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Musiker_innen auf der Bühne
Musiker_innen auf der Bühne
27.07.2021

Ganz besondere Salzburger Festspiele

Moderne Miniatur-Theaterstücke und neue Musik – auch für Gehörlose in Hüttschlag (Pongau) vom ARBOS-Ensemble – mit einem gehörlosen Schauspieler.

Außergewöhnliches spielte sich vergangenen Sonntag in Hüttschlag ab, einem Ort mit mehr Höhenmetern (1030) als Einwohner:innen (911). In diesem Ort im Salzburger Pongau, keine 100 Kilometer von der Landeshauptstadt entfernt, fand die eigentliche Eröffnung der Salzburger Festspiele statt. So selbstbewusst untertitelte „ARBOS – Gesellschaft für Musik und Theater“ die beiden jeweils knapp 20-minütigen Videos der Aufführung zweier Kompositionen neuer Musik.

Überwundener Gegensatz Stadt/Land

Und hier in dem kleinen Ort am Anstieg aus dem Tal, einer Gegend, die für Großstädter:innen fast wie eine hingestellte Kulisse wirkt, fand der Abend – neben den Konzerten gab es auch Minidramen – in der ziemlich frisch renovierten Volksschule statt. Der Turnsaal ausgelegt mit einem Teppichboden, um die Turnfläche nicht zu beschädigen, und mit Bühnenpodesten versehen, war in der Publikumshälfte fast vollbesetzt. Rund 50 Besucherinnen und Besucher, darunter ein Kind und eine Jugendliche, aus dem Ort, aber auch aus der näheren und weiteren Umgebung waren zu dieser doch avantgardistisch anmutenden Kulturveranstaltung gekommen.

Dennoch war es vor Beginn relativ leise, obwohl sich die Gäste ausführlich unterhielten – die meisten jedoch in Gebärdensprache. Neben den vielleicht ungewöhnlichen Programmpunkten gab es noch eine Besonderheit: Die Mitwirkung des hier in der Gegend wohlbekannten Schauspielers Werner Mössler, selbst gehörlos. ARBOS wurde von Herbert Gantschacher vor fast drei Jahrzehnten zunächst als „Gehörlosentheater-Festival“ gegründet und längst in visuelles Theater umbenannt – um es auf den Fokus und nicht ein Defizit zu konzentrieren.

Daniil Charms-Dramen

Zurück nach Hüttschlag in der Nähe von St. Johann (natürlich dem im Pongau): Im ersten Teil spielte der schon genannte Werner Mössler – gemeinsam mit Markus Rupert, Herbert Gantschacher, manchmal Markus Pol und Adi Schober (an der Trommel, die er nicht nur schlug, sondern passend zu Szenen auch mit den bloßen Händen „kratzt“) – absurde Miniaturdramen nach skurrilen Geschichten von Daniil Charms (Daniil Iwanowitsch Juwatschow, 1905 bis 1942 in St. Petersburg/Leningrad). Vom scheinbar belanglosen Reden über Vögel, um nur ja nichts sagen zu müssen/dürfen, das der Obrigkeit nicht in den Kram passen könnte bis zu in überdimensional großen Gesten gespielten Streits, die dann doch mitunter sehr überraschend zu Ende gehen, reichte der Bogen der kurzen, kräftigen Szenen.

Wie Kanonenschüsse

Zu den Miniaturen zählten noch zwei weitere – diesmal nicht von Daniil Charms. In „Sturmangriff – niemals Helden“ bringt der deutsche frühe Dichter moderner Literatur – und Hauptmann im ersten Weltkrieg in zehn Zeilen in zwei Dutzend wie hingeballerten Wörtern Schrecken des Krieges, den er von beiden Seiten – als Täter und Opfer – kannte zum Ausdruck – von Mössler, Rupert und Gantschacher ohne lautsprachliche Worte umgesetzt.

Zum Krüppel zerrissen

Das selbe Trio bringt vielleicht noch berührender „Johnny zieht in den Krieg“ auf die Bühne im Turnsaal der Hüttschlager Volksschule – zu heftig dröhnender Musik der Band „Metallica“. In ihrem Song „One (Text und Musik: Lars Ulrich und James Hetfield) beschreiben sie aus Dalton Trumbos Roman „Johnny got his gun“ das Schicksal eines Soldaten im ersten Weltkrieg, der von einer Landmine zerfetzt beide Arme und Beine, ja sogar Augen und Ohren verliert. Nur mit Hilfe von Kopfnicken im Rhythmus des internationalen Notrufsignals SOS kann er sich Ärzten im Lazarett mitteilen.

Neue Musik

Vor dem zweiten Teil des Abends wurde die Bühne voll. Das Orchester des ARBOS-Ensembles nahm Platz: Regina Schmallegger mit Querflöte, Gregor Narnhofer an der Klarinette, Stefan Hermüller mit der großen Tuba, Bojana Foinidis am Akkorden, die beiden Streicher Rupert Schöttle (Cello) und Thomas Trsek (Violine). Im Hintergrund mit gewaltiger „Maschinerie“ der Schlagwerker Adi Schober vor einem großen Vibraphon, hinter sich einen großen Gong und eine noch größere Trommel, aber auch eine kleine – die er später mit einem Besen bespielt. Dazu brachte er noch zwei mit einem Metallscharnier verbundene Bretter mit.

