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Szenenfoto aus dem Minidrama "Die Einen und die Anderen" von Dževad Karahasan
Szenenfoto aus dem Minidrama "Die Einen und die Anderen" von Dževad Karahasan
21.05.2023

Als Tribut für Dževad Karahasan: Die Einen und die Anderen beim Visual-Festival

„Visual – Europäisches und Internationales Visuelles Theater Festival“ schob anlässlich des Ablebens des bekannten bosnischen Autors eines seiner Monodramen ein.

„Ich bin zum Scheiterhaufen verurteilt und folglich werde ich verbrennen. Aber das ist nur ein Ereignis, kein Argument. Wir werden uns also in der Ewigkeit wieder begegnen und dort die Diskussion fortsetzen.“ Diesen Satz lässt Dževad Karahasan in seinem Minidrama „Die einen und die Anderen“ den in einem Calvinistenprozess in Genf Verurteilten sagen. Anlässlich des am Samstag bekannt gewordenen Todes des 70-jährigen Schriftstellers aus Sarajevo, der Hauptstadt Bosnien-Herzegovinas hob „Visual 2023, das 24. Europäische und Internationale Visuelles Theater Festival“ dieses kurze so aussagekräftige auf den Punkt gebrachte und so aktuelle Stück ins Programm.

Szenenfoto aus dem Minidrama
Szenenfoto aus dem Minidrama „Die Einen und die Anderen“ von Dževad Karahasan

Werner Mössler, Markus Pol, Rita Luksch und Markus Rupert setzten den Text in Szene, die beiden zuletzt Genannten in deutscher Lautsprache; Ersterer in österreichischer Gebärdensprache, die dann als „Echo“ vom Zweitgenannten im Hintergrund verstärkt wurde. Alfred Aichholzer, Gregor Narnhofer und Thomas Trsek spielten – ebenfalls im Hintergrund – begleitende, unterstützende Musik zu dem Stück um einen seines Glaubens wegen Verurteilten. Auf der Seite der Eine – und andererseits jene, die meinen, im Besitz der Wahrheit zu sein und sich damit das Recht herausnehmen über das Leben anderer zu entscheiden, heißt es doch unter anderem bei Karahasan: „Diese Situation ist sehr kennzeichnend für die Politik (und leider auch für die Geschichte) als Theater: auf der einen Seite stehen jene als Figuren beziehungsweise Protagonisten, die über die Macht verfügen, Ereignisse hervorzurufen und zu gestalten, auf der anderen stehen als Antagonisten beziehungsweise Gegenfiguren jene, die an die Wahrheit glauben und über Argumente verfügen. Zwischen Ihnen – als Basis ihrer Beziehung – steht der Tod. Der Tod verknüpft diese Figuren in zweifacher Weise:
1. dadurch, dass erstere ihn den Zweiten zufügen (sie töten)
2. dadurch, dass er beider gemeinsames Kennzeichen ist, denn zum Glück sind beide sterblich.“

Szenenfoto aus dem Minidrama
Szenenfoto aus dem Minidrama „Die Einen und die Anderen“ von Dževad Karahasan

Dževad Karahasan …

… hatte Romane, Dramen, Essays und theoretische Schriften verfasst, mit denen er sich immer wieder als Vermittler zwischen Kulturen und Religionen verstand. Geboren 1953 in eine muslimische Familie in Bosnien, besuchte er eine christliche Schule (Franziskaner). Er studierte in Sarajevo Literatur- und Theaterwissenschaft, lehrte auch dort an der Akademie für szenische Künste. Als Sarajevo belagert wurde, konnte er flüchten – nach Österreich und wurde Gastdozent an verschiedenen europäischen Universitäten u.a. in Salzburg.

Zu seinen wichtigsten Werken zählen „Sara und Serafina“ (2000), „Der Trost des Nachthimmels. Roman in drei Teilen“ (2016) und 2019 der Erzählungsband „Ein Haus für die Müden“. Vor wenigen Monaten erschien „Einübung ins Schweben: Eine ethische und existentielle Grenzerfahrung vom literarischen Chronist Sarajevos“. Nach Ende der Kriege im vormaligen Jugoslawien wurde Karahasan Dramaturg am Nationaltheater von Sarajevo. Zugleich fand er in Graz eine zweite Heimat, wo er von 1996 bis 2003 als Stadtschreiber tätig war. Dabei empfing ihn die neue Heimat auch mit entsprechenden Auszeichnungen. So erhielt Dzevad Karahasan etwa 1995 für „Tagebuch der Aussiedlung“ den Bruno-Kreisky-Preis, 1999 den Wiener Herder-Preis, 2017 den Grazer Franz-Nabl-Preis. Und 2020 wurde Dževad Karahasan mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt geehrt.

Szenenfoto aus dem Minidrama
Szenenfoto aus dem Minidrama „Die Einen und die Anderen“ von Dževad Karahasan

Karahasan – ARBOS

Weniger in der breiten Öffentlichkeit bekannt ist, dass Dževad Karahasan ist seit seiner Flucht vor dem Krieg auch Dramaturg und Dramatiker von „ARBOS – Gesellschaft für Musik und Theater“ war. „Ich werde nie vergessen, wie er im Feber 1993 in Klagenfurt vor dem Probenraum stand nur mit den Sachen, die er bei sich trug. Also hab ich die Tür aufgemacht … Und daraus wurde eine sehr schöne Zusammenarbeit, die den Tod überdauert“, schreibt Herbert Gantschacher, der „Vater“ von ARBOS in einer eMail an Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… Er führte bei vielen Stücken, die Karahasan für ARBOS schreib, Regie und übersetzte viele seiner Theatertexte. Dem oben genannten Monodrama „Die Einen und die Anderen“ fügte die Gruppe aus gegebenem Anlass einen Satz am Ende hinzu: „Wir werden uns in der Ewigkeit wiedersehen und die Diskussion dort fortsetzen“.

