Kinder Jugend Kultur und mehr - Logo
Kinder Jugend Kultur Und mehr...
Szenenfoto aus "Warte, bis es dunkel ist!"
Szenenfoto aus "Warte, bis es dunkel ist!"
26.04.2025

Allein die Blinde hat den „Durchblick“

Spannender Krimi-Klassiker „Warte, bis es dunkel ist!“ mit vielen Wendungen rund um eine blinde Hauptfigur in einer innovativen, inklusiven Inszenierung im Theater Center Forum (Wien).

Alles dreht sich um eine mysteriöse Puppe. Fotograf Sam Hendrix hat sie von einem Flug von Kanada nach New York von einer Sitznachbarin im Flugzeug ausgehändigt bekommen, mit der Bitte, dass sie diese bei ihm später abholen könnte. Plötzlich ist die Puppe weg. Die Frau, die sie holen wollte, liegt ermordet in einem Müllcontainer in der Nähe. Sam wird zu Fotoshootings am Rande der Stadt gerufen. Bei Susy Hendrix tauchen dauernd Leute auf, die ebenfalls die Puppe wollen.

Mehrmals scheint alles ganz anders

Plötzlich scheint Sam verdächtig. Turbulentes Hin und Her, so manche der Figuren sind nicht solche für die sie lange gehalten werden… – das zu verraten würde aber schon einen Gutteil der Spannung des mehr als zweistündigen Abends mit so mancher Wendung samt einigen Leichen zerstören. Auch wenn manche vielleicht die Story von „Warte, bis es dunkel ist!“ von Frederick Knott (erste Filmversion: 1967; Regie: Terence Young; Drehbuch: Robert Carrington; u.a. mit Audrey Hepburn, die für ihre Hauptrolle für einen Oscar nominiert war; und Remake als „Das Penthouse“, 2013) kennen könnten.

Wer gehört zu den Guten, wer eher zu den Bösen, wer hat was getan oder nicht – das wogt bei Nicht-kennen der Story ganz schön hin und her. Die Schauspieler:innen, vor allem Marion Rottenhofer als Maggie Talman und Nagy Vilmos als Carlino, lassen da das Publikum aber auch ganz schön im Dunklen tappen. Nur Edward Lischka als Roat ist zwar wandelbar in seinem Auftreten, aber bald als einer der Bösewichte durchschaut.

„Durchblickerin“

Durchschaut vor allem von Elisabeth Kofler als Susy Hendrix. Sie ist die Ehefrau des Fotografen und als Figur (nicht als Schauspielerin) blind. Aber nicht, wie in der Version von vor mehr als einem halben Jahrhundert hilfsbedürftig, sondern sehr tough und eigenständig. Und so kann sie, was Menschen, die nichts sehen, zumeist sich angeeignet haben: Viel genauer hören. So checkt Susy, die erst vor recht kurzer Zeit bei einem Unfall erblindete, dass ein alter Mann, der bei ihr auftaucht, derselbe ist wie der junge, anfangs verklemmte musterschülermäßige und später forsche Böse Mister Roat – allein am Geräusch seiner Schuhe erkennt sie, dass es sich um ein und denselben Typen handelt. Kofler spielt diese Hauptfigur so, dass manche im Publikum zumindest zeitweise dachten oder wenigstens darüber grübelten, ob die Schauspielerin wirklich selber blind ist.

Fachliche Beratung über Expertin

Ist sie nicht. Er habe aber, so Regisseur Christoph Prückner, nach der vielumjubelten Premiere im großen Saal des Theater Center Forum in Wien-Alsergrund, auf Frage von Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… „sehr lange gesucht, aber in Österreich keine einzige blinde Schauspielerin gefunden, es gibt nicht einmal eine in Ausbildung.“

Was der Regisseur – und das gesamte Team – aber gemacht haben: Hilfe geholt bei einer Expertin: Janine Zehe. Sie ist Sprecherin von Hörspielen, arbeitet in der Hörbücherei des BSVÖ (Blinden- und Sehbehindertenverband Österreichs), kommt aus Hamburg, wo sie „semiprofessionelle Schauspielerin für sehende Profis und blinde Laien“ war. Was übrigens noch immer – wie sie KiJuKU verrät – ihre Leidenschaft ist. Singen gehört auch dazu, und sofort gibt sie eine Kostprobe ihres Könnens, aus dem Sitz heraus, ohne Einsingen – dem Ensemble, das sich zum Nachgespräch mit dem Reporter auf der Bühne versammelt hat, stockt der Atem, der Journalist bekam, wie er gestand, Gänsehaut.

Audio-Deskription für alle

Janine Zehe fungiert in diesem Theaterstück als Erzählerin, hat die entsprechenden, getakteten Texte, als Sprecherin vorher aufgenommen und gegen Ende der proben auch als Korrektiv der Inszenierung agiert.

Denn diese Aufführung wurde vom Regisseur von Anfang an gedacht als eine, die blinde und sehende Menschen gemeinsam erleben können. So manches Theater bietet eine Handvoll Aufführungen pro Saison mit Audio-Deskription an. Blinde und sehschwache Besucher:innen kriegen einen Knopf ins Ohr und das Bühnengeschehen wird für sie beschrieben. Hier ist jede Vorstellung gleich – und für Sehende vielleicht anfangs gewöhnungsbedürftig.

