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Autor Robert Klement beim Interview 2016
Autor robert Klement beim Interview 2016
09.08.2024

Wie werden aus „normalen“ Jugendlichen gefährliche Täter?

Interview mit dem Autor von „Halbmond über Rakka“, einem Jugendbuch über die Radikalisierung in Richtung islamistischer Terror.

KiJuKU (damals KiKU – für Kinder-KURIER): Du bist schon zwei Jahren vor der Veröffentlichung mit dieser Buch-Idee an den Verlag herangetreten, wie und warum bist du auf dieses Thema gekommen?
Robert Klement: Mich hat vor allem die Frage interessiert, wie normale, scheinbare normale, Jugendliche sich in kürzester Zeit in radikale Monster verwandeln, die bereit sind scheinbar für ihre Religion zu sterben. Obwohl die Religion da gar nicht im Mittelpunkt steht. Das war der Antrieb, dem auf den Grund zu gehen.Ich war 30 Jahre Lehrer hatte immer mit Jugendlichen zu tun. Und da hab ich mir dann auch die Frage gestellt, wie kann ein junger Mensch freiwillig in einen Krieg ziehen. Mein Vater war sechs Jahre im Krieg, aber nicht freiwillig. Und die lassen alles stehen und liegen und gehen freiwillig in den Krieg?!

Was denkst du nach den umfangreichen Recherchen macht den Reiz aus, damit es überhaupt diese Verführung – so ja der Untertitel deines Buches – geben kann/gibt?
Robert Klement: Die Religion steht definitiv nicht im Mittelpunkt, es geht um das soziale Angebot, die Gruppe, eine Aufgabe, eine Ersatzfamilie, Anerkennung, das Soziale wie beim Nico. Der hat sein Umfeld im Sport verloren und sucht nun nach Ersatz. Ja und oft kommt ein einschneidendes Misserfolgserlebnis dazu.

Wo hast du wie recherchiert?
Robert Klement: Das meiste hab ich durch genaue Prozessbeobachtung erfahren, am meisten vom 16-jährigen Oliver N. im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichtes. Da hat ein Sozialhelfer gesagt, er hat keinen Vater gehabt und das sei sein Knackpunkt gewesen. Das war aber bei allen drei Prozessen, die ich genauer beobachtet habe so – beim 14-Jährigen in St. Pölten und auch bei einem Prozess in Krems: Der fehlende Vater. Sie haben in Allah den großen starken Vater gesehen und gefunden, der ihnen den Weg weist, der bestraft, der lobt und das versteh ich vollkommen: Jugendliche, die entwurzelt sind, finden den großen starken Vater.Ich hab auch einen ehemaligen Dschihadisten in Ulm getroffen. Das war aber nicht so ertragreich, der wollte nicht so viel erzählen.

Das meiste hab ich aus dem Prozess in Wien. Da gab’s eine für mich höchst interessante Aussage der Jugendpsychiaterin Dr. Wörgötter. In ihrem eineinhalbstündigen Vortrag des Gutachtens sagte sie etwas, das gar kein Medium aufgegriffen hat: Fanatismus ist nicht therapierbar.
Ich hab den Oliver N. genau beobachtet. Der hat zwei Tage lang keine Regung gezeigt, keine Emotion – als ob ihn das alles nichts anginge, nicht berühre. Auch wenn Videos gezeigt wurden, wie er mit dem Messer spielt und vom Abschlachten Ungläubiger redet.

Autor Robert Klement mit dem Jugendbuch, wie Jugendliche in extremistische Fänge gelangen können - und über die Überforderung des damaligen Verfassungsschutzes
Autor Robert Klement mit dem Jugendbuch, wie Jugendliche in extremistische Fänge gelangen können – und über die Überforderung des damaligen Verfassungsschutzes

 Widerspruch?