Kain

Nach dem aktuellen Einschub begann das Festival Visual 2023 wie geplant mit einer Inszenierung von Anton Wildgans‘ „Kain“. In der Regie Herbert Gantschachers spielten Werner Mössler, Markus Pol, Rita Luksch, Alfred Aichholzer, Markus Rupert, Gregor Narnhofer und Thomas Trsek.

In „Kain“ verbindet Anton Wildgans die biblischen Geschichten von der Vertreibung aus dem Paradies (Adam und Eva) und den bekannten Brudermord (Kain und Abel). Bei ihm ist die Titelfigur gehörlos. Damit war aufgelegt, diese Figur in der ARBOS-Version mit einem gehörlosen Schauspieler zu besetzen – und natürlich bilinguale zu inszenierne und spielen – Laut- und GebärdenspracheInszenierung.

Festival

Das 24. Europäische und internationale visuelle Theater-Festival läuft noch bis 17. Juni – live und analog im Theater Spielraum in der Wiener Kaiserstraße (siehe Info-Bos) UND vieles auch als Online-Streams – siehe Info-Box.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Visual 2023 – 24. Europäisches und internationales visuelles theater festival

Bilinguales Theater – in österreichischer Gebärden- und deutscher Lautsprache bzw. manches auch in französischer Gebärden- bzw. Lautsprache

Wann & wo?

Bis 17. Juni 2023
Vorstellungen in Wien: Theater Spielraum: 1070, Kaiserstraße 46
Telefon: 01 713 04 60

Im urbanen Raum: in U- und S-Bahnstationen

Vorstellungen in Bundesländern
Grafenegg (NÖ): 1. Juni 2023
Oberschützen (Burgenland): 2. Juni 2023
Klagenfurt (Kärnten): 4. Juli 2023

arbos -> festival_23

Online

Viele Stücke werden live gestreamt

arbos -> livestream

Hörspiele von Dževad Karahasan

„Al-Mukaffa“, ORF 1994
„Der entrückte Engel“, ORF 1995 (Regie: Herbert Gantschacher)
CD mit Dramen und Libretti von Dževad Karahasan:
Al-Mukaffa, ARBOS 1996
Der Gesang der Narren von Europa, ORF ARBOS-Edition 1998
UROBOS: Project Time, Singapore Arts Festival 2001
Gastmahl, ARBOS-Edition 2006
Link zum Nachhören: arbos -> audiothek

Veröffentlichte Theatertexte von Dževad Karahasan, die ARBOS – Gesellschaft für Musik und Theater uraufgeführt hat:
Al-Mukaffa, Wieser Verlag und ARBOS-Edition 1994
Povuceni Andjeo / Der entrückte Engel, ARBOS-Edition 1995
Das Konzert der Vögel, edition selene 1997
Gastmahl, Lichtungen 2005

Dramen und Libretti, die von ARBOS – Gesellschaft für Musik und Theater uraufgeführt hat:
Al-Mukaffa, Uraufführung Wien 1994 im Theater Akzent
Der Gesang der Narren von Europa, Literarische Installation eines Librettos gemeinsam mit Herbert Gantschacher, Uraufführung 1994 im Künstlerhaus Salzburg durch ARBOS
Povuceni Andjeo, Uraufführung 1995 beim Donaufestival in Krems durch ARBOS
Das Konzert der Vögel, Uraufführung 1997 im Künstlerhaus Salzburg durch ARBOS
Babylon oder die Reise der schönen Jutte, Uraufführung 1999 im Europäischen Kulturzentrum Erfurt durch ARBOS
Die Fremden, Uraufführung 2001 im Wiener Theater des Augenblicks
UROBOS: Project Time gemeinsam mit Herbert Gantschacher, Uraufführung 2001 beim Singapore Arts Festival
Schnee und Tod (für die Bühne eingerichtet von Herbert Gantschacher), Uraufführung 2002 im Wiener Theater des Augenblicks
Am Rande der Wüste, Uraufführung 2003 in der neuebuehnevillach
Eine alte orientalische Fabel, Uraufführung 2004 im Wiener Theater des Augenblicks
Die einen und die anderen, Uraufführung 2005 im Wiener Theater des Augenblicks
Gastmahl, Uraufführung 2005 in der neuebuehnevillach
Die Landkarten der Schatten, Uraufführung in Österreichischer Gebärdensprache 2011
Prinzip Gabriel, Uraufführung 2014 im Wiener Schauspielhaus

Dramen, die Herbert Gantschacher autorisiert von Dževad Karahasan ins Deutsche übertragen worden sind:
Am Rande der Wüste 2003
Gastmahl 2005

Klassikerbearbeitungen, die von die ARBOS – Gesellschaft für Musik und Theater aufgeführt bzw. uraufgeführt wurden:
Woyzeck, Dramenfragment von Georg Büchner, Uraufführung 1999 Nationaltheater Sarajevo, österreichische Erstaufführung 2007 im Wiener Theater des Augenblicks
Der Tod des Empedokles, Fragmente eines Trauerspiels von Friedrich Hölderlin bearbeitet von Dževad Karahasan (Idee) und Herbert Gantschacher (Dramaturgie) mit Musik von Viktor Ullmann und Wolfgang Danzmayr, Uraufführung 2005 im Wiener Theater des Augenblicks