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Die Autorin am Laptop, davor das aufgestellte Buch
Die Autorin am Laptop, davor das aufgestellte buch
28.03.2021

Junge Autorin holt großen Kinderfreund und -retter aus der Vergessenheit

Lilly Maiers „Auf Wiedersehen, Kinder!“ handelt vom revolutionären Reformpädagogen Ernst Papanek, der vor den Austrofaschisten 1934 flüchten musste und später Flüchtlingskinder vor den Nazis rettete.
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Ernst Papanek war pädagogisch – immer wieder sogar in leitender Funktion – in Österreich, Frankreich und den USA tätig, dort sogar mit einer Uni-Professur. Er wurde in den letzten demokratischen Gemeinderat Wiens vor dem zweiten Weltkrieg gewählt. Mit Größen der Sozialdemokratie und damit führenden Staatsmännern war er auch Jahrzehnte nach dem Krieg in Österreich, Deutschland und Schweden auf du und du. Sogar ein Gemeindebau trägt seinen Namen. Dennoch ist der Reformpädagoge und Retter Hunderter Kinder kaum noch hierzulande bekannt.

Das will ein Buch der 28-jährigen in Wien aufgewachsen Historikerin und Journalistin Lilly Maier ändern. Auf knapp 300 Seiten schildert sie lebendig – und historisch fundiert (Quellenangaben in deutlich mehr als 500 Fußnoten) – das Leben und Wirken von Ernst Papanek: „Auf Wiedersehen, Kinder! – Ernst Papanek. Revolutionär, Reformpädagoge und Retter jüdischer Kinder“.

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Ernst – er ließ sich von den Kindern und Jugendlichen immer mit Vornamen ansprechen – in einem der französischen Flüchtlingsheime, wo ihn alle zum Geburtstag überraschten. © Bild: Familienarchiv Papanek

Ungewöhnlicher Stil

Auf Papanek war die Autorin bei den Recherchen zu ihrem vorherigen Buch „Arthur und Lilly“ gestoßen. Bei diesem hatte sich ihr besonderer Stil – historisch fundierte Fakten + lebendige Schilderung einzelner Persönlichkeiten + Einsprengsel aus ihren Erlebnissen bei den Recherche-Reisen – praktisch aufgedrängt. Arthur Kern, als Oswald Kernberg geboren, hatte in jener Wohnung gelebt, in der die Autorin als Kind und Jugendliche lebte. Mit einem Kindertransport nach Frankreich dem Naziregime und damit der Ermordung entkommen, war er in den USA gelandet und hatte Jahrzehnte danach die alte Heimat besucht. Aus dieser Begegnung in Wien-Alsergrund wurde tiefe Freundschaft, Lilly Maier wurde nicht selten von Kerns Familie als ihre österreichische Enkeltochter bezeichnet. Und sie wurde durch dieses Schlüsselerlebnis zur Historikerin, spezialisierte sich auf Kindertransport-Kinder, also das, was heute als minderjährige Flüchtlinge bezeichnet wird.

Oswald/Arthur war auf der Flucht aus Wien in Paris und dort in einem der Kinderheime gelandet, die von Ernst Papanek, einem jüdisch-sozialdemokratischen Reformpädagogen, geleitet wurden. Ihm widmete Maier schon im ersten Buch ein Kapitel. „Ich fand damals schon, das ist eine Geschichte, die es Wert ist, erzählt zu werden“, so die Autorin im Gespräch mit dem Kinder-KURIER – für den sie im Übrigen als Kind und Jugendliche selber geschrieben hatte.