Auf der einen Seite sprichst du von der Erkenntnis, dass es ums Soziale geht, um die Ersatzfamilie und auf der anderen Seite von der Nicht-Therapierbarkeit – ist das nicht ein Widerspruch?
Robert Klement: Fanatismus ist meiner Meinung nach wirklich kaum therapierbar? In meiner Jugend hab ich zu Hauf ehemalige Nazis getroffen. Die haben erzählt, alles sei ganz anders gewesen. Die waren Fanatiker und sind es geblieben, da hätte jeder versuch sie zu therapieren scheitern müssen. Und genauso stell ich mir das bei Dschihadisten vor, selbst bei Heimkehrern.

Aber die haben doch die Enttäuschung erlebt, gesehen wie Sch… der „Heilige Krieg“ ist?
Robert Klement: Das haben viele unserer Väter auch. Die haben dann aus dem grausamen Krieg ihrer Wehrmachtsvergangenheit Heldenlieder gesungen.Aber natürlich ist es klar, dass alle Versuche unternommen werden müssen, Jugendliche da auch wieder raus zu kriegen, aber es ist eine Illusion, dass Fanatismus therapierbar wäre.Schau, ich war mit meinen Schülerinnen und Schülern acht Mal in Mauthausen. Für die halbwegs Gefestigten haben diese Exkursionen bestätigt, dass der Nationalsozialismus ein Verbrechen war und ist. Aber unter 30 Jugendlichen hast du dann vielleicht einen Labilen, der sogar fasziniert sein kann, leider.

Als Lehrer?

Wenn du noch Lehrer wärest, du liebst ja in St. Pölten und hast dort unterrichtet, was hättest du getan, wenn der besagte 14-Jährige bei dir in der Klasse gewesen und dir aufgefallen wäre?
Robert Klement: In den 30 Jahren als Lehrer hatte ich, ich weiß gar nicht wie viele türkisch-stämmige Burschen und Mädchen – und nie ein Problem, oder fast nie. Ein Schockerlebnis hatte ich 1989: Nachdem es die Fatwa mit dem Todesaufruf gegen den Autor Salman Rushdie gegeben hat, hab ich in der Pause einen 14-jährigen Schüler gefragt, dessen Familie aus der Türkei war, was er dazu sage. Erst hat ihm der Name nichts gesagt. Beim Titel „Satanische Verse“ hat er klipp und klar gesagt: „Der muss sterben, weil der unser Heiliges Buch beleidigt hat!“. Der Bursch war bestens integriert, ein Super-Fußballspieler, wir haben vier Jahre Geschichte gehabt mit Friedenserziehung, Miteinander, Lernen aus der Geschichte – vier Jahre für nix. Da merkst du, du kommst mit deiner Botschaft nicht durch. Ich hab ihn nicht erreicht. Da brauchst du wen, der sich wirklich gut mit dem Islam auskennt und ihm genau erklären kann, dass der ihm mit Sure und Hadithen erklären kann, dass diese Religion auch gegen das Töten von Menschen ist.

Zurück zum 14-jährigen Dschihadisten aus St. Pölten: Wahrscheinlich hätte ich auch wie im Herbst 2014 viele Lehrerinnen und Lehrer beim Stadt- oder eben Landesschulrat angerufen und erst einmal gesagt, da will jemand nach Syrien. Leider hat Österreich ja zu spät reagiert. Schon im Frühjahr 2014 war klar, dass da ein neues Jugendphänomen aufgetaucht ist: Samra und Sabina sind schon im April aufgebrochen. Viele haben das ignoriert, manche hingewiesen, gewarnt und Maßnahmen gefordert. Die De-Radikalisierungs-Hotline gab’s dann erst im Spätherbst 2014.

Jetzt ist die Attraktivität abgeflaut, damals wollten viele ja auch nach Syrien, weil sie bei den Siegern sein wollten. Eine Erfolgsmeldung nach der anderen, eine Stadt nach der anderen eingenommen…

Titelseite des Jugendromans
Titelseite des Jugendromans „Halbmond über Rakka“, erschienen 2016

Gegenstrategien?

