„IDIOTen“ – frei nach Dostojewski ist ein vergnüglicher, kurzweilig, verspielter Abend – Anfang November im Theater Arche (Wien).
Mehr als 700 Seiten, fast unzählige Personen und verwirrende Handlungsstränge – verdichtet einerseits, entflochten anderseits sowie mit Humor gewürzt und mit Musik verwoben: „IDIOTen – Die Welt steht Kopf – frei nah Dostojewski“ ist ein Zwei-Personen-Stück, das in Wien im Rahmen des Odyssee-Festivals im TheaterArche zu erleben ist.
Grundlage ist der Roman „Der Idiot“ von Fjodor Michailowitsch Dostojewski, dessen 200. Geburtstag sich am 11. November jährt. Ein russischer Fürst Myschkin, zur jahrelangen Behandlung seiner Epilepsie (einst als Fallsucht bezeichnet) in der Schweiz, ist per Zug auf dem Weg in seine Heimat Sankt Petersburg um sein Erbe entgegen zu nehmen. Irrungen und Wirrungen, Intrigen, verwickelte Beziehungen, vor allem Frauen – insbesondere Nastassja Filippowna Baraschkowa – als Schachfiguren, die hin- und hergeschoben, ja sogar verkauft werden … Mehr als 700 Seiten (in der Ausgabe „Gesammelte Werke + Novellen“ von Fjodor Dostojewski, Übersetzung aus dem Russischen ins Deutsch: Alexander Eliasberg & Korfiz Holm) mit einer Unzahl an Personen und (Neben-)Handlungen umfasst der Roman „Der Idiot“ des bekannten russischen Schriftstellers (1821 bis 1881).
Unter der Regie von Caroline Richards haben der Schauspieler Andreas Simma und der Musiker Yorgos Pervolarakis im Probenprozess einerseits die wesentlichen Handlungsstränge und Figuren herausgearbeitet – zunächst einmal durch Streiche, Streichen, Streichen -, sondern auch die spielerische Umsetzung entwickelt. Immerhin blieb dann doch noch rund ein Dutzend Figuren – vor allem als unterschiedliche Charaktere – übrig. Und die bedient der Schauspieler. Ganz am Beginn an einem Tisch sitzend mit drei kleinen Figuren aus lufttrocknender Modelliermasse, die wie Gips scheinen, und sozusagen auch Büchern schlüpfen (Ausstattung: Ragna Heiny, Dramaturgie: Eva-Maria Schachenhofer).
Die „restlichen“ rund eineinhalb, sehr kurzweiligen, Stunden schlüpft der Schauspieler in die Rollen der doch noch immerhin etwa ein Dutzend „übriggebliebenen“ Figuren. Zum einen sind sie stark angelehnt an die von Dostojewski erzeugten Personen, zum anderen werden sie – in Dostojewskis Sinn – auch zu Archetypen verschiedener Charaktere. Das Spektrum reicht vom herrschsüchtigen General bis zum Holzkopf-Beamten, von der unterwürfigen Ehefrau, die wiederum über ihre Töchter verfügen will bis zur einen Tochter Aglaja, die ansatzweise Widerspruch leistet. Aber auch unterschiedliche politische Strömungen – inklusive Anarchist, Nihilist, Populist – kommen auf die Bühne – letztere kurz (!), eher in Form von personifizierten Karikaturen. Und nicht nur dadurch wird die 150 Jahre alte Geschichte aktuell jung. Alles gesellschaftliche Sittenbilder.
In Sekundenbruchteilen switcht der Schauspieler von der einen in die andere Rolle – Körperhaltung, Mimik, leicht veränderte Sprache reichen völlig aus, um den Über- und Durchblick als Publikum leicht behalten zu können.
Nastassja als einzige Angehörige der Unterschicht taucht fast nur als „Phantom“ auf, über die viel geredet – und noch mehr entschieden – wird. Sie selbst kommt als projiziertes Video – im wesentlichen nur der Mund der Schauspielerin Emily Schmeller – vor, bzw. ansatzweise auch als Ganzkörper-Puppe.
Yorgos Pervolarakis, der live vor allem auf der Gitarre, manchmal auch einer Mundharmonika sowie einer Ukulele, eigene dafür komponierte, Musik spielt, erzeugt mitunter geniale Geräusche. Wenn General Jepantschin seinem Sekretär Ganja einen Brief diktiert, hören wir das tippende Geklapper einer alten Schreibmaschine samt dem Verschieben des Wagens durch Hebeldruck in die nächste Zeile. Die Musik ist aber nicht nur Untermalung, Begleitung, sondern ein eigenständiges, kongeniales Mitspiel – selbst in den meisten Phasen, in denen Yorgos Pervolarakis gar nicht – wie manches Mal – in eine Rolle einer der handelnden Figuren schlüpft.
Wer sich im Roman nicht auskennt, oder wer vielleicht als Pädagog:in mit Schüler:innen ein wenig eintauchen will in klassische, russische Literatur, der/dem sei „IDIOTen“ empfohlen.
Frei nach Fjodor Dostojewski
Ab 14 Jahren; ca. 1 ½ Stunden
Regie: Caroline Richards
Es spielen: Andreas Simma – fast alle Rollen sowie Yorgos Pervolarakis vor allem Originalmusik, aber auch einige Rollen
Im Video: Emily Schmeller
Ausstattung: Ragna Heiny
Dramaturgie: Eva-Maria Schachenhofer
Video: Tobias Pichler & Ragna Heiny
Technik und Licht: Marvin Gschnitzer
Im Rahmen des Odyssee-Festivals
2. und 3. November 2021
Theater Arche: 1060, Münzwardeingasse 2A
Telefon: 650 620 4554
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