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Auch wenn die Klassensituation sehr frontal aussieht, übereinstimmend berichten einstige Schüler_innen, Ernst begegnete ihnen wenn nicht auf physischer – aber auf emotionaler-sozialer Ebene auf Augenhöhe. © Bild: Familienarchiv Papanek

Viele wollten mehr wissen

„Bei vielen der Lesungen – nicht nur in Wien – wurde ich immer wieder nach Ernst Papanek gefragt und als mich dann der Molden-Verlag gefragt hat, ob ich nicht ein Buch für ihn schreiben möchte, war für mich klar, genau das mache ich – über Ernst Papanek. Da hatte ich den Startvorteil, dass ich mich schon auskannte. Das Spannendste am Recherchieren sind für mich die Reisen, Gespräche mit Menschen, die die Personen über die ich schreibe, gekannt haben, und überraschende Funde in Archiven“, sprudelt es aus der 28-Jährigen heraus und es wirkt, als würde ein Kind davon erzählen, wie es die Weihnachtsgeschenke ausgepackt hat.

Der Jackpot waren „40 Stunden Audio-Material, im New Yorker Archiv, das selbst von anderen Wissenschaftlern, die sich mit Papanek beschäftigten, noch nie angehört worden war, dort wurde immer nur mit Transkripten gearbeitet.“

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Ernst Papanek wurde Obmann der Wiener Jungsozialisten und 1932 in den Gemeinderat gewählt. © Bild: Familienarchiv Papanek

Aufregendes Leben

Zum „Kern“ des neuen Buches, in dem Lilly Maier das 70-jährige Leben und Wirken Ernst Papaneks schildert: 1900 geboren, war er in ganz jungen Jahren kurz „verwirrt“: Sowohl der Kaiser als auch die Sozialisten sagten von sich, sie seien für das Volk. Also dachte Papnek, der Kaiser sei ein Sozialist. Aber nicht besonders lang, mit zunehmender Erkenntnis wurde er selbst zum Sozialisten – wie die sozialdemokratische Partei ja auch lange hieß. In seinem Medizinstudium kam er nicht sehr viel voran, die politische (Jugend-)Arbeit war ihm wichtiger.

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Seine Pädagogik war nicht nur auf Respekt, demokratische Mitbestimmung, praktisches Lernen, sondern nicht zuletzt auf Freude und Lachen aufgebaut – allen widrigen Umständen zum Trotz. © Bild: Familienarchiv Papanek

Arbeit mit Außenseiter_innen

Schon früh arbeitet er pädagogisch – mit „schwierigen“ Jugendlichen im Sandleitenhof, einem riesigen Gemeindebau in Wien-Ottakring. Empathisches Zugehen auf die ausgegrenzten Jugendlichen behielt er sich auch in all den künftigen Stationen seiner Arbeit bei.

Das gemeinsam Lernen durch viel praktisch Tätigkeiten – beispielsweise Tischlern eigener Einrichtungsgegenstände sowie Ausflüge und Exkursionen in Natur und Kultur, waren wichtig.

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Selbst bei Großgruppen-Gesprächen fühlten sich die einzelnen Kinder und Jugendlichen als Individuen wahrgenommen. © Bild: Familienarchiv Papanek

Respekt und Mitbestimmung

Last but not least wollte Papanek Grundbausteine für Demokratie-Erziehung legen. „Großen Respekt erhielt »Herr Ernst«, weil er sich von den Jugendlichen duzen ließ und weil er sie aktiv in die Gestaltung der Gruppe einband. Gemeinsam erarbeitete er mit den Jungen eine Gruppenverfassung und ließ sie Vertreter wählen“, schreibt die Autorin im Buch. Natürlich verlief nicht immer alles am Schnürchen, aber „Papanek freute sich besonders, wenn Störenfriede in den Gruppenrat gewählt wurden, und reflektierte in seinen Aufzeichnungen, wie diese durch die Verantwortung, aber auch den Respekt, der mit dem Amt kam, beachtliche Fortschritte machten.“

Er selbst holte dann eine pädagogische Ausbildung – sozusagen immer berufsbegleitend – nach. Privat ergab sich eine nicht „standesgemäße“ Beziehung mit Helene Goldstern. Er aus ärmlichen Verhältnissen, der schon neben der Schule arbeitete, sie aus gutbürgerlichem „jüdischem Adel“. Aber Lene und Ernst wurden ein Ehepaar, bekamen auch zwei Kinder – und sie bleiben ein Leben lang liebevoll verbunden.

