Brandaktuelles Stück über historische Figur: „Ich, Galileo“ im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße, Wien).
Ich gegen mich, wer ist stärker? Wer bin ich – und wenn ja wie viele? Was gewinnt – wissenschaftliche Erkenntnis oder Glaube? Wie hältst du‘s mit der Wahrheit? Ist das immer so leicht zu beantworten? Was ist Kritik, Skepsis, Zweifel und was schon Verschwörungstheorie? Held oder Opportunist? Zur eigenen Meinung, gar Erkenntnis stehen oder sich anpassen, unterordnen? Um zu überleben? Oder auch nur nicht alles ins Wanken zu bringen?
Vieeeele – und noch mehr Fragen werden an diesem sehr dichten Abend im TAG, dem Theater an der Gumpendorfer Straße (Wien), aufgeworfen, behandelt, bespielt, diskutiert, hin und her gedreht, gewendet, selbst wiederum in Frage gestellt. Und das – mit ganz kurzen Ausnahmen am Ende wo Autor und Regisseur in Personalunion als Gott bzw. Teufel im Video auftreten – ausschließlich von einem einzigen Schauspieler.
„Ich, Galileo“ ist ein intensiver, abwechslungsreicher Monolog in vielen Zwiegesprächen und Rollenwechsel – mit sich selbst. Georg Schubert bespielt live die Bühne, meist als Galileo, Gelehrter und Forscher vieler naturwissenschaftlicher Disziplinen – von Mathe über Physik bis zur Astronomie (1564 bis 1642). Der lebte in Florenz, zeitweise auch in Pisa, baute eigene Fernrohre und seine Beobachtungen, Erkenntnisse stützten die schon von Kopernikus und Giordano Bruno zuvor formulierten Thesen, dass nicht die Erde der Mittelpunkt das Universums wäre, sondern sich diese drehe und um die Sonne kreise.
Das schmeckte vor allem der (katholischen) Kirche nicht, deren Geschäftsmodell – flache Erde, darüber der Himmel, darunter die Hölle und Menschen als die Krone der Schöpfung, die sich diese Erde untertan machen solle… Bla, Bla, Bla! Schon zu Beginn der „Schöpfungsgeschichte“ werden Eva und Adam ja aus dem Paradies vertrieben, weil sie verbotenerweise Früchte vom Baum der Erkenntnis essen!
Doch im Gegensatz etwa zu Giordano Bruno, der auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, widerrief Galileo seine eigenen Erkenntnisse, relativierte sie, um die Macht der Kirche nicht zu untergraben – und um selbst zu überleben. Der seit gut 400 Jahren immer wieder zitierte Satz „Und sie bewegt sich doch!“, der Galileo zum Helden hochstilisierte, ist so nie gefallen. Er kein Held, sondern Feigling wie es dezidiert im Stück gesagt wird.
Georg Schubert taucht in voraufgezeichneten Videos über vier Monitore in vielen Gestalten auf, vom bayrischen Katholizismus-Enttäuschten über einen Pfarrer bis zu Talkshow-Gästen des Moderators, in dessen Rolle er dann auf der Bühne schlüpft – Starker Toback nennt sich diese Sendung dann. Immer wieder diskutiert, ja streitet der Schauspieler sozusagen mit sich selbst – wenngleich in verschiedenen Rollen, so wird so voll offensichtlich auch ein Ringen mit sich selbst, im eigenen Kopf.
Und mit ganz dezenten, aber doch offensichtlichen wenigen Worten und vor allem gleich von Beginn weg starken – eingeblendeten Bildern stellt das von Gernot Plass geschriebene und inszenierte Stück den Bogen zu jetzt und nicht nur hier, sondern weltweit her. Ein Bild einer Sonnenfinsternis, und zwar einer „coronaren“, also einer solchen, wo der Lichtkranz der Sonne ausfransend wie eine Art Löwenmähne rund um den schwarzen Kreis zu sehen ist, findet sich beim Betreten des Theaterraumes auf allen vier Monitoren – und wird immer wieder mal eingeblendet. Also die Sonne als Zentrum und der anklang an Corona. Wissenschaftliche Erkenntnisse contra Verschwörungstheorien und ähnliche kurze fallen gelassene meist nur in dem einen oder anderen Wort – und wir sind nicht bei Galileo vor 400 Jahren, sondern sowohl in Sachen Klimawandel als auch aktuell immer wieder in der Pandemie heute. Erst kürzlich machte sich ein heimischer Landeshauptmann über Warnungen von Wissenschafter:innen überheblich und abgehoben lustig.
Und zu guter Letzt stellt das Stück in einer heftigen Schluss-Passage gleich noch sich selbst in Frage, rebelliert der Schauspieler gegen den Autor und seine Sprache, würde lieber Science Busters spielen als einen Monolog in Jamben. Wobei dies vielleicht die einzige Szene ist, die man dem Schauspieler nicht abnimmt. Schein gewollt, denn in den anderen Rollen geht er voll auf. Und im Gespräch danach wo er mit unzähligen Details zu Galileos Leben und sein Wirken aufwarten kann.
Solostück mit Video-Zuspielungen; rund 1 ¼ Stunden (ohne Pause)
Text und Regie: Gernot Plass
Es spielt live auf der Bühne und in eingespielten Videos in den Rollen:
Herr G/ der Mensch G. /das Wesen G./ der Katholik G./ der G. aus Bayern/ der Kritiker G./ der Prophet G./ der Faschist G./ der Skeptiker G./ der Diktator G./ Moderator Markus Toback/ Bruder kreutel/ der Verschwörungstheoretiker G./ der Gefangene G./ der Sünder G./ der Spießer G./ Herr G.aladriel/ der kleineMönch/ der Verlierer G.: Georg Schubert
im Video Gott/Satan/Autor: Gernot Plass
Dramaturgie: Georg Schubert, Tina Clausen, Isabelle Uhl
Ausstattung: Alexandra Burgstaller
Sound: Dr. Plass
Regieassistenz: Renate Vavera
Kostüm- und Requisitenbetreuung: Daniela Zivić
Videotechnik: Peter Hirsch
Lichttechnik: Katja Thürriegl
Bühnentechnik: Hans Egger, Andreas Nehr
Maske: Beate Lentsch-Bayerl
Das Bühnenbild basiert auf Entwürfen der Produktion „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ von Marie-Luise Lichtenthal
Bis 22. Dezember 2021
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