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Szenenfoto aus der Performance Auf der Suche: Gastarbeitler 60‘
Szenenfoto aus der Performance Auf der Suche: Gastarbeitler 60‘
08.06.2024

Es wurden Arbeitskräfte gerufen – und es kamen Menschen an

Festival der Theaterwerkstätten im Dschungel Wien, Teil 1: Auf der Suche: Gastarbeitler 60‘.

Einsam bläst im vorderen linken (vom Publikum aus gesehen) Bühnen-Eck Özgün Yarar die Ney (eine lange, dünne Flöte) und bringt mit seinen orientalisch klingen Tönen das Publikum weit weg – für die einen Urlaubsfeeling, für andere Heimatgefühle. Plötzlich Gestampfe auf der Treppe zwischen den beiden Hälften der Publikums-Tribüne. Zwölf Performer:innen betreten mit Sprech-Chören die Bühne, darunter dem bekannten: Arbeitskräfte haben wir gerufen – Menschen sind gekommen! Ergänzt auf dem Weg zur und dann auf der Bühne durch die Bemerkung, dass dies natürlich auch für Flüchtlinge, Migrant:innen usw. gilt – es geht doch immer um Menschen. Besser gesagt/gedacht: Es sollte um die Haltung gehen, dass es sich immer um Menschen dreht.

Szenenfoto aus der Performance Auf der Suche: Gastarbeitler 60‘
Szenenfoto aus der Performance Auf der Suche: Gastarbeitler 60‘: Musik und Gesang

„Auf der Suche: Gastarbeitler 60‘“ heißt die Performance (künstlerische Leitung: Elif Bilici) und bildet den Abschluss einer der Theater-Werkstätten im Dschungel Wien, dem Theaterhaus für junges Publikum im Museums-Quartier. Die verschiedenen Werkstätten präsentieren ihre Ergebnisse derzeit – teils bis Dienstag.

Chor mit Solist:innen

Das Dutzend formiert sich auf der Bühne zum Sprech-Chor – „dirigiert“ mit einer Art senkrecht von Holzstäben hängenden Text-Fahnen durch Bruno Pisek. Rocco Baldari, Nikolay Yulianov Chulev, Noemi Thuy-Lan Felicitas Duong, Valentina Eminova, Zeynep Kiyıcı, Kai Kugler, Polina Merkulova, Destiny Okon, Hicran Saço, Anna Tarasenko und Özlem Yarin bilden diesen Sprech-Chor, der knapp, kurz, prägnant Texte zu Wohnen, Arbeiten, Leben in der neuen Heimat, Sehnsüchte nach der ersten zum Ausdruck bringt. Immer wieder treten einzelne Akteur:innen aus dem Chor solistisch ins Bühnen-Zentrum erzählen von der Ankunft im so ersehnten Wien – samt der Aufnahme mit nicht gerade nur offenen Armen.

Szenenfoto aus der Performance Auf der Suche: Gastarbeitler 60‘
Szenenfoto aus der Performance Auf der Suche: Gastarbeitler 60‘ – Sprech-Chor

Die Performer:innen, die das Stück auch mit-entwickelt haben – gemeinsam mit anderen (Neil Dölling Lucia Dorner) und teils unter der Leitung von Armela Madreiter und Thomas Perle in Schreibwerkstätten, bringen auch ihre mitgebrachten Sprachen organisch ins Stück ein (in alphabetischer Reihenfolge): Deutsch, Englisch, Italienisch, Japanisch, Kurmandschi, Romanes, Rumänisch, Serbisch, Türkisch, Ukrainisch und Zazaki.

Sprach-Nachrichten vor Jahrzehnten

Und sie konnten auf viel historisches Material und Interviews vor allem mit Ali Gedik zurückgreifen. So widmet sich eine Passage dem was heute wohl als Sprach-Nachrichten bezeichnet werden würde. Es gab – was sich Jüngere vielleicht gar nicht vorstellen können – weder Handys noch Internet, telefonieren war sauteuer und geschriebene Briefe drückten oft die unmittelbaren Gefühle nicht so direkt aus wie Sprachaufnahmen.