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© Bild: Familienarchiv Papanek

Bürgerkrieg in Österreich

Das Glück wurde getrübt – durch die politischen Verhältnisse. Erst die kurzen Tage des heftigen Bürgerkriegs im Februar 1934, wo mit Kanonen auf Gemeindebauten und ihre Bewohner_innen geschossen wurde. Es war der Auftakt zur autoritären Herrschaft des Austrofaschismus, in dem schon die Sozialisten verboten worden sind, und damit auch der demokratisch gewählte Gemeinderat, dem Ernst Papanek, führend engagiert bei den Jungen Sozialisten, aber auch den Kinderfreunden, angehört hatte.

Flucht

Die erste Station der Flucht von Papanek war das tschechische Brno (Brünn), wo die Auslands-Sozialisten ein Büro und die Organisation des Widerstands, samt Druck der Arbeiter-Zeitung, gründeten. Der reise- und risikofreudige Papanek unterstützte auch – unter schwierigen Bedingungen – Genossen im polnischen Danzig, wo Papanek von den Nazis festgenommen und brutal behandelt wurde. In diesem Zusammenhang zitiert die Autorin aus einem Gespräch mit Ernst und Lenes erstgeborenem Sohn Gus: „Mein Vater war bereit, alle möglichen Opfer zu bringen und alle möglichen Risiken einzugehen, um die Lage von Menschen zu verbessern. Er konnte das tun, weil er fest daran glaubte, dass letztendlich die Kräfte der Wahrheit und der Gerechtigkeit und der Rechtschaffenheit triumphieren würden. Selbst als die deutschen Truppen vor den Toren von Paris standen, sagte er uns immer: Letztendlich werden wir gewinnen.“

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© Bild: Familienarchiv Papanek

Trotz alledem: Optimismus

Auch diesen Optimismus behielt er praktisch immer bei, strahlte ihn aus und übertrug ihn auch an seine Schülerinnen und Schüler. Ein solcher sollte Arthur Kern werden. Als die Papaneks schließlich – ins damals noch freie Frankreich – fliehen konnten, wurde Ernst die Leitung mehrerer Flüchtlingsheime übertragen. Selbst als dann die Nazis auch Frankreich besetzten, behielt er seine pädagogischen Grundsätze der Mitbestimmung bei. 

Als auch das Leben in Frankreich zu gefährlich wurde, gelang den Papaneks – nicht leicht, aber doch – die Flucht in die USA. Und von da her stammt auch Maiers Buchtitel. Als er – schweren Herzens – die Flüchtlingsheime in Frankreich verließ, versprach er: „Auf Wiedersehen, Kinder!“

Und die eigenen Kinder

Und er hielt sein Wort, das auch der Plan gewesen war. Eigene Flucht in die USA und die Kinder nachholen. Das gelang ihm bei 283 „seiner“ Kinder. Apropos „seine“ Kinder: Gus, sowie Georg Otto, genannt Schorschi, wurden nicht anders als die anderen Flüchtlingskinder behandelt. Auch sie schliefen in den großen Schlafsälen. Der Ältere konnte gut damit umgehen. „Er hat sich mit dem Vater überidentifiziert, Schorschi hatte schon große Probleme damit“, so die Autorin im Gespräch mit dem KiKu.

Der Kinder-KURIER wollte nämlich wissen, ob bei all den Recherchen, Gesprächen mit Verwandten, Bekannten, Audio-Material und unzähligen Briefen, nicht auch Negatives, sozusagen dunkle Flecken auf der weißen Weste des „Helden“ gegeben hätte.