Total schwarzes Feld
Total schwarzes Feld

Ganz dunkel

So bleibt es gleich zu Beginn einmal zappenduster, sogar die Notbeleuchtung geht aus. Und für alle ist Zehes Stimme zu hören, die beschreibt, dass der Vorhang noch zu ist, nun aufgeht, ein wenig Licht angeht samt Beschreibung dessen, was auf der Bühne so herumsteht – von der Couch bis zum Kühlschrank, einigen Treppen bis zur Eingangstür und einer halb-offenen Tür zu einem weiteren Raum… (Bühne: Erwin Bail) – eine Art „bebildertes Hörspiel“ wie es der Regisseur nennt.

So und ähnlich spielt es sich den ganzen Abend ab, bis hin zur Ausstattung mit weißen Fotos an der Wand und einer unbedruckten Zeitung– und somit ist dieser ziemlich innovativ – für Österreich, Inklusion einmal von der anderen Seite angegangen. Aber, so Regisseur Prückner: „Selbst am Broadway wurde das Stück erst 2017 zum ersten Mal mit einer blinden Schauspielerin besetzt.“

Und er ist eine Wohltat für blinde Besucher:innen. Eine davon erzählt KiJuKU.at: „Ich gehe oft und gern ins Theater, leider gibt es noch nicht sehr viele Vorstellungen mit Audio-Description. Aber so wie da, das ist neu, sogar die Programmzettel gibt es in Braille-Schrift.“ Die tastbare Schrift aus erhabenen Punkten feiert übrigens heuer ihren 200. Geburtstag.

Susy und Gloria

Von Anfang an war klar, Susy Hendrix ist Frau über ihr Leben – im Gegensatz zur Originalfassung. Sie checkt nicht nur alles, weiß, wie sie sich wo bewegen muss, kennt aber auch – da kommt aus den Dialogen hervor – natürlich zielsicher ihre Wege in der Stadt. Und sie lässt sich nie und nimmer bevormunden, verfolgt auch ebenso zielstrebig Auswege aus der verworrenen kriminalistischen Situation, selbst in den brenzligsten Situationen. So „nebenbei“ gibt sie dem Publikum über Szenen im Stück so manchen Alltags-Rat mit auf den Weg. Kommt es doch leider nicht so selten vor, dass Menschen im Gespräch mit Blinden mitunter lauter werden: „Ich kann ganz gut hören!“ löst so manches „Aha“-Erlebnis aus;)

Eine weitere wichtige Figur im gesamten Geschehen ist die der Gloria, einer ungefähr 12-jährigen Nachbarin mit dicker Brille und Augenklappe. Diese Pubertierende, glaubhaft gespielt von Iris Pollak, hat Auge(n) nur für den Fotografen Sam, himmelt ihn an und ignoriert Susy, ja mobbt sie sogar ein wenig an. Letztlich freunden sich aber die Frau und das Mädchen ziemlich an und tricksen die Gauner:innen aus. Auch mit demselben Antrieb: Wir sind selbstständig und auf keine der Männer angewiesen.

Florian-Raphael Schwarz als dieser Fotograf und Ehemann Sam hat eher nur kurze Auftritte zu Beginn und gegen Ende, ist aber nicht nur Liebender, sondern auch noch Lernender im Umgang mit seiner selbstbewussten Ehefrau und deren Handicap. Einen Kürzest-Auftritt hat Benjamin Lichtenberg ganz am Ende, den Großteil des Abends handhabt er Licht- und Tontechnik.

kijuku_heinz

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Warte, bis es dunkel ist!

von Frederick Knott
(Deutsch von Wolfgang Menge)
Ca. 2 Stunden, eine Pause

Susy Hendrix: Elisabeth Kofler
Sam Hendrix: Florian-Raphael Schwarz
Gloria: Iris Pollak
Maggie Talman: Marion Rottenhofer
Roat: Edward Lischka
Carlino: Nagy Vilmos
Ein Polizist: Benjamin Lichtenberg
Erzählerin (Stimme): Janine Zehe

Inszenierung: Christoph Prückner
Bühne: Erwin Bail
Licht- und Tontechnik: Benjamin Lichtenberg
Kostüme / Ausstattung: Christoph Prückner und Ensemble
Tonaufnahmen: Tonstudio der Hörbücherei des BSVÖ Wien
Aufnahmeleitung: Sandra Eigner
Radiostimmen: Sandra Eigner, Christoph Prückner
Sounddesign: Christoph Prückner
Musik von: Moondog, Ray Charles, Art Tatum, Maria Theresia von Paradis, Conrad Paumann

Aufführungsrechte: Felix Bloch Erben Verlag GmbH

Wann & wo?

Bis 30. April 2025
7.bis 28. Mai 2025
4. bis 11. Juni 2025
Theater Center Forum
1090, Porzellangasse 50, Eingang: Glasergasse 2
Telefon: 01 310 46 46
kassa@theatercenterforum.com
Theater Center Forum -> Warte, bis es dunkel ist