Menschen nahmen auf Kassetten mit langen dünnen Bändern Eindrücke vom Arbeiten und Leben in der neuen Heimat auf, steckten sie in Kuverts, schickten sie zur Familie nach Hause. Im Dorf saßen viele rund um ein Radio mit Kassettenspieler, hörten gespannt zu und – schickten umgekehrt wieder Kassetten mit eigenen Sprach-Aufnahmen nach Österreich. Wehmut. Ein Stück Heimat bzw. Verbundenheit zwischen da und dort. Das Hin und Her nahm übrigens einigen Wochen in Anspruch. Und jene, die hier in der Fremde, die später zur neuen Heimat wurde, waren oft nicht ganz ehrlich, erzählten nicht, wie schlecht es ihnen, die hier Jobs verrichteten, die die Einheimischen nicht machen (wollten), ging. In wie beengten Wohnverhältnissen sie leben (mussten)…

Szenenfoto aus der Performance Auf der Suche: Gastarbeitler 60‘
Live-Musik und -Gesang

Immer wieder werden die Sprech-Chöre bzw. Solo-Auftritte wieder von Musik unterbrochen, die Stimmungen untermalen, Sehnsüchte zum Ausdruck bringen. Der schon erwähnte Musiker greift zu Blas- bzw. Saiteninstrumenten (Saz und Buzuki) und wird begleitet von der Sängerin Deniz Öz mit wunderbarer Stimme – unter anderem auf Zazaki, einer der kurdischen Sprachen. Und unter anderem einem Lied, das den Bogen zum ersten Auftritt des Sprech-Chores schloss: Es wurden Arbeiter gerufen und es kamen Menschen an.

Ausstellung

Dem Thema von Menschen, die als Arbeitskräfte geholt wurden, widmet sich auch eine Ausstellung im Dschungel Wien – in den Räumen vor Bühne 3 bzw. dem Bürotrakt. Viele Fotos aber auch zwei Koffer mit Zeitungs-Ausschnitten, Audio-Kassetten, einem künstlerisch gestalteten Koffer usw. geben optische – und zum Teil zu lesende (Bücher) Einrücke in das Leben von einigen einzelnen Menschen. Aber auch in wissenschaftliche Aufarbeitung der Strukturen.
„Wem gehört die Geschichte? Wie wurde[n] Geschichte[n] geschrieben? Gibt es schon eine Geschichte der Migrant*innen in Österreich?“ – diese Fragen durchziehen die Ausstellung mit vielen Fotos von Felat Diljin. Ein Teil der Ausstellung kommt von „Stimmen der Vielfalt“ vom Grazer Verein JUKUS (Jugend Gesundheit Stadtteilarbeit Kultur).

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Auf der Suche: Gastarbeitler 60‘

Produktion der Theaterwerkstatt; Performance
Ab 14 Jahren; 50 Minuten

Künstlerische Leitung: Elif Bilici
Leitung Schreibwerkstatt: Armela Madreiter, Thomas Perle
Leitung Sprech-Chor: Bruno Pisek

Live-Musik (Saiten- und Blasinstrumente: Saz, Buzuki, Ney und Kaval): Özgün Yarar; Gesang: Deniz Öz
Stückentwicklung und Performance: Rocco Baldari, Nikolay Yulianov Chulev, Noemi Thuy-Lan Felicitas Duong, Valentina Eminova, Zeynep Kiyıcı, Kai Kugler, Polina Merkulova, Destiny Okon, Bruno Pisek, Hicran Saço, Anna Tarasenko, Özlem Yarin
Mitgewirkt an der Erarbeitung und den Texten: Neil Dölling Lucia Dorner
Bilder auf der Bühne: wienerlichtblicke.at

Hospitanz: Felat Diljin
Besonderer Dank an Ali Gedik für historisches Material

Wann & wo?

8. Juni 2024
20 Uhr
10. Juni 2024
11 Uhr
Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: 01 522 07 20-20
dschungelwien -> auf-der-suche-gastarbeiterler-60

Ausstellung
Bis 10. Juni – im Bürotrakt von Dschungel Wien; vor Bühne 3

dschungelwien -> Ausstellung 60-jahre-gastarbeit