Auftakt einer vorerst für drei Häuser geplanten Tour, auf der Gebäude – und ihre Geschichte – besungen und bespielt werden, die demnächst Löcher in den jeweiligen Straßen hinterlassen.
Häuser wurden schon besungen – meist besonders wichtige. Andere als Protestlied, weil sie die Aussicht verstellen – das berühmteste von Arik Brauer, „Sie haben a Haus baut… sie ham uns a Haus herbaut…“ Derzeit – und zeitlich verstreut noch bis Ende September – werden noch bestehende zum Abriss freigegebene Häuser besungen. Meist sogar ziemlich unbedeutende. Alltägliche.
Bum Bum Pieces – Nora Winkler und Simon Windisch – bekannt für immer wieder schräge Performances als „Planetenparty“ hat sich die fast liturgischen Abschiedsfeiern für – vorerst – drei Häuser einfallen lassen. Und dann im eigenen künstlerischen Umfeld, vieles davon rund um das Grazer Theater am Ortweinplatz (taO!), ein Kollektiv zusammengetrommelt.
Bevor wir zurück zur Trommel kommen. Das Wichtigste an diesem Projekt: Recherche. Miriam „Miri“ Schmid zeichnet dafür federführend verantwortlich. Suchte Häuser, die eben zum Abriss freigegeben sind, wühlte digital und analog in Zeitungsarchiven, befragte Nachbar*innen, hantelte sich von der einen zum anderen weiter. Trug Unmengen an Material zusammen – oder auch weniger, wenn sich Spuren im Sand verliefen.
Daraus bauten die genannten beiden einen geschichtlichen und dramaturgischen Bogen. Musiker Robert Lepenik komponierte passende Melodien und Songs. Er, sowie Nora Winkler und Martin Brachvogel spielen die rund einstündigen Gedenkfeiern für diese Häuser. Derzeit – und als Auftakt – an der Reihe ist jenes mit der Hausnummer 160 in der Klederinger Straße in Wien-Favoriten. Das gehörte bei seiner Gründung so um 1870 noch lange nicht zu Wien. Unterlaa war ebenso eigenständig wie Oberlaa und angrenzende, heutige Bezirksteile. Ja sogar die Zusammenkunft der vier Bürgermeister dieser Orte anlässlich des 70. Geburtstages von Kaiser Franz-Joseph kommt in der Geschichte vor – mit erfundenen Begrüßungsgedichten, aber dem historisch korrekten Konstrukt einer gebastelten, lebensgroßen kaiserstaute auf einer von vier Fahrrädern getragenen Plattform.
Die wechselvolle Geschichte als Geschäftslokal und Wohnhaus wird – auf einer Zeitleiste vor und zurück-fahrend erzählt und besungen – unterstützt von Akkordeon, Gitarre, Trommel und Kazoo In diesem Fall nicht vor dem schon dachlosen und fast zerfallenden Haus, sondern zwei Mal ums Eck in er Scheunenstraße zwischen Landmaschinen und vor einem Weizenfeld sowie einem Streifen mit Estragon.
Einschub: Das erinnert ein wenig an die wohl schrägste Aufführung von Samuel Becketts „Warten auf Godot“ ever. Der bekannte Theater-Enthusiast Husi Kramar hatte das Stück absurden Theaters in der Seestadt Aspern, als dort noch praktisch nichts stand außer riesigen Kränen, am Rande eines Feldes inszeniert. Zwei ineinander gesteckte große Äste bildeten jenen Baum, an dem Estragon und Wladimir auf Godot warten …
Zurück zu „Songs about Places“: Aus diesen Feldern taucht scheinbar unvermittelt – während vor einer schmalen Mini-Bühne Nora Winkler am Akkordeon und Robert Lepenik auf der Gitarre spielen, ein amtlich wirkender Mann in grauem Staubmantel auf (Martin Brachvogel). In fast Pfarrersart sprich er zu den sich hier Versammelten Trauergästen… Kartonmodelle und -Fassaden des Hauses und seiner benachbarten bzw. gegenüberliegenden Gebäude nehmen Platz zwischen einem aus aneinander gereihten Fahrradketten gebauten Rundkurs. Auf diesem fahren später kleine Autos und ein Bus – angekurbelt über die Zahnräder der Rad-Gang-Schaltung.
Während „Planetenparty“ eher Simulationsspiele – analoge und digitale – konzipiert, spezialisiert sich „Bum Bum Pieces“ auf Stücke, die sich um „die Seele von Objekten“ drehen. Das erste Ding war „Alt. Ein Robotermusical“, in dem der Roboter zum Pflegefall geworden ist – Besprechung, damals noch für den Kinder-KURIER – hier.
Zurück zum „Stieglitzhaus“, wie die Klederinger Straße 160 zuletzt nach deren Besitzerin genannt wurde, und der Trauerfeier – die immer wieder natürlich wie beim Erinnern – auch humorvolle Momente enthält – etwa die schwankende Kaiserstatue bei der Fahrt auf dem 4-Räder-Konstrukt. Die Stunde enthält auch lehrreiche Moment, etwa über Alltagsgeschichte im Lied vom stets steigenden Brotpreis, samt wechselnder Währungen von Heller auf Groschen, Pfennig, Schilling und schließlich Euro.
Spannend so „nebenbei“: Neben aus der Stadt angereisten Theaterfans besteht das Publikum zu einem Gutteil von Anrainer*innen des abzureißenden Hauses.
Konzept: Bum Bum Pieces (Simon Windisch und Nora Winkler)
Regie: Simon Windisch
Research und Dramaturgie: Miriam Schmid
Research-Assistenz: Alexander Wychodil
Kostüm & Ausstattung: Rosa Wallbrecher
Komposition: Robert Lepenik
Mit: Martin Brachvogel, Nora Winkler, Robert Lepenik
Produktion: Siglind Güttler, Bernhard Werschnak
Regieassistenz: Carmen Schabler
Fotos: Clemens Nestroy
Das Stieglitzhaus
Zusatzvorstellung am 8. Juni 2021
1100, Klederinger Straße 160
Das Martinshaus
13. und 14. August 2021
1210, Anton-Bosch-Gasse 22
Das Haus der Höheren Studien (IHS)
29. und 30. September 2021
1060, Stumpergasse 56
Eintritt frei, Anmeldung notwendig