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Autor Robert Klement mit dem Jugendbuch, wie Jugendliche in extremistische Fänge gelangen können - und über die Überforderung des damaligen Verfassungsschutzes
Autor Robert Klement mit dem Jugendbuch, wie Jugendliche in extremistische Fänge gelangen können - und über die Überforderung des damaligen Verfassungsschutzes
09.08.2024

Wie geht diese Verwandlung?

Taylor-Swift-Konzerte wurden wegen der Gefahr eines möglichen Terror-Anschlags von IS-Anhängern abgesagt; vor acht Jahren veröffentlichte österreichischer Jugendbuchautor das Buch „Halbmond über Rakka“ (Jungbrunnen Verlag). In diesem schildert er eine fiktive Geschichte in der ein Jugendlicher Schritt für Schritt in die Fänge islamistischen Extremismus gerät, sich radikalisiert – damals noch vor allem offline.

Dafür hatte er viel über Hinterhofmoscheen, „einsame Wölfe“, Anwerber:innen für den damals sehr aktiven IS samt eigenem Territorium recherchiert und beschrieben, wie Teenager in kürzester Zeit zu Sympathisant:innen wurden.

Darüber gab’s damals aus anlassbezogen einige Jugendromane in verschiedenen Verlagen. Klement hatte allerdings auch auf der Gegenseite seine Informant:innen. Bevor die BVT-Affäre aufflog, kommen in diesem Buch überforderte Verfassungsschützer:innen und damit folgenschwere Fehler beim Erkennen und der Abwehr von Gefahren zur Sprache – wie sie auch nach dem tödlichen Terror am 2. November 2020 kritisiert worden sind. Und der jetzige geplante, mögliche Anschlag konnte auch nur über Informationen ausländischer (Geheim-)Dienste verhindert werden

„Sie lebten zwischen den Welten und hatten nie herausgefunden, wo sie zu Hause waren. Integration bedeutete für sie, am sündhaften Leben der kranken österreichischen Gesellschaft teilzuhaben.“

„Halbmond über Rakka“, Seite 68

Verführung Dschihad

2016 habe ich – noch für den Kinder-KURIER – folgendes über das Buch geschrieben und mit dem Autor ein ausführliches Interview geführt – das in einem eigenen Beitrag:

Leila, Nico, Ahmed und Herrn Herzog hat sich der Autor ausgedacht. Aber wie in vielen seiner Bücher verpackte Robert Klement, jahrzehntelanger Deutsch- und Geschichte-Lehrer und Vielfach (ausgezeichneter) Autor, reale, ausführlich recherchierte, Schicksale und Vorgänge in seine fiktive Geschichte und Figuren. „Halbmond über Rakka“ mit dem Untertitel „Verführung Dschihad“ versucht – wie auch die anderen in den vergangenen rund zwei Jahren erschienenen Jugendbücher zum Thema IS – auf die Frage zu fokussieren, wie können – in der Regel grundvernünftige – Jugendliche auf der Suche nach so etwas wie Sinn in ihrem Leben, in den Sog, den Strudel einer derart totalitären Ideologie, die sich als Religion tarnt, geraten. Oder diesem – wie Nico hier – sich auch wieder entziehen.

Leila hatte sich – in recht kurzer Zeit – von einer durchschnittlichen, offenen Jugendlichen zu einer „Kriegerin“ gewandelt und war „verschwunden“. Ihr früherer Freund Nico will – genauso wie ihr Eltern – wissen: Waaaruuum????

Fatima (die Anwerberin, Anm. der Red.) lächelte ihm wohlwollend zu und sagte: „Es ist besser, bei der Gründung eines Staates zu helfen, als in diesem Staat hier zu verzweifeln.“

„Halbmond über Rakka“, Seite 72

Neue „Familie“

Auf der Suche danach droht Nico, der aufgrund einer Verletzung seine Leidenschaft Fußball und damit seine „Familie“ verloren hat, in die „Szene“ zu kippen. Neue Freunde, neue „Familie“, Sinn statt Leere…

Da trifft er auf Ahmed, einen früheren Kumpel aus der Kickerzeit. Der scheint einen Ausweg aus seiner Leere gefunden zu haben. Nico wird auch von dessen Freunden offen und herzlich aufgenommen – in der Moschee. Irgendwie kann Nico zwar nicht wirklich die versprochene, ersehnte, erhoffte Leichtigkeit finden, aber wenigstens eine „neue Familie“.

Dann macht sich der neue beste Freund nach Syrien auf. „Abzuhauen kam Ahmed wie ein erlösender Gedanke vor. Nur in Syrien würde er Ehre finden. Dort bin ich jemand. Hier bin ich niemand, nur – der böse Ausländer. Wenn sie mich nicht mögen, dann sollen sie mich wenigstens fürchten“, lässt der Autor diese seine Figur bei dieser Entscheidung denken.

