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Szenenfoto aus "Der Tiger geht über den Teppich" im Salzburger Toihaus Theater
Szenenfoto aus "Der Tiger geht über den Teppich" im Salzburger Toihaus Theater
31.01.2022

Papagei, Pusteblume und der Tiger im Raum

Ein dichter Abend absurden, poetischen Theaters im Salzburger Toihaus über Sinn des Lebens, Vergänglichkeit und Wahrheit(en).

Noch weitgehend in der Unterwäsche mit Oberbekleidung auf dem Arm betreten die beiden Schauspieler:innen den mit Ausnahme von zwei schwarzen Sesseln leeren Bühnenraum. Der ebenfalls ganz dunkel. Sie stellen sich mit ihren eigenen Namen vor – Nicola Schößler bzw. Martin Bermoser und beginnen abwechselnd von ihrem Tagesbeginn zu erzählen. Bis sie ins Stocken geraten. Wiederholung. Und das abrupte Versiegen der Schilderung setzt früher und beim folgenden Mal noch früher ein.

Nein, die beiden spielen keine Menschen mit beginnender Demenz, sie nehmen das Publikum mit auf eine wort-, bild- und gedankenverspielte Reise absurder Natur. Und sie sind doch nicht allein. Mit im weiten, ansonsten leeren Raum zwischen ihnen und dem Publikum geht er auf und ab. Langsam, gelassen, majestätisch.

Elefant wird zum Tiger

Wer? „Der Tiger geht über den Teppich“ heißt das Stück und wir können ihn erahnen, vielleicht auch vor unseren geistigen Augen sehen – anhand der immer wieder zu beobachtenden beiden Augenpaare der Schauspieler:innen wie sie ihn mit ihren Blicken verfolgen. Schräge, scheinbar zusammenhanglose Sätze und Szenen ergeben im Laufe der Stunde doch ein Mosaik aus Gedanken(splittern) über die Suche nach einem Sinn im Leben bzw. der Infragestellung dessen. Ebenso über Beziehungsgeflechte. Und das trotz der Schwere in wegen seiner Absurditäten bewusst gesetzt komischen Momenten. Also durchaus humorvoll und immer wieder auch zum Lachen oder Schmunzeln. Und mit Sätzen oder Gedanken, die schier zeitlos scheinen. „Ich sage immer die Wahrheit, auch wenn Niemand sie hören will“, spricht der von der Körperhaltung sowie dem Blick in einen Papagei verwandelnde Martin Bermoser.

Übrigens: Wer den Tiger nicht sieht, für die/den ist er trotzdem da. So wie die sprichwörtliche Metapher vom „Elefant im Raum“ – für ein Problem von dem alle wissen, dass es existiert auch wenn alle peinlichst bemüht sind, es ja nicht anzusprechen.

Die Metapher stammt aus der (russischen) Literatur. In „Die Dämonen“ schreibt der berühmte Fjodor Michailowitsch Dostojewski von diesem Phänomen – und zitiert Iwan Krylow, den viel weniger bekannten russischen Schriftsteller, der den „Elefanten im Raum“ zum ersten Mal in seiner Kurzgeschichte „Die Wissbegierigen“ verwendet hat (Quelle: Wikipedia).

Fast Aug in Aug…

„Ja genau an so etwas hab ich gedacht, als ich im Zoo von Hellbrunn einen großen sibirischen Tiger beobachtet habe“, beginnt Arturas Valudskis im Gespräch mit Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… über den Ausgangspunkt für sein jüngstes Stück zu schildern. Zwar durch ein Gitter gesichert, ist er dir doch ganz nah und zeigt dir, er kann alles.

Beckett, Borchert, Chasanow

Der Tiger und eine Grundstimmung in Samuel Becketts „Glückliche Tage“ waren sozusagen der Humus, auf dem das Stück, das Ende Jänner im Salzburger Toihaus Theater Premiere feierte. Der leidenschaftliche Theatermensch, Musiker, Kostümbildner und noch einiges mehr hat Becketts Klassier schon in vielen Theaterversionen gesehen. „Aber keine hat mir gefallen, der Text hat mich gar nicht überzeugt, ich halte ihn für altmodisch, aber diese Grundstimmung der Winnie, die bis zur Körpermitte in Erde steht, die haben wir aufgenommen. Es geht ums Nachdenken darüber, dass wir Menschen doch vergänglich sind und es sehr oft nicht wahrhaben wollen.“ Und natürlich ums Philosophieren über unser Dasein, den (möglichen) Sinn des Lebens genauso wie über die Beziehungen oder das Fehlen solcher zu- und untereinander.

