Probenbesuch bei „Opium“, deutschsprachige Erstaufführung eines Stücks des belarussischen Autors Witalij Korolew im Werk X-Meidling.
Am Rande einer riesige Gestalt annehmenden hölzernen Bühnenkonstruktion schaufelt Sören Kneidl als Kolja – noch im Leeren. Es handelt sich um eine frühe Probe für das Stück „Opium“ im Werk X-Meidling, das Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … besuchen darf. Sogar psychisch anstrengender als körperlich – so vermittelt die Szene Koljas Job mit dem er die Familie ernährt. Gräber schaufeln, Särge tragen – damit verdient er den Lebensunterhalt für seinen jüngeren Bruder Andrej, den er manchmal liebevoll Andrjucha oder „Kleiner“ nennt.
Dieser, gespielt von Niklas Doddo, soll sich nur aufs Strebern konzentrieren. Er braucht sehr, sehr gute Noten, um in Minsk, der Hauptstadt von Belarus (Weißrussland) studieren zu können. Denn Studiengebühren kann sich die alleinerziehende Mutter (Sylvia Haider) sicher nicht leisten, abgesehen davon, dass sie gegen ihre lebensbedrohliche Atemwegserkrankung sauteure Medikamente braucht.
Und da reicht selbst der Knochenjob Koljas nicht aus, den er noch dazu verliert. Doch er hat was Lukratives in Aussicht. Nein, kein Drogenhandel – „Opium“ kommt in unterschiedlichster Form im Text des belarussischen Autors Witalij Korolew vor: Beim Geschichte-Lernen Andrejs über Opiumkriege, als gleichnamiges Luxus-Parfum und als russischer Liedtitel „Opium dlya nikogo“ (Opium für niemanden) der Band Agatha Christie.
Der Autor schickt seine Hauptfigur aus Rahatschou (35.000 Einwohner:innen zwischen den Flüssen Drut und Dnepr) in die Ukraine – nicht brandaktuell geschrieben in den jetzigen Krieg. Aber immerhin – 2015 geschrieben – schon in der Phase des „Hybridkrieges“ wie Korolew die Zeit nach den ersten Besetzungen ukrainischen Territoriums durch Russland nannte. Ein Kumpel aus Koljas Armee-Zeit hat ihm das angeboten.
Doch Andrej mag seinen Bruder nicht in die Gefahrenzone lassen. Es sei alles harmlos, er würde nur im Hinterland technische Aufgaben erledigen, versucht der zu beruhigen. Und testet vor allem die Reaktionen ab, bevor der der Mutter sein Vorhaben anvertraut.
Die eingangs geschilderte Szene vom Schaufeln, von dem Geständnis des Vorhabens proben die beiden mehrmals hintereinander, bis sie nicht mehr jeder ihren Text aufsagen, sondern immer mehr miteinander spielen, es zu einer Szene wird, die glaubhaft wirkt. Und die Dramatik aber nicht aufgesetzt transportiert.
„Ich komm doch auch ohne diese Tabletten klar, ohne das alles …“, wird ihm die Mutter entgegnen. Und Kolja: „Mensch … Wie kommst du klar? Willst du wieder keine Luft bekommen?!“
Mutter: „Ganz genau, ich bekomm keine Luft und sterbe, dann kannst du fahren, wohin du willst!“
Natürlich fährt Kolja. Mehr sei vom Stück nicht verraten. Nur noch, dass es weitere Figuren gibt, die an diesem Probentag nicht drankamen – Freunde Koljas, Andrejs, dessen Freundin. Und eine – nicht vom Autor geschriebene, aber vom Regisseur erfundene Figur. Die trat kurz beim Probenbesuch in Aktion. Victoria Nikolaevskaja spielt auf der Ukulele und singt, teils auf Russisch als Art Erzählerin, die unter anderem einordnet, in welcher Zeit das Stück geschrieben worden ist. Die dreisprachige Schauspielerin (Deutsch, Englisch, Russisch) die zuletzt in Österreich vor der Kamera spielte, freut sich „endlich wieder einmal Theater spielen zu dürfen“, wie sie am Rande der Probe sagt. Zuletzt auf einer Bühne hat sie vor mehr als zweieinhalb Jahren in London gespielt.
„Opium“ entstand im Rahmen einer Werkstatt für junge Dramatiker:innen. Werk X hat den Text von Lydia Nagel eigens übersetzen lassen, weil, wie Regisseur Harald Posch – wirklich (nicht wie sehr verkürzt und vor allem ursprünglich hier falsch zitiert) sagt: „Ich im Herbst des Vorjahres einen guten Text aus der letzten Diktatur Europas, also aus Belarus, gesucht habe und dann Korolews Opium übersetzen habe lassen. Dass er so erschreckend aktuell geworden ist als Antwort auf Putins jetzigen Krieg, konnten wir nicht wissen.“
Und so „nebenbei“ erzählt Korolews Stück, wie jemand aus – eigener und der Familie – Not in den Krieg zieht, aber auch die „Frontlinien“, die sich zwischen arm und wohlhabender auftun – anhand der Freund:innen von Andrej.
von Witalij Korolew
Übersetzung ins Deutsche: Lydia Nagel
Inszenierung: Harald Posch
Mutter: Sylvia Haider
Kolja: Sören Kneidl
Andrej, sein jüngerer Bruder: Niklas Doddo
Stas, Andrejs Freund/ Djonja, Koljas Freund: Luka Vlatković
Tanja, Andrejs Freundin: Josephine Bloéb:
Singende Erzählerin (neue Figur im Vergleich zum Text des Autors): Victoria Nikolaevskaja,
Live-Band: Maxim Franke (Geige), Fritz Rainer (Schlagzeug)
Bühne und Kostüme: Daniel Sommergruber
Musik: Fritz Rainer
Dramaturgie: Hannah Lioba Egenolf
Regie-Assistenz: Sophie Berghäuser
Ausstattungs-Assistenz: Silvia Aguilar
Dramaturgie-Assistenz: Lili Bana
Ab 11. Mai – bis 27. Juni 2022
Werk X Meidling: 1120, Oswaldgasse 35A
Telefon: 01 535 32 00
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