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Da haben die Söhne einmal den Vater für sich. © Bild: Familienarchiv Papanek

Gegen „Heldentum“

„Papanek selber hätte sich sicherlich gegen den Begriff Held verwehrt“, setzt Maier fort. „Er hat sich zwar immer kämpferisch für die Kinder und oder Jugendlichen eingesetzt, aber dann doch immer wieder auch im Hintergrund gehalten. Auf den Fotos schaut er oft fast koboldhaft aus hinteren Reihen hervor.“

In den USA konnte er die Arbeit selbst nicht fortsetzen, weil die dortige jüdische Rettungsorganisation OSE darauf setzte, die Kinder weit verstreut in Familien unterzubringen, um sie möglichst rasch zu guten US-Amerikaner_innen zu machen.

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Die Autorin vor einem der ehemaligen Kinderheime in Frankreich, heute eine Polizeistation. Die Polizist_innen erfuhren erst durch Lilly Maiers Auftauchen und Fragen von der historischen Vergangenheit ihres Gebäudes. © Bild: Lilly Maier

USA: Wieder Arbeit mit ausgegrenzten Jugendlichen

Es wäre nicht er selbst gewesen, hätte er nicht seine empathische und erst viel später auch wissenschaftlich fundierte Jugend-Bildungs- und Erziehungsarbeit demokratisch, miteinbeziehend, anpackend auch hier fortgesetzt. Vor allem mit ausgegrenzten Kids – wie seinerzeit auch im Wiener Sandleiten-Hof. Zuerst in einem Mädchenheim, wie Maier im Buch schreibt: „Zum Zeitpunkt von Papaneks Übernahme stand die Brooklyn Training School kurz vor der Schließung, weil sie immense Geldprobleme hatte und die pädagogische Qualität zu wünschen übrigließ. Ein externer Gutachter wurde einbestellt, um ein Urteil über die Zukunft der Schule zu fällen. Doch statt des geplanten negativen Berichts schrieb er ein Loblied – auf Ernst Papanek. »Was er in 6 Wochen korrigiert hat, ist einfach unglaublich.“

Papanek hatte vom ersten Tag an weitreichende Reformen eingeführt: Nur drei Wochen nach seiner Ankunft gab es bereits eine umfassende Schülerinnenmitverwaltung und er hatte gemeinsam mit den Mädchen begonnen, das desolate Gebäude zu renovieren. „Trotz fast unmöglicher Widrigkeiten hat Mr. Papanek Wunder vollbracht“, schwärmte der Gutachter. Umstritten, aber äußerst erfolgreich war Papaneks Anordnung, die Türen nicht mehr zuzusperren. Wenige Monate später konnte er berichten, dass die Fluchtversuche um zwei Drittel zurückgegangen seien.

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Die First Lady, Eleanor Roosevelt, lud die Wiltwyck-Jungs und Ernst Papanek einmal im Jahr in ihren Garten – zu Picknick und sie las ihnen vor … © Bild: Familienarchiv Papanek

Letzte Chance-Station

Als 1949 aus Geldmangel dieses Mädchenheim doch schließen musste, übernahm er die Wiltwyck School for Boys. Dazu heißt es im Buch. „Wiltwyck lag rund hundert Kilometer von New York City entfernt im Städtchen Esopus im Hudson Valley und bot achtzig bis hundert Jungen zwischen acht und zwölf Jahren einen Schul- und Therapieplatz. Um aufgenommen zu werden, musste ein Psychiater eine schwere emotionale oder psychopathische Störung diagnostizieren. Gut drei Viertel der Jungen kamen per Gerichtsbeschluss nach Wiltwyck, viele waren gewalttätig oder als Brandstifter auffällig geworden. Für die meisten war die Schule die letzte Chance vor dem Gefängnis.“

Kinder und Jugendliche, wie jene in den beiden genannten Einrichtungen nannte Papanek immer wieder „Flüchtlinge in der eigenen Heimat“ – und so heißt auch das entsprechende Buch-Kapitel. Wiltwyck war auch so etwas wie ein Herzensprojekt der First Lady Eleanor Roosevelt. Papanek wurde als Leiter geholt, weil „die Wiltwyck-Führung … beeindruckt (war) von seinem Erfolg in Brooklyn, wo er es geschafft hatte, eine »rückschrittliche und strafende Institution in eine humane und gut funktionierende« zu verwandeln“, wie Maier schreibt.

