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Szenenfoto aus "Medea - Alles Gegenwart"
Szenenfoto aus "Medea - Alles Gegenwart"
28.02.2024

Überirdisches Schauspiel in unterirdischem Raum

„Medea – alles Gegenwart“ auf der Basis von Franz Grillparzers „dramatischem Gedicht“ mit einem kurzen Gedicht von Ingeborg Bachmann in den Wiener Neustädter Kasematten beim „Wortwiege“-Festival.

Böse Kindsmörderin – so die einen. Opfer von Rassismus und Ausgrenzung, das zu einer Verzweiflungstat getrieben wird – so die anderen. Das sind die extremen Pole der Sichtweise auf die Figur der antiken Medea. Und beim „Nachgraben“ stellt sich heraus, in ursprünglichen griechischen Fassungen hat Medea gar nicht Mermeros und Pheres, die Söhne, die sie mit dem Argonauten Jason hatte, selber umgebracht.

Wie auch immer, unzählige Male wurde der mythologische Stoff in Bühnenversionen erzählt, war Ausgangspunkt für Bilder, Filme, Bücher usw. Aktuell wird er in einer sehr bewegenden psychodramatischen Form im Rahmen des Wortwiege-Theater-Festivals in den Wiener Neustädter Kasematten hinreißend gespielt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Medea – Alles Gegenwart“

Plus Bachmann-Text

Basis für diese Version (Regie – und Spielfassung: Anna Maria Krassnigg) ist Franz Grillparzers dritter Teil der gereimten Trilogie „dramatisches Gedicht“) „Das goldene Vlies“ (Der Gastfreund, Die Argonauten und eben Medea). Im Wesentlichen wurde der Originaltext verwendet – angereichert um das Gedicht „Liebe: Dunkler Erdteil“ von Ingeborg Bachmann, das mit den Zeilen „Der schwarze König zeigt die Raubtiernägel, zehn blasse Monde jagt er in die Bahn“ beginnt.

Aus Liebe eigene Familie verraten

Nina C. Gabriel, die in dieser unterirdischen Wehranlage wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt seit Jahren überirdisch die unterschiedlichsten komplexen Figuren verkörpert, lässt teilhaben an der Entwicklung der Liebenden. Für den Fremden namens Jason, in den sich die Königstochter von Kolchis unsterblich verliebt, stiehlt sie – entgegen der eigenen Vernunft – das mit allen Macht- und Ruhm-Fantasie aufgeladene Stück Schafffell, verrät die eigene Familie und flieht mit ihm. Nach abenteuerlichen Zwischenstationen landen sie in Korinth, wo Jason seine Jugend verbracht hat. König Kreon nimmt die Familie – Jason, Medea, Mermeros und Pheres – zunächst auf, ist aber eher auf das Beutestück erpicht. Jason und die Söhne will er samt dem Goldenen Vlies, hätte gern, dass der Mann seine Frau verlässt, und stattdessen des Königs Tochter Kreusa heiratet.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Medea – Alles Gegenwart“

Schmierig skrupelloser Herrscher

Irgendwie scheint Jason (Jens Ole Schmieder) Medea schon stark zu lieben, aber der Deal! Und mit Kreusa (Saskia Klar), die sich anfangs freundschaftlich mit Medea versteht, verbindet ihn die Erinnerung an die jugendliche Gemeinsamkeit mit doch auch mehr. In wenigen Momenten lässt er noch die Liebe zur Angetrauten aufblitzen, doch mehr zieht es ihn zum Angebot der neuen Macht hin. Peter Scholz verleiht König Kreon eine schmierige Skrupellosigkeit, die an so manch aktuelle Politiker in unterschiedlichsten Ländern der Welt erinnert.

