir sichtbar machen, dass wir auch viele Studierende und Akademiker*innen in unseren Volksgruppen haben.“
Ein bisschen war die JÖH – Jüdische Österreichische Hochschüler:innen – so etwas wie ein Vorbild. Deren damaliger Sprecher, Benjamin Hess, trat mehrmals bei Gedenkveranstaltungen am 2. August auf dem Wiener Ceija-Stojka-Platz als Gastredner auf. Bei seinem ersten Auftritt im Jahr 2017 schrieb ich – damals noch für den Kinder-KURIER: „Ein Redner war Benjamin Hess, Präsident der Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen, der anmerkte, dass bei Nennung der Zahl 6 Millionen die meisten wüssten, dass es sich um die von den Nazis ermordeten Jüdinnen und Juden handelt, während die 500.000 getöteten Roma und Sinti leider noch immer meist nur eine Fußnote im Geschichtsunterricht seien. Niemals vergessen! Dürfe nicht zu einer Worthülse verkommen, verlangte er.“
… war das Motto nicht nur dieser Veranstaltung zum Gedenken an jene Mordnacht vom 2. auf den 3. August 1944, in der die Nazis in den Gaskammern des Vernichtungslagers Auschwitz 2.897 Roma und Sinti ermordet. Deswegen wurde der 2. August zum internationalen Gedenktag an den Roma-Völkermord, dem rund eine halbe Million Angehöriger dieser Volksgruppe zum Opfer gefallen sind, ein Völkermord, der erst vor sechs Jahren vom Europäischen Parlament anerkannt wurde.
Natürlich ist auch diese geschichtliche Aufklärungsarbeit Teil der Aktivitäten von HÖR. In erster Linie aber geht’s ums hier und heute. Dazu zählen wie schon angedeutet Aktionen und Aktivitäten gegen Rassismus bzw. Antiziganismus und dabei Zusammenarbeit mit all jenen zivilgesellschaftlichen Vereinen, Organisationen, Communities. Es gab vor einer Woche eine Podiumsdiskussion mit dem Black Voices Volksbegehren, berichten Mirković und Darvas dem Reporter. „Für einen Tag haben sie uns dann sogar ihren Instagram-Account für ein Take-Over überlassen.
Apropos Podiums-Diskussionen. „Eine solche planen wir auch vor der ÖH-Wahl – gemeinsam mit JÖH – mit den Spitzenkandidat_innen. Erstens allgemein zu wichtigen hochschul- und anderen politischen Fragen, aber auch dazu, wie und was sie im Angebot haben, gegen Diskriminierungen vorzugehen“, so die Präsidentin.
„Und wir wollen uns auch sichtbarer machen, etwa bei Uni-Veranstaltungen aber auch bei der Berufsinformationsmesse“, ergänzt Schriftführerin Laura Darvas, die zu strahlen beginnt, wie sie sich „geehrt gefühlt hat, als ich im Sommer vorigen Jahres gefragt worden bin, ob ich in den Vorstand von HÖR kommen mag“.
Zur Sichtbarmachung von Studierenden und Akademiker_innen ist auch an öffentliche Absolvent_innenfeiern gedacht. Anderen damit Vorurteile nehmen, dass Rom*nja und Sinti*zze nicht auch Hochschulabschlüsse schaffen. Aber auch nach innen in die eigene Community, damit Eltern Wert auf gute (Aus-)Bildung ihrer Kinder legen. So hat vor rund sechs Jahren eine Studie ergeben, dass Angehörige dieser Volksgruppen im Schnitt über niedrigere Bildungsabschlüsse verfügen.
Zur Bildungsarbeit zählen übrigens auch Kurse in der eigenen Sprache – Romanes, Romani oder Roman, die von sieben Millionen Menschen in Europa in rund 30 Variationen – je nach regionaler Sprachenumgebung – gesprochen wird.
In Sachen Community versteht sich HÖR – übrigens der erste Jugendverein, der in dieser Volksgruppe entstanden ist – nicht als Konkurrenz, sondern als Vernetzungsplattform – vom Romano Centro bis zu Kunst- und Kulturvereinen etwa Romano Swato, den ersten feministischen Roma-Theater-Verein namentlich der beiden Schwestern Sandra und Simonida Selimović. Aber auch darüber hinaus als Vernetzungs-Drehscheibe mit anderen teils schon genannten zivilgesellschaftlichen Anti-Diskriminierungs-Organisationen.
Neben den beiden genannten gehören noch Samuel Mago, Saska Dimić und Katharina Graf-Janoska dem Vorstand an, der schon erwähnte Benjamin Hess von JÖH ist außerordentliches Vorstands-Mitglied. Darüber hinaus gibt es, so Mirković einen Ehren-Beitrat aus bekannten und verdienten Aktivist*innen der Roma-Comunity.
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