„Waisen“ von Dennis Kelly, gespielt vom Theaterverein „taschenspielerinnen“ zunächst in „Carla“ (Wien), dann in Mödling und Baden.
Zwischen alten Möbeln in gutem Zustand und viel Kinderspielzeug – Funfact: Über dem Schild Kinder steht auch second hand/second chance – warten zwei Dutzend Umzugskartons sowie einige weitere unbeschriftete als Bühnenbild auf das kommende Stück. Das Publikum sitzt auf unterschiedlichen Sesseln aus diesem „zweite-Chance“-Verkaufslager für einen guten Zweck („Carla“ von der Caritas) am Wiener Mittersteig.
Der Theaterverein „taschenspielerinnen“ junger Schauspieler:innen spielte Freitagabend vor dem Muttertag die Premiere von „Waisen“, geschrieben von Dennis Kelly. Ein Krimi. Eine Psychokiste. Eine Familiengeschichte. Spannend. Heftig. Immer ärger werdend. Aus dem heilen, glücklichen Paar Helen (Lara Bumbacher) und Danny (Christopher Korkisch), die gerade feiern, dass sie mit einem zweiten Kind schwanger ist, wird eine Tragödie mit ständiger Prüfung von Vertrauen (Regie: Peter Pausz):
Liam (Clemens Fröschl), Helens Bruder – beide verloren früh ihre Eltern, wuchsen bei Pflegeeltern auf, die Ältere fühlt sich für den Jüngeren verantwortlich – platzt in den ohnehin schon etwas unterkühlt wirkenden zweisamen Abend. Mit blutverschmierten Händen und ebensolchem T-Shirt, einem Geschenk der großen, fürsorglichen Schwester. Er habe nur einem auf dem Straßenboden liegenden verletzten Jungen geholfen. So die Erstversion.
Neben der Störung des geplanten romantischen Abends des Paares beginnt Misstrauen, als der Schwager die Polizei rufen will, um den Verletzten zu retten. Doch Liam hat Vorstrafen – also Vorurteile, also Misstrauen. So wird Helen hin und her gerissen zwischen Bruder und Ehemann. Loyalitätskonflikt. Und das ist noch nicht alles. Nach und nach rückt Liam mit der Wahrheit heraus. Eskalation. Wie und was – das sei hier nicht verraten.
Nur so viel: Zwischen dem Trio ergeben sich immer wieder wechselnde 2:1-Konstellationen, Vertrauensbrüche, Misstrauen und alle drei Schauspieler:innen lassen die Abwärtsspirale miterleben. Immer ärger, immer rauer der Umgangston. Auszucker. Wieder Beruhigung. Doch je länger die knapp mehr als 1 ¼ Stunden gehen, desto eher ist einkehrende vorübergehende Ruhe nur Vorbote des nächsten Sturms.
Als – zugegeben – Nichtkenner des Originals des in London geborenen, in Irland aufgewachsenen Autors hoffst du auf eine Wendung à la: Alles nicht wahr, wollte nur prüfen, ob du, liebe Schwester, du werter Schwager, zu mir stehen, mich unterstützen. Doch – Spoiler – das ist nicht der Fall.
Dennis Kelly verarbeitete einen eigenen erlebten brutalen Überfall auf seine Person in diesem 2009 veröffentlichten Stück. Die engagierte Theatergruppe schreibt im kleinen Falt-Programmheft, ihr Ausgangspunkt, sich dieses Stück herzunehmen sei der berühmte Satz aus den berüchtigten Chats „Du bist Familie“ gewesen. Was alles Familie sein kann, zeigen auch nicht zuletzt die fünf Dutzend Femizide der vergangenen zweieinhalb Jahre. Fast immer wurden die Frauen von Männern aus der eigenen Familie oder einer (Ex-)Beziehung ermordet.
Und so nebenbei fällt einem der sarkastische Witz aus der untergegangenen DDR ein: „Sind die Russen jetzt unsere Brüder oder Freunde?“ – „Freunde kannst du dir aussuchen“, so der Konter.
von Dennis Kelly
Übersetzung ins Deutsche: John Birke
taschenspielerinnen [theaterverein]
1 ½ Stunden (ohne Pause)
Regie: Peter Pausz
Darsteller:innen
Helen: Lara Bumbacher
Danny: Christopher Korkisch
Liam: Clemens Fröschl
Rechte: Rowohlt Theater Verlag
Wien
11. – 13. Mai 2022; jeweils 19.30 Uhr
Carla: 1050, Mittersteig 10
Telefon: 01 505 96 37
Niederösterreich
18., 19. Mai; jeweils 20 Uhr
Stadtgalerie Mödling: 2340, Kaiserin Elisabeth-Straße 1
karten@dieStadtgalerie.at
20. Mai; 19.30 Uhr
Theater am Steg Baden: 2500, Johannesgasse 14
Telefon: 02252/86 800-522