Bekannte und ungewöhnliche Instrumente

Als die Musiker:innen sich und ihre Instrumente eingespielt hatten, betraten die Sänger:innen Selma Aljović (Mezzo-Sopran) sowie die Sänger und Schauspieler in Personalunion Markus Rupert (Bariton / Schauspiel) und Markus Pol (Tenor / Schauspiel) die Bühne. Letzterer zückte seine Finger zur Pistole geformt – bei dem einen oder anderen Schuss ließ der Schlagwerker die große Trommel erzittern bzw. die genannten Bretter heftig zusammenklatschen. Zur Instrumentierung gehört offensichtlich auch das geräuschvolle (für Hörende) und in einer großen Geste zu Boden legen (für Nicht-Hörende) der Notenblätter der sehr grafischen Partitur.

Die gedachte Ironie des Spiels des schießwütigen Pfiff . Pfaff . Pfuff . schien nicht bei allen anzukommen. Bei dieser Nummer hielt sich der Applaus – in der Gebärdensprache durch erhobene Hände, die schnell links und rechts gedreht werden – in Grenzen. Kunst ist nicht immer eindeutig, lässt Interpretationen offen, wie es rund 100 Kilometer weit entfernt auch der Intendant der großen Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, angesichts der Neuinterpretation des Don Giovanni (Regie Rome Castellucci) sagen wird.

Vielsprachig

Für den letzten Programmpunkt, den vielleicht Höhepunkt des Abends betraten zwei weitere Künstler die Podest-Bühne: Rupert Bergmann (Bassbariton) und der schon genannte „Lokalmatador“ Werner Mössler. Letzterer ballte zum Start die Faust zur Gebärde des Buchstaben A – und damit zum Symbol für den Kammerton. Noch ein letztes Mal stimmen und dann konnte „Störung“ beginnen. Ein Charms-Text über eine sich anbahnende Liebschaft zwischen Pronin und Irina Mazer – ge-, nein zerstört durch Soldaten und den offenbar denunzierenden Hauswart. Erzählt von Mössler in visuellem Theater ohne Lautsprache, gesungen von seinen Kolleg:innen auf Russisch und instrumentiert vom Orchester.

Heftiger Applaus aus Klatschen und der oben schon beschriebenen Gebärde.

Bilingual

Amelie (14) „fand gut, dass es so visuell war, aber auch die Musik hab ich sehr gemocht. Am besten hat mir die Szene mit dem Streit ums Schlagen und nicht Schlagen gefallen, weil die so cool ausgeschaut hat“, sagt die Jugendliche Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … Sei selbst ist zweisprachig – Laut- und Gebärdensprache (ihre Muttersprache). Mit ca. 13 Monaten bekam sie das erste Implantat, mit dem sie seither auch hören kann – und als Dolmetscherin für ihre gehörlose Mutter Gundi in Aktion tritt.

Musik auch zu spüren

Wie die Musik für ihre Mutter war, will der Reporter dann natürlich wissen. „Auch von der Musik war ja viel zu sehen, aber ich konnte auch vieles spüren über die Vibrationen im Boden“, so gebäret die Mutter an Amelie die es für Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … übersetzt.

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Weil‘s lustig war

Johanna (9), der Enkeltochter des Bürgermeisters (Hans Toferer), der selbst zwei gehörlose Geschwister hat, gefiel das kurze Stück „Dialog – Die Vögel“ am besten, „weil es so lustig war“, wie sie dem Reporter anvertraute. Sie selbst, verriet sie, ist auch schon auf der Bühne gestanden. „In einem Stück in der Schule. Da war ich ein Baum, aber einer der auch was reden hat dürfen.“

Follow@kiJuKUheinz

Aus mehreren Bühnenstreits

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Aus Johnny got his gun

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Publikumsreaktionen

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Proben St. Pölten

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Pfiff . Pfaff . Pfuff .

Kammeroper und Kurzoper von Werner Raditschnig und Alexander Radvilovich (Musik) nach Szenen von Daniil Charms (historischer Einschnitt, Die Schamlosen, Dialog, Pfiff . Pfaff . Pfuff ., Störung) sowie Dalton Trumbo (Johnny got his gun) und August Stramm (Sturmangriff – niemals Helden)

Inszenierung, Produktion: Herbert Gantschacher
Musik: Arbos-Ensemble: Thomas Trsek (Violine), Rupert Schöttle (Cello), Regina Schmallegger (Flöte), Gregor Narnhofer (Klarinette), Stefan Hermüller (Tuba), Bojana Foinidis (Akkordeon), Adi Schober (Schlagwerk)

Schauspiel, Gesang: Selma Aljović (Mezzo-Sopran), Werner Mössler (Tenor / Schauspiel), Markus Pol (Tenor / Schauspiel), Markus Rupert (Bariton / Schauspiel), Rupert Bergmann (Bassbariton)

Figuren: Burgis Paier
Kostüme: Sanzaba Dimna

arbos.at -> Pfiff Pfaff Pfuff

Die Aufführung von „Störung“ in Hüttschlag nachzusehen:  hier

Die Aufführung von „Pfiff . Pfaff . Pfuff .“ nachzusehen: hier