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Szenenfoto aus "Ich : Du : Wir" - in der Theater Arche in Kooperation mit "spatium vienna"
Szenenfoto aus "Ich : Du : Wir" - in der Theater Arche in Kooperation mit "spatium vienna"
22.09.2022

Tanz, Musik, Schauspiel rund um die Echtheit einer Person

Vier Künstlerinnen spielen, tanzen, schreiben in „Ich : Du : Wir“ in einer interdisziplinären Performance über Identität & Berührung – in Theater Arche – in Kooperation mit „spatium vienna“.

Manami Okazaki, Paula Krüger, Mirjam Plank und Elke Waibel teilen sich in der „Theater Arche“ eine anfangs dunkle Bühne und stellen sich – und damit auch dem Publikum – diversen Fragen rund um Identität, Wünsche und dem menschlichen Dasein. Die anfängliche Ruhe wird von – eingespieltem – Straßenlärm unterbrochen, Mirjam Plank fängt an zu tanzen. Sie bewegt sich zum Lärm, wird immer schneller, holt ein und aus. Ihre Bewegungen erinnern an Ballett, Sparring und zeitgenössischen Tanz. Ein Mix aus allem. Sie landet auf dem Boden und steht wieder auf, kommt jedoch nie zur Ruhe, denn aus dem Background wird nach „MEHR!“ verlangt. Unterbrochen wird sie von Manami Okazaki, die umarmt werden will. Paula Krüger wiederum möchte einfach wahrgenommen werden. Die Tänzerin spielt gekonnt Überforderung angesichts der heftigen Anforderungen. Elke Waibel taucht auf und wieder unter, alle vier vermitteln jedoch – trotz der einen oder anderen Widersprüchlichkeit – vier starke Einzelpersönlichkeiten in einem solidarischen, warmherzigen Miteinander zu sein. Für sich UND als Botschaft ans Publikum.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich : Du : Wir“ – in der Theater Arche in Kooperation mit „spatium vienna“

Fraaaaaagen

In einem dialogischen Gruppenspiel und mithilfe diverser Kunstformen erforscht das Quartett (Regie: Jil Clesse) gemeinsam vor – und hoffentlich gedanklich mit – dem Publikum die unterschiedlichen Identitätsmerkmale-, Definitionen und Restriktionen des Begriffs. Fragen werden durch den Raum geworfen wie „Wer bin ich, wenn keiner hinsieht?“, „Wie fühle ich mich?“ oder „Bin ich eine Nation, ein Geschlecht, eine Fremdzuschreibung?“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Ich : Du : Wir“ – in der Theater Arche in Kooperation mit „spatium vienna“

Außen und Innen

Nicht nur die äußere Facette des Seins wird erforscht, sondern auch das Innere. Wünsche, Vorstellungen und Veränderungen durch sowohl interne als auch externe Erlebnisse werden durchleuchtet, wiedergegeben und on Stage erlebt. Auch Ängste, Beklemmungen und Wut bauen sich im Laufe des Abends beim Ensemble auf. Gesellschaftliche Themen und kritische Diskurse rund um das Patriarchat, Vorurteile und soziale Zwänge werden rausgeschrien, Emotionen dazu mithilfe von rund einem Dutzend an den Wänden hängenden unterschiedlichen Spiegeln aufgefangen und festgehalten. Manches Mal starten Performerinnen auf die erste Reihe der Zuschauer:innen los, Kreide in der Hand, malt die eine oder andere Sprüche, die ihnen bei genau diesem Menschen im Publikum einfallen. So cool das wirkt, führt es mitunter zu langwierigen Versuchen, das Geschriebene auf Boden oder Spiegeln zu entziffern.

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Szenenfoto aus „Ich : Du : Wir“ – in der Theater Arche in Kooperation mit „spatium vienna“

Ruhemomente

Das immer wieder herrschende – choreografierte – szenisch dargestellte Tohuwabohu bricht hin und wieder aber auch in sehr große Ruhe, eine Art Innehalten, aus. Solche Diese ruhigen Momente werden meist von Manami Okazakis musikalischer Performance am Piano eingeleitet. Sie singt Japanisch und Deutsch. Ein wenig irritierend war der Szenenapplaus des Premierenpublikums bei Franz Lehárs „Wien, du bist das Herz der Welt“.

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Szenenfoto aus „Ich : Du : Wir“ – in der Theater Arche in Kooperation mit „spatium vienna“

Ikigai – das, wofür es sich zu leben lohnt

Eines der wiederkehrenden Motive dieses Abends ist der Lebenssinn. Wofür lebst du? Wofür brennst du? Was wolltest du werden, bevor dich die Angst überkam, zu viel zu sein? (Klare) Antworten auf diese Fragen liefert das Ensemble nicht. Das will es auch nicht. Jede/r soll an diesem Abend Impulse bekommen, zum Nachdenken angeregt werden, sich selbst in diesen Fragen verlieren, um sich am Ende der Vorstellung sich selbst ein wenig näher kommen zu können. Neben Deutsch kommt an diesem Abend auch Englisch, Italienisch, Französisch und Japanisch zum Einsatz – „Ikigai“ steht für Lebenssinn.

