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Szenenfoto aus "NICHTS Was im Leben Wichtig ist" im Theater Arche (Wien)
Szenenfoto aus "NICHTS Was im Leben Wichtig ist" im Theater Arche (Wien)
18.11.2023

Intensive, heftig gespielte Sinn-Suche

Berührend-heftige Inszenierung von Janne Tellers (Jugend-)Roman „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ mit Jugendlichen/sehr jungen Erwachsenen im Wiener Theater Arche.

Der einst heftig umstrittene (Jugend-)Roman „Nichts“ von Janne Teller erlebt in einer sehr jungen Inszenierung im Wiener Theater Arche eine Auferstehung – gespielt von Jugendlichen und sehr jungen Erwachsenen, inszeniert vom Co-Leiter des Theaters.

Vor fast einem ¼-Jahrhundert (2000) im dänischen Original erschienen, wurde das Buch erst zehn Jahre später ins Deutsche übersetzt – und mit dem Untertitel „Was im Leben wichtig ist“ gleich als eine Art pädagogischer Gebrauchsanleitung versehen.

Die Story

Die Grundgeschichte: Ein Schüler der 7A (im Stück der 7 D) im kleinen fiktiven dänischen Ort Tæring (was übrigens Korrision, also zersetzen, zerfressen, sozusagen kaputtgehen wie verrosten bedeutet) namens Pierre-Anthon, beginnt alles und das offen in Frage zu stellen. Welchen Sinn macht es, zu lernen, zu leben, wenn wir doch am Ende alle sterben – und das nach kurzer Zeit, verglichen mit der Existenz der Erde. Noch dazu leben im täglichen Einerlei, Trott… Er setzt sich in eine. Zwetschgenbaum nahe der Schule und bespuckt die Mitschüler:innen.

Diese wollen ihn erst vom Baum schießen, bis sie die Idee haben, ihn nur dann herunterzubekommen, wenn sie ihm beweisen, dass es doch Sinn und Bedeutung im Leben gibt, in ihrer aller, in jeder/jedem einzelnen von ihnen. Und so lässt die Autorin die (Ex-)Klassenkolleg:innen einen „Berg aus Bedeutung“ in einem alten, stillgelegten Sägewerk errichten. Jede und jeder muss etwas opfern, das ihr/ihm wirklich wichtig ist. Und das wird heftig.

Wowh…

Wobei hier das Stück – fast ließe sich sagen natürlich – gleich anfangs vom Original abweicht, um später sehr wohl wieder dort zurückzukehren. Das erste was alle – und zwar gleichermaßen auf den Berg legen: Ihre Handys. Und das löste die stärkste Reaktion in den 1¼ Stunden im erwachsen dominierten Publikum aus – von Erstaunen mit „wowh“s bis zu verhaltenem Jubel darüber, dass (ihre) Kinder sich von Smartphones trennen können. Obwohl sie das selbst wahrscheinlich auch kaum zustande brächten und höchstwahrscheinlich auf der Bühne Dummies verwendet wurden.

Doch danach geht’s erst so richtig zur Sache, lässt Janne Teller – und die Theaterversion – Schritt für Schritt die Sache eskalieren. Denn nach teuren Schuhen, zu denen die Erzählerin Agnes (Livia Andrä) die Mutter erst monatelange überreden musste, dem geliebten gelben Fahrrad von Hans (Adria Just-Font) usw. müssen beispielsweise Gerda (Viktoria Ginzel) ihren Hamster Oskar sowie Marie Ursula (Kieran Foglar-Deinhardstein) schon ihre blauen Zöpfe, darbringen. Schon da scheinen glaubhaft Bühnentränen zu fließen.

Heftigst

Und es wird heftiger, wenn es noch intensiver an die körperliche Integrität geht. So soll Jan-Johann (Jakob Köllesberger), der das Stück schon vor Beginn mit Gitarre und Beatles-Songs u.a. „Here comes the Sun“ und „Let it be“ einleitet, seinen rechten Zeigefinger opfern. Sophie (Lena Hergolitsch), die am intensivsten versucht, mit Pierre-Anthon (Max Melo, der die Stufen zwischen den Publikumsreihen hinaufgeht und auf einem einsamen Sessel Platz nimmt) zu diskutieren, wird gar – es wird verbrämt ausgedrückt – ihrer „Unschuld“ beraubt, also eigentlich vergewaltigt. Was ihr noch mehr raubt, ihre ganze Empathie-Fähigkeit. Sie muss, um zu überleben, einen emotionalen Panzer errichten und kann nur mehr eiskalt (re-)agieren.

