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Bildmontage aus den Transparenten der Ausstellung im Foyer sowie Blick auf die Ausstellungshalee selber
Bildmontage aus den Transparenten der Ausstellung im Foyer sowie Blick auf die Ausstellungshalee selber
11.05.2024

Bunte Gesellschaftskritik mit viel Humor und vielfältige Kunstbücher

Zu Besuch bei der „Fanzineist Vienna“ im Semperdepot, dem Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste in Wien-Mariahilf; läuft noch bis Sonntagabend (12. Mai 2024).

Grellbunte Plakate in luftiger Höhe empfangen die Besucher:innen in der beeindruckenden Eingangshalle des Semperdepost in der Wiener Lehárgasse, dem Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste zur aktuellen „Fanzineist Vienna“ (noch bis Sonntagabend, 12. Mai 2024 – Details in der Infobox am Ende des Beitrages). Dahinter in der großen Halle auf unbehauenem Bretterboden tummeln sich fast 130 Aussteller:innen aus zweieinhalb Dutzend Ländern, um auf ihren Tischen ihre künstlerischen Graphic Novels, Comics, Fotobände, Kunstbücher, bedruckte T-Shirts, Socken, Taschen und andere künstlerisch gestalteten aussagekräftigen Objekte zu präsentieren.

Viele der Werke haben gesellschaftskritische Aussagen zum Inhalt; ein eigener Bereich nennt sich Queer Quarter. Teil der Ausstellung sind auch Diskussionen, Vorträge und abends Konzerte; vieles versprüht den Charme von Street Art und oft eine humorvolle, ironische Note.

Kopfstoß fürs Patriarchat

So springt dich gleich an einem der ersten Tische in einer der sechs langen Reihen ein dunkler Kreis auf weißer Stofftasche an. In pinker Schrift groß zu lesen: „I’m stupid and you like it“ (ich bin dumm und du magst das). Die paradoxe Intervention bewirbt den Stapel der daneben liegenden Bücher von Rosalinda Napadenski mit demselben Titel, aber einem kleinen Übertitel: „Dem Patriarchat einen Headbutt geben“ (Kopfstoß).

Geschwister teilen sich einen Ausstellungstisch
Geschwister Napadenski teilen sich einen Ausstellungstisch

Gleich neben ihr sitze ihr Bruder Mark mit einem Kartonstoß. Auf jedem Blatt ein Auteo im Stil einer Kinderzeichnung. Und davor Heftchen mit dem Titel „… my car goes Brum Brum“. Für dieses hat der Kunststudent Autos fotografiert – sein Motto: „Lieber Autos auf Bildern als auf den Straßen.“

Maria Azovtseva und Aleksandr Kirilenko mit ihren [blu:d] Büchern
Maria Azovtseva und Aleksandr Kirilenko mit ihren [blu:d] Büchern

Mussten fast alles in letzter Minute wegwerfen

Nicht auf einem der Tische, sondern in einer großen Nische an der Rückwand stellen Maria Azovtseva und Aleksandr Kirilenko zwei verschiedene dicke Kunstbände mit den Titeln BL8D aus. Schon die große Titelschrift ist ein Wort-Zahlenspiel. Der 8er steht für zwei übereinander stehenden „o“ und damit dem englischen Wort für Blut und das wiederum am unteren Rand des Buchcovers in den eckigen Klammern als Zeichen für Lautschrift als Blu:d. „In vielen slawischen Sprachen steht das für Unzucht“, erklären die beiden Künstler:innen aus Estland. Gemeinsam mit Konstantin Lobanov hat das Trio 2021 begonnen ein umfangreiches Kunstbuch zur Auseinandersetzung mit russischer Kultur zu erarbeiten. „Wir waren im Februar 2022 damit fertig – hatten schon die digitalen Druckvorlagen. Dann kam der 24. Februar, der Überfall Russlands auf die Ukraine. Damit mussten wir praktisch alles über den Haufen werfen. Einzelne Passagen aus Interviews mit Künstler:innen konnten wir noch in anderer Form verwenden, ansonsten haben wir auf verschiedene Art und Weise den Krieg künstlerisch thematisiert. Zum Beispiel hat unser künstlerischer Leiter, der derzeit in anderen Ländern unterwegs ist und nicht hier sein kann, Bilder genommen, zerstört und Fotos davon gemacht, die nun im Buch sind. Außerdem haben wir diesen ersten Band nur ganz roh gebunden“, so Azovtseva und Kirilenko zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…

Blick auf die beiden Bände der [blu:d]-Reihe aus Tallinn (Estland)
Blick auf die beiden Bände der [blu:d]-Reihe aus Tallinn (Estland)

Der zweite Band ist der Zukunft gewidmet – mit der bewussten Irritation, dass der Einband spiegelnd glänzt – und innen drinnen ernste Essays mit unterschiedlichen Zugängen an dieses so große Thema – und mit immer wieder auch irritierenden Fotos, bei denen mitunter der Atem stockt. „Die sind alle mit künstlicher Intelligenz produziert“, verraten die beiden, die nun im italienischen Florenz leben, dem Journalisten. Und im Hintergrund haben die beiden an der Wand ein großes Plakat mit einem Wolf und dem Motto des dritten Bandes angekündigt: Eintauchen in Einheit/Gemeinsamkeit.

