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Neuroverlinkte Familie - mit Ausnahme der Tochter
Neuroverlinkte Familie - mit Ausnahme der Tochter
01.08.2022

Neuro-verlinkt im Bio-Adapter – Szenen einer digitalen Dystopie

„Montags Kinder“: Previews beim Wiener Kultursommer vom „Kinderfresser“-Ensemble der „Schweigenden Mehrheit“ – eine Art Fortsetzung von „Fahrenheit 451“.

„Ada, so spiel doch endlich was!“, empört sich Mutter Linda darüber, dass die Tochter ständig liest. Und preist ihr stattdessen zahlreiche Computerspiele an. Oder dass sie wenigstens mit ihr virtuell shoppen gehen möge… Die total verkabelte, real ein bissl abwesende Mutter (May Garzon) ist unglücklich über ihre Tochter (Juliette Heritage), die nicht neuroverlinkt ist obwohl sie schon über 12 Jahre ist. Ab dann werden alle Menschen derart total vernetzt und damit auch überwacht. Ada Lovelace (übrigens der Name jener britischen Mathematikerin, die als Vorläuferin des Programmierens gilt) ist nur deswegen nicht neuroverlinkt und damit an den Bio-Adapter angeschlossen, weil sie im Forschungsprojekt „Vergleichspersonenprogramm“ aufgenommen wurde.

Vorgeschmack

„Montags Kinder“, so der Titel des noch lange nicht fertigen Stücks, das gemeinsam von Kindern, Jugendlichen und Profis entwickelt wird, hat im kommenden Jahr – am 23. Mai 2023 – im Dschungel Wien, dem Theaterhaus für junges Publikum im MuseumsQuartier, Premiere. Szenen daraus, Einblicke in die total digitale Dystopie, waren nun zwei Mal beim Wiener Kultursommer zu erleben. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … hat diese Preview im Mortara-Park (Wien-Brigittenau) gesehen – und mit einigen der jungen Protagonist:innen gesprochen.

Fahrenheit 451, Version 2.0

Familienname der beiden eingangs geschilderten Figuren ist übrigens Montag. Vorname des Vaters Guy (Felix Stichmann). Da könnte es schon klingeln. Genau, ohne – in dieser Preview – dezidiert genannt zu werden, aber in vielen Anspielungen ist klar: Beim Vater und Ehemann handelt es sich um den Feuerwehrmann aus „Fahrenheit 451“. Anfang der 50er Jahre hatte Ray Bradbury diesen dystopischen Roman veröffentlicht, in dem Bücher zu haben und gar zu lesen das größte Verbrechen ist. Feuerwehrleute sind dazu da, Bücher zu kassieren und zu verbrennen. Guy macht das wie befohlen, wird über eine Nachbarin jedoch nachdenklich, beginnt Bücher zu verstecken und schließt sich einer in den Wald geflüchteten Widerstandsgruppe an.

In „Montags Kinder“ (Idee & Konzept: Tina Leisch) ist sozusagen die nächste Generation mit neuer Technologie dran. Guy Montag ist zwar nicht mehr unbedingt der Widerständler, möchte den Kindern – neben Ada noch Benjamin, der allerdings schon abgehaut ist, und Babbage (nach dem Erfinder einer Rechenmaschine, die als Vorläufer der Computer gilt), der ganz nach dem Geschmack der Mutter voll in Computerspielen, noch dazu Baller-Games, versinkt – einen gewissen Freiraum gewähren. Weshalb Linda, voll die harte, ständig im Netz hängende Frau, mitunter die Entscheidung ihrer Ehe bedauert.

Zensur

Ada kommt durch ein vertrauliches Gespräch mit Freundinnen (teils in Gebärdensprache) drauf, dass ihre Bücher, die sie nur online lesen kann – ein echtes hatte sie noch nie in Händen – zensuriert sind. Alles was der alles beherrschenden Suchmaschine nicht passt, wird einfach gelöscht oder verändert … Jetzt kriegt sie erstmals analoge, gedruckte Bücher in die Hand. Schräg fast Clown-Army-mäßig sich selbst der Lächerlichkeit preisgebende Polizeieinheiten stürmen die Bühne als Ada mit ihren Freundinnen spricht …

Gegen Ende wird in einer Textpassage dann doch ein wenig das in den gespielten Szenen recht stark schwarz-/weiß gezeichnete Bild von Internet und Vernetzung samt Überwachungs- und Manipulationsmöglichkeiten zu differenzieren begonnen. Aber bis zur Premiere ist ja noch mehr als ein ¾ Jahr Zeit.

Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen

Entwickelt und erarbeitet wird das Stück von der genannten Künstlerin gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen und Zoran Bogdanović, der für die Choreografie zuständig ist. Bei der Preview im Mortara Park sprang er allerdings obendrein für einen der kurzfristig erkrankten Jugendlichen selber als der Shooter-spielwütige Babbage ein. Die Kinder und Jugendlichen stammen großteils aus jenem Ensemble, das gemeinsam mit der Theatergruppe „Die schweigende Mehrheit“ (rund um Tina Leisch) für das Volkstheater das Stück „Kinderfressen leicht gemacht“ zum 30. Geburtstag der UNO-Kinderrechtskonvention entwickelt und dann gespielt hatte. Und dessen geplante Tournee der Pandemie zum Opfer gefallen ist.

Doppelrolle

Bei der Preview schlüpfte Juliette Heritage auf der Bühne übrigens auch in die Rolle ihres Bruders Benjamin. Da dessen Spieler, Michael Nes, erst 13 Jahre ist und für die beiden Voraufführungen es zu kompliziert gewesen wäre, die Ausnahmegenehmigung für Unter-15-Jährige zu beantragen. Er trat am Ende nur vor der Bühne ans Mikro, um unter anderem das zu sagen, wie es weitergeht und dass er es grundsätzlich begrüßt, dass es ein Verbot von Kinderarbeit gibt. Für die Aufführungsserie im Dschungel Wien werden selbstverständlich – so wie es auch für jene im Volkstheater war – diese Ausnahmegenehmigungen für alle Jüngeren beantragt werden.

Follow@kiJuKUheinz

Zu den interviews mit jungen Mitwirkenden geht’s hier unten.

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Montags Kinder (Preview)

Idee & Konzept: Tina Leisch
Text & Inszenierung gemeinsam erarbeitet vom Kinderfresser-Ensemble der Schweigenden Mehrheit
Choreographie: Zoran Bogdanović
Schauspiel: May Garzon, Felix Stichmann und Stefan Bergmann, Samira Lehmann, Petra Göksun, Narin Rinmoonsun Raymelissamalia, Juliette Heritage, (kurzfristig erkrankt Anmar Osfor) und (Michael Nes, 13, der nicht mitspielte, dabei war und die weitere Entwicklung samt Verweis auf das Kinderarbeitsverbot am Ende vor der Bühne erklärte)
Ausstattung & Kostüme: Gudrun Lenk-Wane

Wann & wo?

Mit weit mehr Mitwirkenden auf der Bühne
Ab 23. Mai 2023
Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: 01 522 07 20-20
dschungelwien.at