Meister:innen-haft

Gerade die Szenen, in denen Darsteller:innen weinen spielen oder gar die logischen und doch fast unaushaltbaren Schreie, mitunter auch lautlose sind höchst berührend und professionell gespielt. Solche könnten ur-leicht ins peinliche kippen. Tun sie hier aber nie und nimmer.

Schul-Kontext

Alle schon Genannten und dazu noch Elizabeth Dorner (als Die hübsche Rosa und Theresa Gerstbach (Die fromme Asta), wobei fast alle immer wieder kürzestfristig auch in weitere Nebenrollen aus dem Roman schlüpfen, sind noch bzw. waren bis vor Kurzem Schüler:innen des polyästhetischen Zweiges im BORG (BundesOberstufenRealGymnasium) Hegelgasse 12 (Wien-Innere Stadt) – mit Ausnahme von Adria Just-Font (Hans). Nach Einmietungen von Bühnenprojekten dieses Zweiges hatte Jakub Kavin, Co-Leiter von Theater Arche, als Regisseur im vergangenen Schuljahr mit einer ganzen Klasse ein Bühnenstück erarbeitet („Sommernachtstraum“), heuer steht – in derselben Konstellation – „Lysistrate“ auf dem Programm. Jetzt – bis 9. Dezember 2023 (Details siehe Info-Box) handelt es sich eine kleine Gruppe sehr leidenschaftlicher junger Schauspieler:innen, die in diesem Metier teils auch ihre berufliche Zukunft sehen.

Fraaaagen

Trotz der immer heftiger werdenden Opfergaben und des noch ärgeren Schlusses – alles soll nicht gespoilert werden, und jene, die den Roman kennen, wissen’s ohnehin – stehen auch in dieser Inszenierung wie in Janne Tellers Roman die Fragen, die Suche nach dem im Zentrum, was für jede/n Einzelnen einer- und die Gesellschaft insgesamt andererseits im Leben Sinn macht, bringt, stiftet. Und hat nicht

„Ich sehe es als eine Art modernes Märchen. Ich will gar nicht mit Wahrscheinlichkeit oder Plausibilität argumentieren: Ich finde am wichtigsten, dass Literatur ihre eigene Logik hat. Weil sie nicht abgebildete Realität ist, kann sie uns Einsichten in unsere eigene Wirklichkeit vermitteln. Wie ein magischer Spiegel. Während ein realistischer Spiegel uns nur die Oberfläche zeigt“, sagte Janne Teller in einem Interview mit Susanne Gaschke in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ kurz nach Erscheinen der deutschen Übersetzung dieses Romans (5. August 2010, Link zum gesamten Interview weiter unten). Auf die Frage der Journalistin, weshalb denn nicht Erwachsene eingreifen, wenn Pierre Anthon die Schule verweigert.

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zeit.de -> janne-teller-interview

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

NICHTS – Was im Leben wichtig ist

von Jane Teller
Deutsch von Sigrid D. Engeler
bearbeitet von Andreas Erdmann

Regie: Jakub Kavin
Choreographie: Carola von Herder
Dramaturgische Beratung: Ute Bauer

Cast
Agnes: Livia Andrä
Die hübsche Rosa: Elizabeth Dorner
Marie Ursula: Kieran Foglar-Deinhardstein
Die fromme Asta: Theresa Gerstbach
Gerda: Viktoria Ginzel
Sophie: Lena Hergolitsch
Hans: Adria Just-Font
Jan-Johann: Jakob Köllesberger
Pierre-Anthon: Max Melo

Kostüme- und Musikauswahl: das gesamte Kollektiv

Wann & wo?

18., 25., 27. November 2023
7., 8., 9. Dezember 2023
Theater Arche: 1060, Münzwardeingasse 2A
Telefon: 0 650 620 45 54
office@theaterarche.at

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