Internationaler Mix

Dass Künstler:innen aus rund zweieinhalb Dutzend Ländern ihre Arbeiten ausstellen und viele davon auch käuflich erworben werden können, wurde schon weiter oben erwähnt. Manche kamen extra für die Ausstellung, andere leben – teils vorübergehend – in Wien. Manche kooperieren auch darüber hinaus. So sind Andrea Ancira Garcia aus Mexico mit ihrer „ediciones tumbalacasa“, in der sie englische Texte auf spanisch übersetzt herausbringt und umgekehrt und Olivia Golde mit „Trottoir Noir“ am Samstag nicht bei der Ausstellung, sondern Teil des Workshops „kollektive Freude im Widerstand“ in den Soho-Studios in Ottakring (16. Wiener Bezirk im großen Gemeindebau Sandleitenhof).

Bücher ent-falten

Büchlein als Leporello auffalten – ist eine, durchaus bekannte Sache. In solche verpackte Nicole Tanneberger Rezeptbüchlein. Aber dann lässt sich ein quadratisches Büchlein übers Meer gleich in mehrere Richtungen auffalten. „Ich wollte die fließenden Bewegungen des Wassers spürbar umsetzen“, erklärt sie den Beweggrund für diese Form.

Ein anderes Buch wird nach und nach zu einer Spirale oder Schnecke und am Ende ergibt es ein ganzes großes quadratisches Bild – vorne und hinten. Ein anderes beginnt die Buchmacherin, die von Beruf Architektin ist, aufzufalten und entschuldigt sich: „Ganz kann ich das nicht, das wird 3 Quadratmeter groß.“

Schon mit zehn, zwölf Jahren habe sie viel mehr gezeichnet und gemalt als alle anderen, „wollte dann Kunst studieren, hab mich letztlich für Architektur entschieden“, verrät sie KiJuKU. Diese Bücher sind professionell, künstlerisch aber sicher keine Einnahmenquelle von der sie leben könnte. „Aber ein guter Ausgleich. So richtig begonnen habe ich dann während der Corona-Pandemie.“ Jetzt studiert sie neben ihrer Arbeit Buchgestaltung an der NDU (New Design University) in St. Pölten.

„Zuerst hab ich Texte, Geschichten, Gedichte, dann kommt die Illustration und die Überlegung, welche Form braucht der jeweilige Inhalt“, schilderte Tanneberger ihre Vorgangsweise. Die Originale stempelt sie meist mit Linoldruckfarbe, scannt sie ein, bearbeitet sie digital für den Druck. Die Schnitte und Falte fertigt sie in der Folge aber wieder eigenhändig an.

„Rollbücher“ aus Berlin

Scrollen ohne Strom

Am Stand von „Rollbuch“ aus Berlin liegen hölzernen Kisten und Kistchen mit einem Sichtfenster, der an einen alten Fernsehapparat erinnert. Mit Hilfe von zwei Kurbeln kannst du kontinuierlich die Bilder weiter drehen. In den großen Kisten sind jeweils elf Meter lange Bücher, die so gelesen, angeschaut werden können. Es gibt aber auch im gleichen Format leere Rollen, um dein eigenes „Rollbuch“ zu zeichnen oder/und schreiben.

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Hintergrund

Fanzineist Vienna bringt kleine unabhängige Verlage zusammen, will aber mehr als eine Messe sein, sondern organisiert neben der Ausstellung Workshops, Vorträge und Konzerte und versteht sich als Vernetzungs-Chance. Ob Graphic Novels, Comics, Fotobände, Kunstbücher und andere künstlerisch gestaltete Materialien – T-Shirts, Socken, Taschen usw.

Die Werke der fast 130 Aussteller:innen aus zweieinhalb Dutzend Ländern (Ägypten, Argentinien, Belgien, Brasilien, China, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Irland, Japan, Kroatien, Litauen, Mexico, Niederlande, Österreich, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, Spanien, Taiwan, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine, USA) sind im Wiener Semperdepot noch bis Sonntag, 12. Mai analog (Details siehe Infobox unten am Ende des Beitrages) zu sehen – und erleben wie etwa Konzerte. Eine parallele Online-Ausstellung läuft noch ein Monat länger.
Die gesamte Ausstellung vermittelt diverse, bunte, vielfältige und vielschichtige kunstvolle Werke, viele mit Street-Art-Touch. Viele der Künstler:innen und Herausgeber:innen widmen sich queeren, non-binären, feministischen, kapitalismuskritischen Themen; in der Ausstellungshalle gibt es einen eigene ´n Queer Quarter

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Gegründet vor acht Jahren in Istanbul

„Fanzineist“ wurde 2016 als unabhängiges und DIY (Do it Yourself)-Fanzine-Festival in Istanbul (Türkei) organisiert. Im Jahr darauf fand die Veranstaltung kleiner Eigenverlage in beiden Stadtteilen Istanbuls, also in Europa und Asien statt – mit Konzerten, Interviews, Workshops und einem Fanzine-Markt  – und dies mit großer internationaler Beteiligung. Zwei Jahre später (2019) übersiedelte Fanzineist als Kunstbuch- und Fanzine-Messe nach Wien. Die von den Co-Direktoren Deniz Beser und Deniz Güvensoy organisierte Messe fand in der Nordbahnhalle in Wien statt. 2020 organisierte Fanzineist Vienna in Zusammenarbeit mit Phasebook Prague Art Book & Zine Fair die Ausstellung „Zine Matters: Self Publishing From Prague To Vienna“.

Follow@kiJuKUheinz

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Fanzineist Vienna

11. Mai 2024; 13 bis 20 Uhr
12. Mai 2024; 12 bis 19 Uhr
Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste (Semperdepot)
1060, Lehárgasse 6 -8
fanzineist

Online-Ausstellung
Bis 10. Juni 2024
fanzineist -> online-exhibitors-2024/