Zurück zur Frage, was wäre deine Ideen, was zu tun wäre, was muss man jetzt machen? Was könnten deiner Meinung nach wirksame Gegenstrategien sein?
Robert Klement: Nur Integration, Terrorbekämpfung muss Terror-Ursachenbekämpfung heißen. Wenn du Jugendlichen ständig das Gefühl gibst: Wir wollen euch nicht, ihr seid gewalttätig und ihr werdet stehlen – dann machen sie’s wirklich und sagen: „Das erwartet eh jeder von mir!“

Es hilft nicht, in noch mehr Polizei zu investieren, in noch mehr Überwachungs-Kameras, in noch mehr Aufstocken des Verfassungsschutzes. Dann wissen sie gar nicht mehr, was sie mit den Abhörbändern und den gesammelten Informationen machen… Vergiss das! Man soll dieses Geld nehmen und nur in Integration reinbuttern.

Natürlich wird man auch immer einen gut ausgestatteten Verfassungsschutz brauchen. Aber was willst du gegen „einsame Wölfe“ machen, die nicht integriert und ohne Perspektive da leben, aber zu keiner Organisation gehören, in keiner Befehlsstruktur sind, daher keine verdächtigen Mails schreiben oder Telefonate führen – die hast du dann ja als Staatsschutz auch gar nicht auf dem Schirm.

Herzog wusste eines mit Sicherheit: Sollte es in Österreich je einen von Islamisten verübten Terroranschlag geben, dann würde dieses Land von einer Welle der Gewalt überrollt werden. Dann würde eine ähnliche Pogromstimmung herrschen wie zu den unseligen Zeiten des Nationalsozialismus. Nur wären dann nicht jüdische Synagogen, sondern Moscheen Ziel der Volkswut. Und danach wäre Österreich ein anderes Land. Bei diesem Gedanken zerrte er an seiner Krawatte, als wäre sie ihm plötzlich zu eng.

„Halbmond über Rakka“, Seite 65

Wie hast du für die „Gegenseite“, die der Polizei, des Verfassungsschutzes recherchiert, hattest du da Interviews, Gespräche, Blicke hinter die Kulissen?
Robert Klement: Ich hab einen gewissen Draht zur Polizei. Vor 40 Jahren war ich freier Mitarbeiter beim Profil und teilweise auch beim Kurier. Da hab ich mir für die Recherche Kontakte zur Polizei aufgebaut und manche hab ich auch heute noch bzw. neue. Mein Roman ist ja eine fiktionale Erzählung. Wenn wer Ähnlichkeiten erkennen mag, ist das seine Sache. Ich hab versucht, was ich weiß und was ich von einem Informanten gehört habe in die Schilderung, wie so eine Sitzung ungefähr abläuft zu verpacken. Und ich hatte schon durchaus ein Bedürfnis den Verfassungsschutz als überfordert darzustellen. Das war er – wie alle anderen Dienste in den anderen Ländern auch Und ein paar Sachen sind ja dann ohnehin allen aufgefallen: Dass er nach außen kein geschlossenes Bild abgibt, dass ein Informant aus dem Inneren Medien informiert hat, dass der Dienst nicht mehr in der Lage sei, die Sicherheit zu gewährleisten, dass ein ehemaliger Chef sich immer wieder mit guten Ratschlägen zu Wort meldet – das ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn ein Vorgänger sagt, noch dazu öffentlich, wie’s die Nachfolger besser machen sollten. Und bekannt ist ja, dass es auch parteipolitische Konflikte gibt.

Wie und wo hast du an der türkisch/syrischen Grenze recherchiert?
Robert Klement: Ich bin sozusagen auf den Spuren des Dschihad-Express gefahren – nach Ankara, von dort nach Gaziantep. Dort hab ich mir einen Leihwagen genommen und bin bis Akçakale knapp an die syrische Grenze gefahren. Ich wollte wie bei vielen meiner Bücher wenigstens ein bisschen in die Landschaft, ins Umfeld eintauchen, mir Impressionen für diesen Abschnitt mit Ahmed holen. In Akçakale hat mir dann aber ein Hotelbesitzer geraten, schnell wieder weg zu fahren, das wäre brandgefährlich.

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Erstveröffentlicht am 17. Oktober 2016 im Online-Kinder-KURIER

Zu einer Buchbesprechung samt Buch-Infos geht es hier unten.