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Montage aus Szenenfotos von "Coriaolanus" (links oben) und "Totentanz" (Mitte und rechts oben)
Montage aus Szenenfotos von "Coriaolanus" (links oben) und "Totentanz" (Mitte und rechts oben)
19.09.2022

Machtpolitiker und Teufelskreislauf toxischer Beziehungsmuster

„Coriolanus“ und „Totentanz“ – junge Regisseur:innen konzentrieren Klassiker auf zentrale, strukturelle Fragen.

Wer hat wie das Sagen, regiert, herrscht – im Staat und in Beziehungen – zwei heftige Stücke junger Regisseur:innen haben Theaterklassiker verdichtet und auf die Machtfrage(n) konzentriert. Zu erleben noch bis Mitte Oktober in den ehemaligen Wehranlagen von Wiener Neustadt, den Kasematten, die seit drei Jahren von der „Wortwiege“ bespielt werden.

Diesmal inszenierte nicht Mastermind Anna Maria Krassnigg selbst, sondern zwei ihrer kürzlich absolvierten Regie-Studierenden. Azelia Opak verdichtete und inszenierte „Coriolanus“. Ihr Kolle Uwe Reichwaldt, der in „Coriolanus“ mitspielt, führte Regie in August Strindbergs „Totentanz“.

Unterschiedlichste Machtspiele

Da Kinder I Jugend i Kultur I Und mehr … über die „Coriolanus“-Inszenierung im Frühjahr im Max-Reinhardt-Seminar – das Diplomprojekt der jungen Regisseurin – ausführlich berichtet hat, sei hier nur auf die wesentlichen Unterschiede eingegangen. Davor aber nur kürzest gefasst dieses Spätwerk Shakeskeares zusammengefasst. Caius Martius, ein heldenhafter Krieger, der seine Wunden wie Trophäen trägt, erwirbt den Titel Coriolanus, weil er, der Römer, die Volsker bei Corioli besiegt. Seine Mutter, die ihn als Kampfmaschine anhimmelt, drängt ihn dazu, auch Konsul zu werden. Dazu wäre er auf die Wahl durch das Volk angewiesen. Dieses verachtet er aber abgrundtief. Zwei schlawiner-artige, intrigante, selbst Machtspiele ausführende Volkstribunen manipulieren das Volk in jeweils ihrem eigenen Interesse. Die damalige Kritik hier unten.

Die Inszenierung in Wiener Neustadt ist noch dichter, wirkt durch das schmale, schlauchartige Gewölbe auch räumlich konzentrierter als auf der breiteren, fast ausufernden Bühne des Max-Reinhardt-Seminars. Der Herzenswunsch der Regisseurin, Livemusik – Streicherinnen – ging in Erfüllung. „Beethoven (Coriolan Ouvertüre) vom Band, das geht eigentlich gar nicht“, hatte sie damals zu KiJuKU gesagt.

Hinter dem zentral die Bühne beherrschenden Bogen – meist goldfarben, bei 180-Grad- horizontaler Drehung schwarz – beherrscht ein großer Spiegel den Hintergrund. Die vielen angedeuteten Kämpfe spielen sich hinter dem Bogen ab, angedeutet mit Blutverschmierungen am Spiegel. In diesem sieht sich ein Teil des Publikums – bei langsamer Drehung des Bogens immer wieder. Das Volk, das den Konsul wählen soll, als Zuschauer:innen der Kämpfe der Verfeindeten auf beiden Seiten sozusagen 😉

Herr-schaft

Große Macht im „Kleinen“, im Alltag übt Edgar, der Hauptmann auf einer Festungsinsel in August Strindbergs „Totentanz“ aus. Mit Lukas Haas wird er übrigens von jenem Schauspieler dargestellt, der auch die Kampfmaschine Coriolanus gibt. Alice (Annina Huntziker) und Edgar, ein ¼-Jahrhundert verheiratet, scheinen überhaupt nur mehr an der Ehe festzuhalten, weil die gegenseitige Quälerei ihr einziger Lebenszweck zu sein scheint. Die toxische Beziehung als Konstante im isolierten Insel-Dasein, die Hölle auf Erden.

