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Szenenfoto aus "Aus der Luft gegriffen ..." im Wiener Theater Spielraum
Szenenfoto aus "Aus der Luft gegriffen ..." im Wiener Theater Spielraum
14.04.2022

Amüsantes Theaterstück über Luftgeschäfte

Im Wiener „Theater Spielraum“ ist – bis Ende April 2022 – Hermann Brochs „Aus der Luft gegriffen oder Die Geschäfte des Baron Laborde“ – geschrieben 1934 (!) – zu erleben.

Grüner Filz dominiert die Bühne und große Spielkarten. Treff-end dieses Casino-Ambiente. Gegeben wird hier im Wiener Theater Spielraum Hermann Brochs Komödie „Aus der Luft gegriffen oder Die Geschäfte des Baron Laborde“. Geschrieben 1934, erstmals aufgeführt erst fast 50 Jahre später (1981 im deutschen Osnabrück, 1983 im Wiener Akademietheater), wirkt das Stück, als wäre es frühestens zur großen Finanzkrise vor nicht einmal eineinhalb Jahrzehnten verfasst worden.

Bankenrettung 😉

Casino-Kapitalismus, Hochstapelie, Scheingeschäfte, aufgeblasene Finanz-Bubbles – eben Luftgeschäfte. Aber schon knapp vor dem Platzen. Das Hotel in dem der titelgebende Baron (Martin Purth), seines Zeichens Hochstapler, Bankendirektor (Mario Klein) und -präsident (Raimund Brandner), dessen Tochter Agnes (Valentina Himmelbauer) sowie die Baronin Anastasia, immer nur Stasi genannt (Dana Proetsch) aufeinander treffen, scheint schon ein wenig … – naja, immerhin wird dessen Direktor (Christian Kohlhofer) vor allem zum Kellner -– auf rollenden Schuhen (Heelys), sozusagen stets zu Diensten, auch wenn er hinter der Theke fast wie ein Sprungteuferl aus der Schachtel emporschnellt. In der Verkleidung als Karikatur eines (geheimen) Polizisten lässt er schließlich die nicht wirklich gewillte Staatsmacht gegen Finanzbetrügereien antanzen – kurzfristig, sozusagen als Alibi-Handlung..

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Aus der Luft gegriffen …“ im Wiener Theater Spielraum

Könnte aktuell geschrieben sein …

Der Bank geht’s auch nicht mehr besonders gut, auch wenn deren Präsident und der Direktor, Schwiegersohn in spe, in mit Dollar-Scheinen bedruckten Anzügen auftreten (Bühne und Kostüme: Anna Pollack). Da kommt der Herr Baron ins Spiel. Er versucht gar nicht zu verbergen, ein Hochstapler zu sein und mit Anteilen an Fabriken und Geschäften zu handeln, die jeder realen Geschäftsgrundlage entbehren – heute könnten sie als virtuell bezeichnet werden. Kurzweilig, amüsant und doch hin und wieder ein gewisses Schlucken, weil einem sehr aktuelle, reale „Luft“-Geschäfte (Stichworte WireCard oder Anna Srorokin, die russisch-deutsch-US-amerikanische Betrügerin in der High Society, deren Leben für 100.000e Dollar verfilmt wird) einfallen, spielt sich das kleine Ensemble (Regie: Gerhard Werdeker) durch die Komödie, in der der deklarierte Hochstapler noch die ehrlichste Figur zu sein scheint. Natürlich dürfen diverse, wechselnde Liebschaften nicht fehlen, die sozusagen Lug und Trug auf privater Ebene demaskieren.

In der „Spielraum“-Version zieht sich die Unehrlichkeit sogar bis in Requisiten durch. Pokerwürfelchen werden zu Zucker und dieses wird später wiederum von Salz gespielt 😉

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Aus der Luft gegriffen …“ im Wiener Theater Spielraum

Zitat

„Zwischen dem Paradies der Noch-nicht-Wirtschaft, die es wahrscheinlich einmal gegeben hat, und dem der Nicht-mehr-Wirtschaft, die es vielleicht einmal geben wird, liegt die Hölle der Wirtschaft, und die gab es gestern, die gibt es heute, die wird es morgen geben, umso mehr Hölle als auf dieser kurzen, höchstens bis übermorgen wirklich überschaubaren Wegstrecke sich die Entwicklung zur Totalwirtschaft und sohin auch zur totalen Wirtschaftsversklavung feststellen lässt.“ Dieses Zitat von Hermann Broch findet sich unter anderem im wie immer dichten Programmheft, eines der Markenzeichen von Theater Spielraum.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Aus der Luft gegriffen …“ im Wiener Theater Spielraum

Nobelpreiswürdig

Darin ist auch zu lesen, dass Hermann Broch 1950, ein Jahr vor seinem Tod von internationalen Kollegen für den Nobelpreis vorgeschlagen worden war. Als das Stockholmer Komitees jedoch in Wien um Auskünfte über den Schriftsteller anfragte, bekam es die knappe Antworte, einen solchen kenne man hier nicht. Erst Elias Canetti, den Broch gefördert hatte, würdigte anlässlich seines Literatur-Nobelpreises 31 Jahre später in seiner Rede Hermann Broch neben Karl Kraus, Franz Kafka und Robert Musil als jene Kollegen, für die er gleichsam stellvertretend die Auszeichnung entgegennehme.

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Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Aus der Luft gegriffen …“ im Wiener Theater Spielraum
INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Aus der Luft gegriffen oder Die Geschäfte des Baron Laborde

Komödie von Hermann Broch
Für das Theater Spielraum eingerichtet und Regie: Gerhard Werdeker

Seidler, Präsident des Bankenkonzerns: Raimund Brandner
Agnes, seine Tochter: Valentina Himmelbauer
Baron André Laborde: Martin Purth
Baronin Stasi: Dana Proetsch
Walther Ruthart, Direktor der Seidler’schen Bank: Mario Klein
Hoteldirektor/ (Geheim-)Polizist: Christian Kohlhofer

Bühne und Kostüme: Anna Pollack
Licht: Tom Barcal
Abendtechnik: Daniel Leitner

Wann & wo?

Bis 30. April 2022
Theater Spielraum: 1070, Kaiserstraße 46
Telefon: 01 713 04 60
Theaterspielraum -> aktuelles-programm