Nicola Schößler wandert immer wieder durch den Raum und rezitiert dabei kurze, mitunter witzige, Gedichte, etwa „Es war eine Eule, die flog im Traum/ mit schrecklichem Geheule/ gegen einen Baum./ Jetzt sieht man die Eule/ nur noch kaum – / Vor lauter Beule!“

Auch du, mein Lichttechniker!

Texte von Wolfgang Borchert und einer von Boris Chasanow, der erst vor rund zwei Wochen verstorben ist bildeten weitere Zutaten zu dem von Regisseur gemeinsam mit dem Schauspielduo entwickelten und erarbeiten Stück. Der stets vor Ideen sprühende 59-jährige Valudskis kam eines Tages zu einer „Tiger“-Probe und sprach den (Licht-)Techniker an, der sich in der Arbeit immer wieder durch Mitdenken, Anregungen und Ideen auszeichnet: Du könntest doch auch eine kurze Szene spielen.

Schauspielerin Nicola Schößler, Lichttechniker Alexander Breitner, Regisseur Arturas Valudskis und Schauspieler Martin Bermoser nach der umjubelten Premierenvorstellung
Schauspielerin Nicola Schößler, Lichttechniker Alexander Breitner, Regisseur Arturas Valudskis und Schauspieler Martin Bermoser nach der umjubelten Premierenvorstellung beim Schluss-Applaus

Und so steht Alexander Breitner, der im Stück auch mehrfach von den Schauspieler:innen angesprochen wird, auf und hält einen kurzen Monolog – über ein Gedankenexperiment des deutschen Astrophysikers Harald Lesch. Was, wenn das Universum nach dem Urknall sich nicht kugelförmig ausgedehnt hätte/hat, sondern beispielsweise in der Form eines Sombreros? „Ich weiß was ich erzählen soll, ich sag das in meinen Worten und sicher nicht jedes Mal gleich“, verrät der (Licht-)Techniker über seine Premiere. So „nebenbei“ vom Regiepult aus, das auf der Publikumstribüne untergebracht ist, also mit gutem Überblick auf das Bühnengeschehen, sozusagen vom Weltall auf die Erde blickend 😉

Regisseur Arturas Valudskis
Arturas Valudskis

Tausendsassa

Arturas Valudskis wurde in Litauen geboren, damals noch Sowjetrepublik. Als 18-Jähriger verweigerte er den Kriegsdienst in Afghanistan, ließ sich in einer Nervenklinik einsperren, wo das Klavier-„Wunderkind“ erste Theatererfahrungen machte. Danach arbeitete er im Gefängnis der litauischen Stadt Kaunas mit Häftlingen und gründete außerhalb dessen ein Untergrundtheater mit. Vor fast 30 Jahren kam er über ein Förderstipendium nach Salzburg, gründete das Theater Panoptikum. Es folgten Regie, Schauspiel und Musik in Salzburg, Wien (u.a. am TAG – Theater an der Gumpendorfer Straße), Klagenfurt, Villach, Litauen und Südtirol. In Salzburg arbeitet er immer wieder mit dem Toihaus Theater zusammen.

Follow@kiJuKUheinz

Compliance-Hinweis: Das Toihaus Theater übernahm die Fahrtkosten von Wien nach Salzburg und zurück.

Sujet-Fotocollage für das Stück
Sujet-Fotocollage für das Stück „Der tiger geht über den Teppich“ im Salzburger Toihaus Theater
INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Der Tiger geht über den Teppich

Toihaus Theater Salzburg
Ca. eine – dichte – Stunde

Konzept, Regie, Ausstattung: Arturas Valudskis
Texte von Arturas Valudskis, Wolfgang Borchert, Boris Chasanow
Schauspiel – und Mitentwicklung: Nicola Schößler, Martin Bermoser
Gastauftritt: Alexander Breitner
Licht/Technik: Alexander Breitner, Robert Schmidjell

Wann & wo?

Bis 5. Februar 2022
Toihaus Theater: 5020 Salzburg, Franz-Josef-Straße 4
Telefon: 0 662 87 44 -39
office@toihaus.at

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