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Bei einem der Treffen der First Lady mit den Jungs und ihrem Ernst. © Bild: Familienarchiv Papanek

Box-Legende

Zu Papaneks „Schützlingen“ in Wiltwyck gehörten auch später zu Berühmtheiten gewordene einstige „schwierige“ Jungs. 

„Die Boxlegende Floyd Patterson lernte als Junge in Wiltwyck seine überschüssige Energie in einen sozial akzeptierten Kanal zu lenken. »Zu einer Zeit, als ich mich sehr schlecht und niedergeschlagen fühlte und dachte, die ganze Welt sei gegen mich, stellte ich plötzlich fest, dass den Menschen in Wiltwyck und insbesondere Mr. Papanek mein Wohlergehen am Herzen lag«, sagte er 1962 in einem Interview. Als Patterson mit 17 Jahren eine Goldmedaille im Boxen bei den Olympischen Spielen in Helsinki gewann, bot Ernst Papanek ihm an, seine Zeit in Wiltwyck zu verheimlichen. Aber Patterson wollte nichts davon hören, war in den kommenden Jahren ein gern gesehener Gast auf Spendengalas und besuchte regelmäßig Wiltwyck, um mit den Jungen dort zu trainieren. Papanek und er blieben ein Leben lang befreundet.“

Einen noch größeren Eindruck machte Ernst Papanek auf den späteren Bürgerrechtler Claude Brown, der ihm in seiner bewegenden Autobiografie ein Denkmal setzte. Brown wuchs in Harlem auf, dealte früh mit Drogen, verbrachte mehr Zeit mit Gangs als in der Schule und galt als größter Unruhestifter von Wiltwyck – was in einem Heim voller jugendlicher Straftäter etwas heißen mag. Ernst Papanek jedoch verlor nie den Glauben an ihn. „Papanek hatte eine Art, die ganze Welt wunderschön und jeden in dieser Welt wichtig scheinen zu lassen. Er ließ eine ganze Menge kleiner Dinge, wie Hautfarbe, Benachteiligungen und Blicke, belanglos erscheinen. Der Mann war so wunderbar. […] Ich hatte endlich jemanden gefunden, der sich um mich kümmerte.“ Zögerlich, als ob er es selbst kaum glauben konnte, beschreibt Brown in dem millionenfach verkauften Buch Manchild in the Promised Land (auf Deutsch erschienen als Im gelobten Land), wie Papanek ihn über Jahre hinweg davon überzeugte, er könnte etwas aus seinem Leben machen: „Er war der erste Mensch, für den ich jemals etwas tun wollte.“

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Ernst Papanek als 70-Jähriger. © Bild: Familienarchiv Papanek

Und Österreich?

Einerseits war die Familie in den USA mehr als angekommen, andererseits zeigte sich Nachkriegs-Österreich nicht besonders eifrig, die von den Nazis Vertriebenen zurückzuholen. Selbst bei den Sozialdemokraten, damals noch Sozialistische Partei, gab es nicht wenige Vorbehalte gegen Jüdinnen und Juden, teils aus eigenen antisemitischen Ressentiments, teils aus populistischen Gründen. Immerhin hatte auch die SPÖ so wie die ÖVP so manche ehemaligen Nazis „integriert“, jedenfalls buhlten alle um die Stimmen derer, die zuvor den „Anschluss“ freudig begrüßt, zwar irgendwann gegen den Krieg, aber in ihrer Grundhaltung nicht viel anders geworden waren.

Ernst Papanek blieb eng verbunden mit den in der Nachkriegspolitik aufgestiegenen Genossen (es waren fast nur Männer) und besuchte immer wieder Europa, Österreich und Wien. Man(n) beschied ihm, er könne in den USA vielleicht viel mehr helfen – so in der Art bedankte sich der damalige Bundespräsident Franz Jonas bei ihm für die Vorbereitung und Begleitung eines politischen Amerika-Besuchs. Er verfasste übrigens – auf Englisch – ein Buch über die Wiener Schulreform unter Otto Glöckel – von der er ja Teil gewesen war. Papanek wurde letztlich Pädagogik-Professor am berühmten Queens College der New Yorker Uni.

