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Die Autorin liest Passagen aus ihrem ersten Roman
Die Autorin liest Passagen aus ihrem ersten Roman
12.11.2022

Frauen einer Familie der Unsichtbarkeit entrissen

In ihrem Debut-Roman „Eva & Söhne“ blättert die gelernte Journalistin, Agenturbetreiberin und Neo-Autorin – leider noch immer nicht überwundene – ausgehend von der eigenen Familiengeschichte patriarchale Strukturen auf.

Eva hat ein Geschäft in einer oberösterreichischen Kleinstadt aufgebaut, nach dem Wegschwemmen bzw. der Zerstörung eines Großteils des Hauses sowohl die Abbrucharbeiten als auch den Neubau organisiert, selber viel mit angepackt, „daneben“ den Haushalt geschupft und die Kinder betreut. Auch wenn sie keine Alleinerzieherin war. Der Ehemann war Schuldirektor, Chorleiter und noch alles mögliche Wichtige im Ort – worauf der sich „konzentrieren“ musste. Und dennoch war sie nach außen für all die viele Arbeit die sie verrichtete „unsichtbar“. Das setzte sich in der folgenden Generation fort. Der Sohn übernimmt den Laden, wird als der Geschäftsmann gehuldigt, dass die Mutter schon das Geschäft aufgebaut hat – ach was. Dass die Ehefrau kräftig anpackt – ach was ist das schon.

Dicht und doch Raum und Zeit für Details

Nur in der dritten Generation wehrt sich eine Frau. Sie ist zwar nicht ins Geschäft involviert, aber muckt auf gegen die Tarnkappe für Frauen in dieser Familie. Und nicht nur in dieser. Diese Frau, im Roman Katharina, ist das Alter Ego der Autorin von „Eva & Söhne“, Beate Kniescheck. In dem knappen, fast zum in einem Zug Durchlesen zwingenden, mehr als dichtem Roman, der dennoch Raum und Zeit findet für detailverliebte poetische Schilderungen von Natur, aber auch Innenräumen, vor allem aber auch Begegnungen und Gefühlen, geht es darum, Frauen aus der Versenkung, vor den Vorhang zu holen. 

Der Brief

Markanter Ausgangspunkt des Buches – und der Recherchen dazu – ist ein realer Brief ihres eigenen Vaters, des Sohnes von Eva. Der richtet sich an die eigenen Kinder. Zu öffnen nach seinem Tod, aber schwer krank im Spital sagt er wiederholt zu seinen Besucher:innen: „Unterste Lade“. Die Tochter sucht – und findet den Brief. Der sich allerdings nur an ihre Brüder richtet, was und wie die das Geschäft weiterführen sollten und wie stolz er auf ihre Entwicklung ist … Die Tochter? Kommt nur nebenbei und noch dazu als hilfsbedürftig vor, obwohl das reale Vorbild auch zum Zeitpunkt als der Vater den Brief geschrieben hat, alles andere als auf Hilfe angewiesen war.

Wer ist dieses Baby?

Diese Tochter – die Autorin – findet aber noch etwas: Ein kleines Album mit Babyfotos. Und kommt hinter ein Familiengeheimnis. Ihr Vater hatte eine Schwester. Gabriele lebte nur ein Jahr, verstarb. Niemand redete darüber, das Grab gibt es längst nicht mehr. Noch ein weibliches Familienmitglied, das noch viel unsichtbarer gemacht wurde als alle anderen schon. So viel Kniescheck auch recherchierte, über Gabriele und deren Grab war nichts rauszubekommen. 

Autofiktional

Nicht nur deswegen, sondern auch um aus hehren ethischen Motiven, nicht im tiefsten Inneren Verstorbener zu wühlen, schrieb die Autorin keine Auto- oder Familien-Biografie, sondern einen autofiktionalen Roman. Die realen Briefe des eigenen Vaters, des Großvaters und eines im Krieg getöteten Großonkels sind den realen Briefen auch im Sprachduktus nachempfunden. Und vieles rund um den frühen Tod der Tante sowie den Umgang von Eva, deren Mutter, ist rein ausgedacht, aber einfühlsam so beschrieben als könnte es so gewesen sein. Die verzweifelte Mutter, die zeitweise sprachlos wird angesichts des Verlustes. Die nicht einmal ihre Wut rauslassen kann, als ihr Mann vorschlägt, ein „Trostkind“ in die Welt zu setzen und falls es ein Mädchen wird, es wieder Gabriele zu nennen.

„Normal“

Und trotz all dieser Ungeheuerlichkeiten, die aber rundum als „normal“ betrachtet wurden, ist das Buch alles andere als eine Abrechnung, sondern eine kritische, aber dennoch liebevolle, stellenweise doch heftige Auseinandersetzung mit herrschenden Rollenbildern, die Frauen an den Rand und ins öffentliche und gesellschaftliche Abseits gestellt haben. Und dies – das ist vielleicht das Tragischste jenseits des Buches: Es ist kein historischer Roman. Strukturell ist das nicht selten auch hier und jetzt, vor allem auf dem Land, zu beobachten und erleben. 

Die Birnen

Ach ja, es gibt noch eine weitere „handelnde Person“: Einen Birnbaum im (groß-)elterlichen Garten – deswegen zieren zwei Zweige mit Birnen das Buchcover. Und speziell für Lesungen ließ sich die Autorin, die in ihrem Brotberuf eine Agentur für Public Relations, Coaching und Texte betreibt, einen Stoff mit dem Muster der Titelseite bedrucken und einen Rock daraus schneidern. Knapp nach den Toten-Gedenktagen Allerheiligen und Allerseelen las die Autorin zum ersten Mal in Wien aus ihrem Buch – in der Buchhandlung Seeseiten (Seestadt Aspern), moderiert von Susanne Kristek („Nur die Liege zählt“), die mit ihr die Leondinger Literaturakademie absolvierte. Und mit einer Überraschungsgästin: Natalie Deewan („Lucida Console“), die gerne Texte neu zusammenbaut – und Sätze aus „Eva & Söhne“ zu einer sprachlich recht witzigen Collage montierte – Link zu diesem Text unten am Ende dieses Beitrages.

Übrigens, der Ortsname Jenseits, in dem Eva mit ihrer Familie anfangs wohnt und in dem die einjährige Gabriele stirbt, ist nicht erfunden, den gibt es tatsächlich im Bezirk Ried im Innkreis, wenngleich der nicht dem Ort des realen Geschehens entspricht.

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Zum Interview mit der Autorin geht es hier unten

Natalie Deewans Remix aus Beate Knieschecks Buch

Titelseite des Buches
Titelseite des Buches „Eva & Söhne“ von Beate Kniescheck
BUCH-INFOS

Text: Beate Kniescheck
Eva & Söhne
132 Seiten
Septime Verlag
20,60 €

Zu einer Leseprobe (bis Seite 23) geht es hier

Zur Website der Autorin geht es hier