Als sich die beiden Söhne – in projizierten voraufgenommenen Videos (Film sowie Musik: Christian Mair) Nico Dorigatti, Flavio Schily – gegen Medeas Bitten, mit ihr, die nun verbannt wird, mitzukommen, entschließen, zerbricht die Hauptfigur psychisch. Getrieben von Angst und Sorge, sie könnten als Söhne der Fremden, Wilden, Zauberin vielleicht Opfer rassistischer Attacken werden, wenn Jason und Kreusa dann „heimische“ Kinder hätten, oder sie würden – zu Helden erzogen – selbst zu Mördern werden, „befreit“ sie die beiden von solch möglichen Schicksalen von deren Leben und befördert sie in den Tod. Und will damit aber auch dem nun Ex-Mann Schmerzen zufügen, die an ihre eigenen (vielleicht) herankommen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Medea – Alles Gegenwart“

Die Kinder?

Ob der Mord an den Kindern durch die „Erlösungs“-Fantasie nicht nur ein Schönreden ist? So viele verschiedene Medea-Interpretationen es auch gibt, meines Wissens gibt es nur eine einzige, die versucht, die sich aufbauende Tragödie aus der Sicht der Kinder zu beleuchten. Suzanne Osten und Per Lysander schufen vor rund einem halben Jahrhundert Medeas Barn (Medeas Kinder), das 1975 vom Unga Klara Theater in Stockholm uraufgeführt wurde.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Medea – Alles Gegenwart“

Liebes-Fell und Projektionsfläche

Die Version in den Neustädter Kasematten hat übrigens noch einen spannenden „Mitspieler“: Zentral auf der Bühne, die fast immer an eine Kaimauer erinnert (Andreas Lungenschmid) hängt tatsächlich ein riesiges Vlies, ein Schafffell von der in Thessaloniki (Griechenland) lebenden und schaffenden aus Salzburg stammenden Künstlerin Evelyn Wallner Papadopoulou. Und dieses wird im Verlauf der Aufführung immer wieder zur Projektionsfläche – manchmal für die Videoeinspielungen und oft auch für Lichtspiele, die die jeweilige Stimmung widerspiegeln (Licht: Lukas Kaltenbäck). „Guardian Sheep“ (Wächter-Schafe) nennt die Künstlerin, die seit Jahren mit diesem Material arbeitet, ihre Installationen. „Wolle symbolisiert für mich bedingungslose Hingabe und Liebe“, erklärt sie Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… am Rande der Premiere. Die Zusammenarbeit mit der bildenden Künstlerin, die auch österreichische Honorarkonsulin in Griechenland ist, ergab sich zufällig mit der Wortwiege im Rahmen von deren „Sea Change“-Tour.

Follow@kiJuKUheinz

wikipedia -> Medea

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Medea – Alles Gegenwart

Dramatisches Gedicht von Franz Grillparzer /wortwiege
2½ Stunden (eine Pause)

Medea: Nina C. Gabriel
Jason: Jens Ole Schmieder
König Kreon: Peter Scholz
Kreusa: Saskia Klar

In den Video-Einspielungen
Medeas und Jasons Söhne: Nico Dorigatti, Flavio Schily
Aietes, Medeas Vater: Peter Scholz
Absyrtos, Medeas Bruder: Nico Dorigatti
Der Gastfreund: Jens Ole Schmieder

Regie – und Spielfassung: Anna Maria Krassnigg
Bühne: Andreas Lungenschmid
Kunstobjekt „Vlies“: Evelyn Wallner Papadopoulou
Kostüme: Antoaneta Stereva
Maske: Henriette Zwölfer
Musik & Film: Christian Mair
Licht: Lukas Kaltenbäck
Regieassistenz, Ausstattungsassistenz: Julia Kampichler
Dramaturgie: Marie-Therese Handle-Pfeiffer
Bühnenmeister: Christoph Wölflingseder
Hospitanz: Kaya Dorigatti

Eine Produktion der wortwiege

Wann & wo?

Bis 24. März 2024
Kasematten Wiener Neustadt
2700, Bahngasse 27
wortwiege -> medea