Nach Wien kehrte er erst 1973, schwerkrank, sozusagen zum Sterben zurück.

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Maier in Brno am Tor, wo die vor der Verfolgung geflüchteten Sozialisten ihre Auslandsorganisation gründeten. © Bild: Lilly Maier

Vertraut

Lilly Maier hat für diese Biographie – wie schon eingangs erwähnt – Tausende Kilometer zurückgelegt, mit Dutzenden Wegbegleiter_innen und geretteten Kindern gesprochen und Archive in New York, Amsterdam und Wien durchgeackert. Corona hätte da übrigens Vorteile gehabt, bei Online-Anfragen „haben die alle so schnell geantwortet wie sonst nie, weil sie weniger zu tun hatten“, so die Historikerin, Journalistin und Buchautorin.

Gut 100 historische Fotos – viele aus dem Familien-Archiv der Papanek’schen Nachkommen, für die die Autorin zur Vertrauten geworden war – sind zu den jeweiligen Kapiteln passend im Buch abgebildet.

Gut lesbar samt Botschaft

Ihr rund 300 Seiten starkes Buch liest sich durch die Verknüpfung von Fakten und den Schilderungen Weggefährt_innen sehr flüssig. Irgendwie ist auch die Empathie der Autorin für dieses menschliche Vorbild zwischen den Zeilen zu spüren, ohne dass es je zur Hagiographie wird.

Übrigens hat die Autorin selbst eine eigene sehr informative und vor allem userfreundliche Website dazu gestaltet. Hier kann nach Lebensabschnitten und/oder Orten auf der Weltkarte gesucht werden. An den jeweiligen Orten poppen dann kurz gehaltene Infos auf, was Papanek dort zu welcher Zeit erlebt hat. Und es gibt sogar historische Audio-Files auf der Seite auf denen Ernst – von seinen Schüler_innen ließe er sich immer mit seinem Vornamen ansprechen – zu hören ist.

Lilly Maier wünscht sich in und mit dem Buch – und im Gespräch mit dem Kinder-KURIER -, dass er in seiner ersten Heimatstadt wieder bekannter wird. Zwar ist ein Gemeindebau im 15. Bezirk nach ihm benannt, aber abgesehen davon, dass die dortige kleine Gedenktafel ziemlich verschmiert ist, sagt der Text „Volksbildner“ nicht annähernd aus, was Papanek war und bewirkte. Wobei es ihr weniger ums Andenken geht. Seine Haltung, seine Ideen, sein Zugang auf und Umgang mit Kindern und Jugendlichen, nicht zuletzt solchen, die Fluchterfahrung haben – samt demokratischer Mitbestimmung selbst unter schwierigsten Bedingungen – sind genau so aktuell wie vor ungefähr 100 Jahren als er mit seinem Wirken in Wien begann.

Refugee-Kinder

Lassen wir noch einmal Ernst Papanek selber in einer Passage aus Maiers Buch zu Wort kommen: „Wir hatten versucht, in den Heimen um Montmorency (Frankreich bei Paris) Refugee-Kinder moralisch zu bewussten aufrechten Menschen zu erziehen, die ihr Leben mutig selbst in die Hand nehmen wollen und es können, weil sie nicht zu Unterstützungsempfängern, sondern zu wagenden und wissenden jungen Menschen, die arbeiten gelernt haben, erzogen wurden. …“

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© Bild: Emanuel Mauthe/Molden VerlagBuch-Infos

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@KiJuKUheinz

Erstveröffentlicht auf www.kiku.at

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Lilly Maier
Auf Wiedersehen, Kinder!
Ernst Papanek. Revolutionär, Reformpädagoge und Retter jüdischer Kinder
304 Seiten
Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria GmbH & Co. KG
Gebundene Ausgabe: 28 €
eBook: 23.99 €
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