Einmal gesungen – von der Wiener Taschenoper – und einmal als Anti-Heldin im Dschungel Wien.
Nach rund fünf Dutzend Mal wurde die Neuversion von „Das tapfere Schneiderlein“ von der Wiener Taschenoper unlängst in der Kulturgarage in der Seestadt Aspern zum letzten Mal aufgeführt. Von anspruchsvoller Musik von Wolfgang Mitterer getragen, wurde das Märchen nach den Gebrüdern Grimm über den Auf-Schneider gesungen – und gespielt mit teils einfachen und doch recht üppigen Kulissen und Kostümen.
Der Komponist meint im Programmheft: „Richtig vorgetragen ist jede Melodie fasslich… Kinder müssen nicht mit banalen Melodien, womöglich noch laut verstärkt, an die Wand geprügelt werden…“ Musikalisch umgesetzt haben dies – live auf der Bühne – Karl Sayer (Kontrabass) und Michael Tiefenbacher (Keyboard/Samples).
Witz in die Afführung brachte die Inszenierung von Jevgenij Sitochin, der vor allem den König, gesungen und gespielt von Johannes Zeiler (macht-)technisch immer wieder anlaufen lässt. Jakob Pejcic wächst als Schneider an den Aufgaben zum Helden.
Antonine Vernotte (Ratgeber/Einhorn/Riese) und Jubin Amiri (Ratgeber/Wildschwein/Riese) sorgen immer wieder für fast Slapstick-artige Einlagen, insbesondere als die beiden – einander laufend widersprechenden – Ratgeber.
Adèle Clermont hat insbesondere als Königstochter die A-Karte gezogen, weil das Libretto (Helga Utz) ihr eine Frauenrolle geschrieben hat, die vielleicht ins vorvorige Jahrhundert gepasst hätte. „Oh, ein Held, kann ich ihn haben!“
Ganz anders angelegt ist die – doch entlang des klassischen Märchens – gespielte Fassung von Raoul Biltgen. Hier ist das Schneiderlein ganz und gar nicht gewillt heldisch zu sein, will lieber der eigenen Profession nachgehen und schöne Kleidungsstücke nähen. Wenngleich die Schneiderin (Nele Christoph) zwar von Stoffen umgeben live auf einer Tribüne über der Bühne häkelt. Aber das ist womöglich Teil des Spiels mit Wahrheit, Übertreibung, Lüge und Schwindeleien. Die sind ein fast ständig präsentes Thema in dieser Version (Regie: Mira Stadler).
Wie auch immer, die Schneiderin will gar keine Abenteuer bestehen, wird aber von dem Erzähler:innen-Trio (Annina Hunziker, Alina Schaller, Anton Widauer) dazu gedrängt, manipuliert, mitunter auch genötigt. Schließlich soll doch dieses Märchen von den „7 auf einen Streich“ über die Bühne gehen. Auch wenn die Schneiderin anmerkt: Es waren doch nur zwei Fliegen und Lügen ist nicht okay.
Die beiden Erstgenannten aus diesem Trio streiten zunächst um den Titel. „Das lustige Schneiderlein meint die eine“, „Das listige Schneiderlein“ die andere. Bis als Dritter im Bunde Anton Widauer den richtigen Titel – unter Verweis auf den Programmzettel – durchsetzt. Und eine der beiden obendrein noch Leseschwäche spielt „das töpfernde…“
Womit wir aber auch hier wieder bei überkommenen Rollen-Bildern landen. Die zwei Frauen machen auf lustig/listig/töpfernd, aber was richtig ist, sagt der Mann ;(
Mit viel Spiel- und Wort-Witz, manche dann in der (zu) häufigen Wiederholung ein bissl krampfhaft, spielen sich die vier durch üppige Bühnenbilder und witzige Kostüme vor allem beim Wildschwein (Bühne, Kostüme: Jenny Schleif). Ausgehend von der Schneiderin wird einerseits der Held:innen-Mythos demontiert, es gelingt der Schneiderin aber auch die beiden Ries:innen von der Last ihres Böse-sein-müssens zu befreien. Moral von der Geschichte: Sei du selbst, mach das, wonach dir der Sinn steht und versuch dich nicht in eine von anderen vorgegebene Rolle hineindrängen zu lassen.
Super, wäre da nicht, dass ausgerechnet diese sanfte, versöhnende, ja nicht heldisch sein wollende Rolle mit einer Frau besetzt worden wäre – womit erst recht wieder gängige Rollenklischees bedient werden.
Kleine Oper für einen lustigen Helden nach den Brüdern Grimm (UA 2006, UA der Neufassung 2018)
Wiener Taschenoper
Musik: Wolfgang Mitterer
Libretto: Helga Utz
Inszenierung: Jevgenij Sitochin
Das tapfere Schneiderlein: Jakob Pejcic
Königstochter/Marmeladenverkäuferin: Adèle Clermont
König: Johannes Zeiler
Ratgeber/Einhorn/Riese: Antonine Vernotte
Ratgeber/Wildschwein/Riese: Jubin Amiri
Keyboard/Samples: Michael Tiefenbacher
Kontrabass: Karl Sayer
Bühne: Ralph Zeger
Kostüme: Isis Flatz
Lichtdesign: Jürgen Erntl
Regieassistenz: Lucie Gutfreund
Bühnenassistenz: Ganesh Sergiyenko
Produktionsleitung/Regieassistenz: Annika Veith
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Schauspiel; ab 6 Jahren; 55 Minuten
Text: Raoul Biltgen
Regie: Mira Stadler
Schauspieler:innen
Schneiderlein: Nele Christoph
Erzähler:innen, Ries:innen, Wildschwein, Einhorn: Annina Hunziker, Alina Schaller, Anton Widauer
Bühne, Kostüme: Jenny Schleif
Licht: Hannes Röbisch
Regie-Assistenz: Pia Harr, Mila Suljić
Ausstattungs-Assistenz: Lea Witeschnik
Bis 6. Jänner 2024
Dschungel Wien: 1070, MusuemsQuartier
Telefon: 01 522 07 20-20
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