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Szenenfoto aus "Da war ich nicht mehr da"
Szenenfoto aus "Da war ich nicht mehr da"
17.03.2022

Lieder als Brücke zwischen Senior:innen in Österreich und Israel

„Da war ich nicht mehr da“: Digitales Maskentheater lassen Zeitzeug:innen-Videos lebendiger werden. Wiederaufnahme Mitte April 2023 im Schubert Theater (Wien).

„Kein schöner Land in dieser Zeit“, „Hoch auf dem gelben Wagen“, „Warum spielt bei deinen Schinkenfleckerl, immer das Fleisch verstecken“, aber auch „Die Gedanken sind frei“ – Lieder, die sie noch aus ihrer Kindheit kennen, sangen Bewohnerinnen und Bewohner des Anita-Cohen-Heims im israelischen Tel Aviv mit Leni Plöchl. Die Lieder, vor allem aber auch Erzählungen über ihre Kindheit in Österreich, ihre Vertreibung oder gar Flucht und knappes Entkommen aus Konzentrationslagern der Nazis zeigt die Künstlerin als Zeitzeug:innen-Videos derzeit an wenigen Tagen im Werk X-Petersplatz.

Eigenes Gesicht als Projektionsfläche

Dabei stellt sie ihr Gesicht als Projektionsfläche zur Verfügung, wodurch die Video-Interviewten sozusagen zu digitalen Masken werden. Millimeter-Arbeit, damit die Münder aus den Videos genau über ihrem Mund zu liegen kommen, gleiches soll jeweils auch für die Augen passen. Leni Plöchl hat dafür lediglich einen mittelgroßen kreisrunden Spiegel in der Hand sowie einen größeren rechteckigen hoch oben über der ersten Publikumsreihe zur Verfügung. Die Videos werden nicht nur direkt auf ihr Gesicht, sondern eine Vergrößerung davon auf einen neben ihr stehenden hochformatigen Bildschirm projiziert.

3D-Effekt

Dieses ihr Konzept spielt sich auch genial durch (Schnitt: Iklim Doğan, Kamera: Laura Ettel). Damit bekommen die Interviews mit Zeitzeug:innen durch ihre Dreidimensionalität noch viel mehr Lebendigkeit als in einer 2-D-Filmdoku. Und erhalten eine weitere Dimension wie die Künstlerin im Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … (nach dem Besuch der Hauptprobe) erklärt: „An solchen Dokumentationen hat mich immer gestört, dass du nie oder kaum die Person siehst, die die Fragen stellt, auf die die Interviewten reagieren. Ich hab vorher schon Maskentheater gemacht. Das spielt auch im griechischen Theater eine große Rolle und dort heißt es, dass du durch die Maske durchtönst, also die Figur spricht, aber doch durch dich. Und so stelle ich mein Gesicht den Interviewten zur Verfügung und bin als die zu sehen, auf die sie antworten und reagieren. Außerdem kommt auch noch der Aspekt hinzu, dass Kommunikation immer auch ein wenig verfälscht, weil Gesagtes als Gehörtes durch eigene Projektionen überlagert wird. Das ist hier dann auch direkt zu sehen. Sehr oft sitzt das Gesicht der Interviewten perfekt über meinem, hin und wieder geht’s auch ein wenig auseinander.“

Lieder als Einstieg

Die Kinderlieder als Art Schuhlöffel, um die alten Menschen in Tel Aviv zu animieren über ihre Kindheitserinnerungen zu erzählen, hatte Plöchl in (ober-)österreichischen Altersheimen gesammelt. Das erzählt sie zu Beginn der Performance auf der obersten Stufe zwischen den Publikumsreihen erzählt – bevor sie dann eine Stunde lang fast nur still in der Mitte der Bühne steht. „Es war schon als Brückenprojekt gedacht, das Kindheiten verbindet. Aber es war ein Experiment, weil ich ja gar nicht gewusst habe, ob die aus Österreich vertriebenen Menschen überhaupt darüber mit mir reden oder ihre Erinnerungen teilen wollen würden“, so Plöchl im Interview.

Demenz als mögliche Vergebung?

Ausganspunkt waren Erlebnisse vor allem in einem oberösterreichischen Heim in dem sie mehrere Sommer lang gearbeitet hatte. Bei vielen Dementen habe sie bemerkt, die leben nur mehr in ihrer Kindheit. Insofern mied sie einen alten Mann, der sich an nichts mehr erinnerte, doch nicht als sie erfahren hatte, dass er keinen Besuch seiner Kinder bekomme, weil er diese missbraucht hatte. Kann Demenz auch ein Element/Moment für Vergebung sein, weil Menschen, die keine Erinnerung mehr haben vielleicht so unschuldig wie Kinder wären/würden? Diese Frage wirft sie zu Beginn noch auf der Stiege sitzend auf.

Weniger Aggression als befürchtet

Sie hätte viel mehr Aggression der Tel-Aviver Senior:innen – die ausgewählten Videopartner:innen werden am Ende im Abspann namentlich aufgeführt, dürfen darüber hinaus aber nicht genannt werden – erwartet als eine Künstlerin aus Österreich, dem Land aus dem sie in ihrer Kindheit flüchten mussten. Aggression habe sie nur einmal erlebt, als eine der Senior:innen über „die Araber“ wüst schimpfte und Europa wünschte, es würde durch die Araber brennen und das würde ihr dann wiederum gar nicht leid tun.

Warum dann trotz vieler Kürzungen und Zusammenschnitte des Videomaterials, das natürlich ein Vielfaches des Gezeigten ist, dennoch ein Gutteil dieser Passage in der Stunde bleiben musste ohne die andere Seite, die Vertreibung der Palästinenser:innen auch nur anzutippen? „Es war dieser Frau eben sehr wichtig!“, so die Antwort auf die entsprechende Interviewfrage „und es sollte eben nichts kommentiert, sondern so stehen gelassen werden, wie es gesagt wurde“.

Womit aber keinesfalls der sowohl inhaltlich als auch in seiner Form spannende Abend insgesamt in Frage gestellt sein soll.

Follow@kiJuKUheinz

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Da war ich nicht mehr da

Digitales Maskenspiel von und mit Leni Plöchl

Inszenierung, Textredaktion, Performance: Leni Plöchl
Mit: Leni Plöchl, Zeitzeug*innen, die am Ende des Abends im Abspann aufgeführt aber leider hier nicht genannt werden sollen/dürfen

Filmmaterial: „Wo man singt, da lass dich nieder“, Leni Plöchl, Österreich/Israel, 2017

Schnitt: Iklim Doğan
Kamera: Laura Ettel
Musik: KMET
Sounddesign: Philipp Mold
Outside Eye (dramaturgische Beratung): Ed. Hauswirth
Technik: Anna Bauer, Ines Wessely
Eine Produktion von Leni Plöchl in Kooperation mit dem WERK X-Petersplatz und dem Theater im Bahnhof (Graz)

Wann & wo?

14. bis 16. April 2023; 19.30 UhrSchubert Theater: 1090, Währinger Straße 46
Telefon: 0676 443 48 60

schubert theater -> da-war-ich-nicht-mehr-da/