Spannung bringt noch ein (Jugend-)Freund von Alice ins Geschehen. Auch Kurt (Nils Hausotte) wird zum Opfer von Edgars Machtspielen, der selbst immer wieder am Rande des Todes wandelt. Letzterer wird – meist nur als Schatten zu sehen – von Isabella Wolf verkörpert, die meistens hinter dem durchscheinenden Vorhang im alten Festungsturmzimmer in Erscheinung tritt. Dort, wo ein Gutteil der Szenen von Edgar und Alice stattfinden – und gefilmt, vergrößert, gespiegelt auf den Vorhang projiziert werden (Live-Schnitt).

Wiederholungszwang

Im vorderen, moderneren, aber spiegelgleichen Zimmer agieren dann vor allem Judit (Edgars Tochter, gespielt von der Alice-Darstellerin) und Allen, Kurts Sohn (ein und derselbe Schauspieler). Sie wiederholen gleichsam die toxische Beziehung – wobei hier sie die „Herr-scherin“ ist.

Auch wenn zu Strindbergs Zeit – veröffentlicht 1900 – Ehen nicht so leicht lösbar waren, ist das System von psychisch Aneinander-Geketteten wo es für alle Beteiligten wohl besser wäre, sie würden sich trennen, noch längst nicht ein Relikt der Vergangenheit.

Neben dem präzisen Schauspiel, das immer wieder in seelische Abgründe blicken lässt und dem über weite Strecken schattenartigen Dasein des Todes, sorgt das Live-E-Gitarrenspiel samt Loop-Station von David Gratzer für eine dezente, aber atmosphärische Anreicherung.

Follow@kiJuKUheinz

Zu einer Reportage über eine der „Totentanz“-Proben geht es hier unten

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Coriolanus

von William Shakespeare
Regie und Spielfassung: Azelia Opak

Es spielen
Caius Martius Coriolanus: Lukas Haas
Menenius Agrippa: Jens Ole Schmieder
Mutter Volumnia: Judith Richter
Sicinius Velutus: Uwe Reichwaldt
Junius Brutus: Paul Hüttinger
Tullus Aufidius: Philipp Dornauer

Live-Musik – neues Arrangement der Coriolan-Ouvertüre von Beethoven: Boglarka Bako, Marie Schmidt
Musikbearbeitung: Barbara Maria Neu, Derya Satir, Azelia Opak

Bühnenbild: Felix Huber
Kostümbild: Noémi Borcsányi-Andits
Maske: Ines Streif & Michelle Waismayer
Kostümassistenz: Joseph Köberl
Licht: Ralf Sternberg
Ton: David Lipp

Regieassistenz: Derya Satir & Sophie Rigvava

Wann & wo?

Bis 13. Oktober 2022
2700, Wr. Neustadt, Kasematten: Bahngasse 27
wortwiege -> coriolanus

Totentanz

von August Strindberg in einer Fassung von Uwe Reichwaldt, der auch Regie führt

Es spielen:
Hauptmann Edgar: Lukas Haas
Kurt / Allen, sein Sohn: Nils Hausotte
Alice / Judit, Edgars Tochter: Annina Huntziker
Tod: Isabella Wolf

Dramaturgie: Marie-Therese Handle-Pfeiffer
Musik: David Gratzer (Live-E-Gitarre und Loop-Station und Komposition zweiter Teil), Bernhard Eder (Komposition erster Teil)
Bühne: Thomas Garvie, Max Seper
Kostüme: Antoaneta Stereva
Licht: Lukas Kaltenbäck
Maske: Henriette Zwölfer

Regieassistenz: Manuel Horak
Inspizienz: Simon Schofeld
Ausstattungs- und Produktions-Assistenz: Julia Kampichler

Deutsche Stück-Übersetzung: Elisabeth Plessen
Bühnenrechte: Rowohlt Verlag, Hamburg

Bühnenmeister: Christoph Wölflingseder

Wann & wo?

17. September bis 15. Oktober 2022
2700, Wr. Neustadt, Kasematten: Bahngasse 27
wortwiege -> totentanz

Beides Produktionen der Wortwiege
Produktion: Christian Mair
Künstlerische Leitung: Anna Maria Krassnigg