Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… bat die Dramaturgin des Dschungel Wien, Marianne Artmann, zum Interview. Sie war von Beginn an im Theaterhaus für junges Publikum im MuseumsQuartier.
Derzeit geht im Vorarlberger Feldkirch das 36. „Luaga & Losna“, Theaterfestival für ein junges Publikum über die Bühnen – und eine Wiese mit bespielbaren „Riesen“ aus re- besser geschrieben up-gecycleten Alt-Metallen. Im Rahmen des Festivals beschäftigt sich ein Symposion mit Theater als Teil einer humanistischen Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Dabei wird besprochen und in theaterpädagogischen Übungen darüber gearbeitet, wie Kindern und Jugendlichen Theater näher gebracht werden kann – und zwar sowohl das Zuschauen, das immer auch ein aktiver Prozess ist, als auch das Erlebnis, selbst Theater zu spielen.
Das Festival war in seinen Anfängen, also vor mehr als drei Jahrzehnten, jeweils auch ein vernetzendes Treffen der gesamten heimischen Kinder- und Jugendtheaterszene. Sogar die Geburtsstunde der Österreich-Sektion der internationalen Kinder- und Jugendtheatervereinigung ASSITEJ schlug bei „schauen & hören“ – die Übersetzung des Festival-Mottos ins Hochdeutsche.
Gerade in dieser Woche fand auch das Mediengespräch zur neuen Saison des Theaterhauses Dschungel Wien im MuseumsQuartier statt – wo einiges zur neuen Saison sowie zum 20-Jahr-Jubiläum dieses von der freien Szene erkämpften Theaterhauses für ein junges Publikum zur Sprache kam. Drei künstlerische Leiter:innen gab es bisher, Gründungsdirektor Stephan Rabl (12 Jahre lang), Corinnen Eckenstein, die von Anfang hier viel inszeniert hatte, leitete sieben Jahre den Dschungel Wien, nun startet die aktuelle künstlerische Leiterin Anna Horn, die zuvor am Burgtheater-Studio tätig war, in ihre zweite Saison.
Da Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… vorzog, Theater zu erleben, musste das Mediengespräch unbesucht bleiben. KiJuKU bat dafür einen durchgängigen Dschungel-Fixstern, meist sehr bescheiden im Hintergrund, aber Herz und Hirn des Theaterhauses, die Dramaturgin Marianne Artmann zum Jubiläums-Interview.
Zunächst wollte KiJuKU wissen, wie sie selber zum Theater gekommen ist – dies ist als eigener Teil ausgegliedert – und unten gegen Ende des Beitrages verlinkt.
KiJuKU: So, jetzt aber zu 20 Jahre Dschungel Wien, was sind im Rück- und Überblick die wichtigsten Veränderungen, die du feststellen kannst / musst oder bemerkst?
Marianne Artmann: Die Vielzahl neuere Gruppen und Kollektive, die kontinuierlich professionell arbeiten – eine deutliche Qualitätssteigerung.
Am Anfang, vor 20 Jahren, war es nicht so leicht genügend heimische Produktionen zu finden, die mit den internationalen Gruppen und Produktionen vor allem aus den Niederlanden, Belgien und Skandinavien mithalten konnten. Heute braucht die Wiener Szene diese Vergleich nicht mehr zu scheuen.
KiJuKU: Inwiefern hat da der Dschungel eventuell einen Anteil?
Marianne Artmann: Wir haben als Haus den Gruppen und Kollektiven einen Basis gegeben. Vorher musste sie sich irgendwo einmieten, selber alles organisieren – von der Technik bis zur Bewerbung. Mit dem Dschungel haben sie alle eine Infrastruktur bekommen – bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit.
KiJuKU: Und vom Publikum her, welche Veränderung stellst du da fest?
Marianne Artmann: Die Gesellschaft ist viel diverser geworden – und das ist für uns nicht nur eine Frage von Themen, die auf der Bühne verhandelt werden sollen. Es stellt sich die Frage, nicht nur was, sondern auch wen zeigst du auf der Bühne? Wer inszeniert? Fühlt sich bzw. wird das Publikum repräsentiert – verschiedene Hautfarben, Kopftuchträgerinnen, andere Sprachen als Deutsch – das sind Herausforderungen, die in den vergangenen Jahren auf alle Theaterhäuser, auch auf den Dschungel zugekommen sind.
KiJuKU: Hat sich die Zusammenarbeit mit Schulen verändert?
Marianne Artmann: Mit Kindergärten klappt es gleich gut wie früher, mit Schulen ist es schwieriger geworden und das liegt an einem ganzen Bündel an Ursachen: Schulen und Lehrer:innen sind stärker belastet – vom Mangel an Personal bis zur Zunahme administrativer Aufgaben. Wobei es mit Volksschulen noch leichter ist als in der Sekundarstufe I, aber richtig zum Knochenjob ist das Ansprechen von Oberstufen geworden. Corona war da auch ein großer Bruch.
Hinzu kommt, dass etliche Pädagog:innen, mit denen es langjährige Zusammenarbeit gab, mittlerweile in Pension sind.