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Szenenfoto aus „Ich : Du : Wir“ – in der Theater Arche in Kooperation mit „spatium vienna“

IdentitätEN

Auch wenn der Duden eine klare Definition für das Wort „Identität“ liefert, hat jede/r eine eigene gelebte Realität dieses Terminus. Schließlich ist dieser facettenreich und schwierig zu begreifen. Faktum ist jedoch: Ein „Ich“ existiert nie alleine. Und schon gar nicht in der japanischen Sprache! Während die westliche Welt am unveränderlichen „ich“ festhält, fehlt in Japan eine solche Bezeichnung für das Selbst. Das Japanische „Ich“ verändert sich mit der Umgebung und verhält sich in jeder Situation anders, außerdem gibt es ein haufig verwendetes „ich“ für/von Frauen: watashi und andere – da übrigens mehrere, wie Manami Okazaki Kinder I Jugend I Kultur I und mehr … erklärt: „bokü für ein neutraleres, ole für ein frecheres ich.“

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Szenenfoto aus „Ich : Du : Wir“ – in der Theater Arche in Kooperation mit „spatium vienna“

Hintergründe und Anfänge des Stücks

Die Idee für das Stück kam der Regisseurin Jil Clesse, vor einem Jahr. Sie studiert Psychotherapie und liebt es, sich mit Sinnfragen zu beschäftigen, mag jedoch nicht die Schwere, welche diese Fragen meist begleitet. Deshalb entschied sie sich, diese mit einem Zugang von Leichtigkeit zu erforschen. Denn alle Emotionen sollten existieren dürfen. „Wer bin ich und wie verändert sich dieses Konstrukt, wenn ich in Berührung (mit anderen Menschen) und Bewegung gehe?“

Seit Februar wurde – nicht durchgängig – geforscht und vor ein paar Wochen dann endlich geprobt. Im Hinblick auf das Ensemble war es ihr wichtig, dass die Künstlerinnen mutig und offen sind, ihre eigenen Geschichten, Erfahrungen und Emotionen in das Stück miteinzubringen. Ein Anliegen hatte die Regisseurin für die Performance: „Die Wanderung vom Ich, dem Individuum auf das Du in die Begegnung und dann weiter zum kollektiven Wir. Ein weiteres Kernthema der Produktion war die Konditionierung des „Ich“.

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Szenenfoto aus „Ich : Du : Wir“ – in der Theater Arche in Kooperation mit „spatium vienna“

Sicherer Raum, sich weit zu öffnen

Mit diesem Kernthema setzte sich das Ensemble über Wochen hinweg auseinander. Mirjam Plank und Paula Krüger erzählen in einem Interview nach der Vorführung von einer höchst intensiven ersten Woche. Sie alle kannten sich von Tag eins an so gut wie gar nicht, fanden jedoch schnell zueinander und hatten bald das Gefühl, in einem „Safe Space“ angekommen zu sein. „Uns allen war klar, dass hier alles angenommen wird, ganz gleich was ich mache und wie ich meine Emotionen Ausdruck verleihe.“ Die Aufrechterhaltung dieses sicheren Raumes ermöglichte allen Beteiligten eine außergewöhnliche Selbsterfahrung, welche im Endeffekt das Gerüst der Vorstellung bildet.

„Die tiefe Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen, Gedanken rund um Identität forderten ein enormes Maß an täglicher Aufmerksamkeit und Fokus. In der Theaterwelt wollen viele nur entertained werden, aber es kann so viel mehr sein. Es kann auch tiefgründige Impulse liefern und anregen, auch ohne das Publikum komplett zu entwurzeln!“

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Manami Okazaki – Klavier und Gesang

Himmlisch

Auch wenn Manami Okazaki das Lied „Anata no yuna wa nandesho“ („Was sind deine Träume“) bei ihrem ersten Auftritt auf dem Tasteninstrument spielt und glockenhell singt, sei es hier ans Ende der Stückbesprechung gestellt. Sie habe das als Kind in Japan uroft gespielt, aber erst jetzt falle ihr auf: „Der Text ist urschön“, heißt es doch dort unter anderem: „Jeder hat seinen eigenen Weg, aber wir sehen alle den selben Himmel – ganz gleich, wo wir sind!“

Fatima Kandil
@fatimemoires

Mitarbeit: Follow@kiJuKUheinz

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Szenenfoto aus „Ich : Du : Wir“ – in der Theater Arche in Kooperation mit „spatium vienna“
INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Ich : Du : Wir

Identität & Berührung – eine interdisziplinäre Performance
Zusammenarbeit spatium vienna und Theater Arche

Regie: Jil Clesse
Es performen (Tanz, Schauspiel, Gesang, Rezitation, Klavier): Manami Okazaki, Paula Krüger, Mirjam Plank, Elke Waibel

Musik: Kono Chikyu no Dokokade: Kan Wakamatsu und Keiku Miura
Wien, du bist das Herz der Welt: Franz Lehár
Hidamari No Uta: Le Couple
Psychogeography: Max Richter
Dimensions: ANNA

Textzitate aus
Untamed: Glennon Doyle
Ich und Du: Martin Buber
Ein Zimmer für sich allein: Virginia Woolf
Love & Money: Dennis Kelly
Motherhood: Sheila Heti
Warum es unmöglich ist, sich selbst zu finden: Theresa Bäuerlein
Look both ways (Film): April Posser

Wann & wo?

Bis 28. September 2022
Theater Arche: 1060, Münzwardeingasse 2A

Online-Ticketing

Weitere Infos und Trailer:
Theater Arche

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