„Nico erinnerte sich an ein Gespräch mit Leila. Der Imam hatte ihr erklärt, dass die Gesellschaft, in der sie lebte, am Rande des Abgrundes tanze. Für die wirklich wesentlichen Fragen wäre sie blind, und sie hielte diese Blindheit für völlig normal. Dagegen loderte in Ahmed ein Feuer, das in anderen längst erloschen war oder nie gebrannt hatte. Er war überzeugt, in Syrien sein persönliches Himmelreich zu finden.
Plötzlich hatte Nico das Gefühl, als wäre er am Ziel einer Sinnsuche angelangt. Bald begann das zweite Leben. Der neue Anfang, die Freiheit. In seinem tristen Dasein hatte sich eine völlig neue Perspektive eröffnet. Sein Leben war ab sofort ein Wirrwarr von Gefühlen und Plänen, Absichten und Zukunftsfantasien von großer Eindringlichkeit. So, als hätte er schon immer von dieser Chance geträumt.“ (S. 77)

„Halbmond über Rakka“, Seite 77

Desillusioniert

Ahmed muss aber dann schmerzhaft feststellen, dass die „abenteuerlich-romantische“ Vorstellung davon, wie sie daheim am Monitor zu sehen ist, mit der Wirklichkeit wenig gemein hat. Nein, es geht gar nicht so sehr um Skrupel, andere zu töten, das zeigen ja auch die Videos. Es geht darum, selbst nur erst recht wieder untergeordnetes Teil zu sein, noch dazu eines Unterdrückungs-Spitzel-Systems. Und auf der Flucht daraus draufzukommen, sch… da haben wir ja selbst überall das Gebiet vermint…

Klement schildert auch die Verzweiflung vor allem von Leilas Eltern, die ihre Tochter verloren haben, sich Vorwürfe machen, aber gar nicht finden, was sie wo wie anders machen hätten können.

„Ihr Imam (der Mutter, Anm. der Red.) habe gemeint, Leila hätte den Koran gründlich lesen sollen. Dann wäre es nicht so weit gekommen. Schließlich habe der Prophet gesagt, dass „das Paradies zu Füßen der Mütter liege“.
Man könne niemals ins Paradies kommen, wenn man die Mutter weinend zurücklasse.“

„Halbmond über Rakka“, Seite 142

Vorstellbar

Neben der IS-Szene und ihrem Umfeld widmet sich der Autor aber auch der Recherche auf der anderen Seite, der des Verfassungsschutzes und seinen Möglichkeiten und Methoden. Der Anwerbung von Informanten aus dem Umfeld der Szene, der Verwanzung von Handys.

Nico, der bald feststellt, so attraktiv die „neue Familie“, ein möglicher Sinn für sein Leben usw. sein mögen, auf Menschen schießen – das könne und wolle er doch nicht. Der Verfassungsschutz gewinnt ihn als potenziellen Informanten, nachdem er sein Vertrauen in den nach Syrien gegangenen besten Freund erschüttert hat. Und verwendet ihn als einen, der sich – zum Schein – anwerben lassen will, um an die Anwerber:innen heranzukommen.

Klement lässt die Staatsschützer aber auch Missgriffe tätigen, etwa wenn Leilas Vater, der die verlorene Tochter aus dem Krieg holen will, wie ein Terrorverdächtiger verhaftet wird.

„Wenn Gefahr im Verzug ist, muss dem Staat eben jedes Mittel recht sein“, sagte er müde vor sich hin. „Der Zweck heiligt schließlich die Mittel.“
„Heilig“, dachte er (Herzog, Direktor beim Verfassungsschutz, Anm. d. Red.). „Wieviel entspannter könnte doch das Leben sein, gäbe es keine Religionen. Dem Menschen sind sie ein Segen, der Menschheit bescheren sie bloß Unheil. Was wir wirklich brauchen, ist eine Ethik jenseits aller Religionen.“

„Halbmond über Rakka“, Seite 137

Robert Klement gelingt es – wie schon beim vor zwölf Jahren erstmals (nun bereits in 6. Auflage) erschienen „70 Meilen zum Paradies“ über Bootsflüchtlinge – ein brisantes Thema durch Verpacken in eine fiktionale Geschichte auf der Basis ausführlicher Recherche glaubhaft, nachvollzieh- und miterlebbar spannend und lebhaft authentisch zu schildern.

Follow@KiJuKUheinz

Zu dem schon erwähnten Interview mit dem Autor – 2016 geführt – geht es hier unten.

Titelseite des Jugendromans
Titelseite des Jugendromans „Halbmond über Rakka“, erschienen 2016
BUCH-INFOS

Text: Robert Klement
Halbmond über Rakka
ca. 140 Seiten
Ab 13 Jahren
Verlag Jungbrunnen
Hardcover: 16 €
eBook 13,99 €
Zu einer Leseprobe geht es hier