Wir versuchen zwar auch in die Ausbildungsschienen von Pädagog:innen zu kommen – in Pädagogische Hochschulen mit einem Vortragsformat „Alles kein Drama – Mit Schüler:innen ins Theater“ und bemühen uns an die Unis zu kommen. Aber so manche junge Lehrer:innen haben nicht zuletzt deswegen, weil sie mit mehr und anderen Medien aufgewachsen sind, nicht mehr den Bezug zu Theater.
KiJuKU: Theater als Auslaufmodell sozusagen?
Marianne Artmann: Sicher nicht, auch wenn viele – Kinder, Jugendliche aber auch Erwachsene und damit natürlich Pädagoginnen und Pädagogen vieles vom Handy empfangen, das analoge Erleben eines Geschehens auf der Bühne und das noch dazu gemeinsam in der Gruppe ist eine eigene Qualität. Die erfordert allerdings auch gewisse Fähigkeiten und Anstrengungen. Theater anschauen ist etwas sehr aktives. Ich muss die Zeichenhaftigkeit entschlüsseln und mit Abstraktion umgehen können – etwas, das wir alle brauchen. Es gibt einen Satz von dem ich jetzt nicht weiß, von wem er ist: Im Theater wird Welt reflektiert, ein Standpunkt entwickelt und Gesellschaft gestaltet.
KiJuKU: Hat sich die Aufmerksamkeitsspannen in diesen 20 Jahren verändert?
Marianne Artmann: Im Wesentlichen liegt sie immer bei 50 Minuten, also einer Schulstunde. Aber die ganze Zeit ist natürlich immer die Frage, kriege ich das Publikum oder nicht. Und das ist die Aufgabe der Künstler:innen. Ja, und Theater für junges Publikum muss sich immer mit dem Publikum beschäftigen!
KiJuKU: Abseits der künstlerischen Herausforderungen, fallen dir noch sonstige Veränderungen in diesen zwei Jahrzehnten ein?
Marianne Artmann: Ja, die technischen Herausforderungen sind extrem gewachsen. Vor 20 Jahren wurde zum Teil noch mit Videokassetten und CD gearbeitet. Die digitalen Möglichkeiten bringen eine tolle Qualität, haben aber auch die Kehrseite einer hohen Komplexität. Es sind nicht immer alle Systeme kompatibel. Und währen du bei einem Analogen Lichtpult eine Einschuldung von vielleicht einmal zehn Minuten hattest, erfordert die Beherrschung eines digitalen Pultes mitunter zwei Monate.
Und auf einer ganze anderen Ebene: Es ist viel, viel schwieriger, Medienvertreter:innen dazu zu bringen, sich ein Stück für Kinder oder / und Jugendliche anzuschauen und darüber eine Kritik zu schreiben, weil die Redaktionen immer weniger Journalist:innen haben.
KiJuKU: Deine Wünsche, Visionen für die nächsten 20 Jahre?
Marianne Artmann: Meine, unser aller Leidenschaft ist das Anliegen mit Theater dazu beitragen zu können, den Horizont von Kindern und Jugendlichen zu erweitern durch gutes Theater, Tanz und Performances. Ich wünsche mir, dass wir sowohl Publikum als auch Multiplikator:innen, vor allem Pädagog:innen mit unseren Stücken und Produktionen erreichen können. Und dass es uns noch mehr gelingt, die vorhandene Diversität der Gesellschaft auf und hinter der Bühne, also auch im Betrieb abzubilden, wie wir es mit der Next Generation und der digitalen Bühne hier am Haus versuchen.
An Themen gibt es darüber hinaus aber auch solche von zeitloser Relevanz wie Freundschaft, Fragen „wie wollen wir miteinander leben“ und heute vielleicht noch stärker als vorn 20 Jahren Klimaschutz und Nachhaltigkeit.
KiJuKU: Try out! MAGMA und andere Formate oder auch die Theaterwerkstätten sind Teil der Nachwuchsförderung. Gab es da Veränderungen in den zwei Jahrzehnten?
Marianne Artmann: Das war von Anfang an wichtig, aber die Bühne 2, die mit ihrer flexiblen Publikumstribüne ursprünglich als Workshopraum gedacht war, wurde dann so oft von Produktionen bespielt, dass wir damit erst wirklich beginnen konnten mit der Erweiterung durch die Bühne 3 und die Studios ab 2013. Auch wenn erst Probebühne genannte Bühne 3 wieder schnell und oft zur Aufführungsbühne wurde.
KiJuKU: Du fühlst dich wohl und bist zufrieden mit deiner Rolle hier in diesen 20 Jahren?
Marianne Artmann: Es ist ein Privileg, im Dschungel Wien arbeiten zu dürfen!
KiJuKU: Danke für das anregende, intensive Gespräch.
Allein in den rund 3 ½ Jahren Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… sind mehr als drei Dutzend Berichte über Stücke, Performances und Workshops erschienen. Davor im Kinder-KURIER ein Vielfaches. Leider ist online davon nur mehr wenig abrufbar. Was gefunden wurde, ist ebenso wie die Beiträge aus KiJuKU.at hier in diesem PDF-Flipbook durchzublättern – auf Inhalt laden klicken; alternativ kann auch der QR-Code hier ge-scannt werden:
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