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Szenenfoto aus "Echtzeitalter" im Theater im Zentrum (Theater der Jugend)
Szenenfoto aus "Echtzeitalter" im Theater im Zentrum (Theater der Jugend)
25.03.2025

Zwischen virtuellen Spielen und echter elitärer Schulwirklichkeit

„Echtzeitalter“ – spannender, intensiver Bühnenabend auf der Basis des gleichnamigen Erfolgsromans im Theater im Zentrum (kleinere Spielstätte des Theaters der Jugend).

Die einen vermeinen im Bühnenbild Fliesen zu sehen, die anderen – solche, die das Buch schon gelesen haben und jene, die am Computer zocken – erkennen natürlich die Pixel (Ausstattung und Licht: Friedrich Eggert). Immerhin ist die Hauptfigur Till Kokorda (Ludwig Wendelin Weißenberger) ein Gamer, in „Age of Empires II“ sogar ein internationaler Champion. Er, der – zumindest im Roman, auf dem das Stück im kleineren Haus des Theaters der Jugend basiert – eher durch Nicht-Auffallen-Wollen durch die Schulzeit kommen will, wurde von Autor Tonio Schachinger ins Zentrum gerückt.

Szenenfot aus
Szenenfoto aus „Echtzeitalter“ im Theater im Zentrum (Theater der Jugend)

Schikanöser Lehrer

Das Abtauchen ins Computerspiel reicht nicht, der strenge, fast karikaturhaft – im Buch und folgerichtig im Stück – gezeichnete schikanöse Lehrer „Der Dolinar“ (Sebastian Pass) kriegt auch Till noch auf den Kieker. Allein die Vorliebe des Schülers für Informatik statt für klassische Literatur, ist schon Angriffsfläche genug. Wobei Till sich für neuere Autor:innen schon erwärmen kann, für Thomas Bernhard etwa.

Szenenfot aus
Szenenfoto aus „Echtzeitalter“ im Theater im Zentrum (Theater der Jugend)

Gelungene Bernhard-Inszenierung als „Schuhlöffel“

Und weil Schachinger den sehr gelungenen Versuch von Regisseur Gerald Maria Bauer die fast unspielbaren autobiographischen Teile Bernhards über Kindheit und Jugend – „Ein Kind“ und „Der Keller“ – vor zwei Jahren gelungen fand, gewährte er dem Theater der Jugend die Rechte, seinen Roman „Echtzeitalter“ zu dramatisieren. Die 360 dichten von vielen Episoden eines strengen Schul-Regimes ebenso wie den Freiräumen, die sich Jugendliche erkämpfen, samt Anspielungen auf zeitgeschichtliche und aktuell politische Ereignisse (nach Schachingers eigener Schulzeit – Ibiza-Video etwa oder die Anspielung auf Polizeipferde des damaligen Innenministers Herbert Kickl und nicht zuletzt auf Corona) sind in ihrer Essenz UND in vielen Details in den knapp mehr als zwei Stunden auf der Bühne zu erleben.

Szenenfot aus
Szenenfoto aus „Echtzeitalter“ im Theater im Zentrum (Theater der Jugend)

Viele Rollenwechsel

Der „Schlüsselloch“-Roman des Autors über (seine) Schulzeit im Theresianum, nur leicht verändert Marianum genannt, wurde als sein zweites Buch (nach „Nicht wie ihr“ über einen Profi-Kicker namens Ivo) bereits vor zwei Jahren mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Neben den beiden schon genannten Gegenspielern – die einzigen, die „nur“ ihre jeweilige Rolle haben – switchen die fünf Mitspieler:innen in verschiedenste Figuren. So gibt Sophie Aujesky sowohl die Schülerin Fina als auch Tills Mutter sowie die Schuldirektorin, eine Therapeutin und eine Buchhändlerin, bei der sich die Jugendlichen mit Reclam-Ausgaben eindecken wollen, wie sie „Der Dolinar“ möchte. So unterschiedlich die Figuren, so gekonnt stellt sie die Schauspielerin dar.

Curdin Caviezel pendelt zwischen Mitschüler Khakpour, dem Notar in Sachen Erbe nach dem Tod von Tills Vater.

Stefan Rosenthal spielt zwei verschiedene Mitschüler und obendrein bei einer Schulfeier den Opa des einen mit ungarischen Wurzeln. Feli, Tills Freundin, wird ebenso wie seine Tante von Aña-Maria Kunz verkörpert. Schließlich pendelt Clemens Matzka zwischen Tills Vater, der früh stirbt, einem ein wenig karikaturhaften Sektions-Chef bei einem „bemühten“ Kreativbewerb und noch weiteren drei Figuren.

Szenenfot aus
Szenenfoto aus „Echtzeitalter“ im Theater im Zentrum (Theater der Jugend)

Zwei verschiedene Welten

Von Tills Gamer-Karriere wissen nur wenige, die hängt er nicht an die große Glocke. In einem Anfall von bemühter Kontaktaufnahme seiner Mutter zu ihm, versucht er ihr krampfhaft die Faszination dafür zu vermitteln. Fällt unter die Kategorie „bemüht“, die in der Schule kaum besser als ein „Fleck“ ist.

Im Roman formulierte es Schachinger so – noch für Mutter und Vater: „Sie sprechen über Computerspiele, wie jemand, der nicht lesen kann, über Bücher spricht, und ihre Sorgen unterscheiden sich kaum von den Sorgen derjenigen, die zur vorletzten Jahrhundertwende ins Kino gingen und fürchteten, der Zug könnte aus der Leinwand über sie hinwegrollen.“

Szenenfot aus
Szenenfoto aus „Echtzeitalter“ im Theater im Zentrum (Theater der Jugend)

Bücher vs. Computerspiele?

Die Liebe des Lehrers Dolinar zur Literatur, die er über Druck versucht, seinen Schüler:innen zu verklickern, prallt an Till eher ab, auch wenn ihm Freundin Feli sagt: „Bücher sind wichtiger als Spiele, weil Bücher Mitgefühl vermitteln.“

Aber gilt das auch so generell? Gibt es nicht auch Bücher – ebenso wie Filme, Lieder, Bilder und jedwede künstlerische Äußerung, die auch Hass vermitteln?

Szenenfot aus
Szenenfoto aus „Echtzeitalter“ im Theater im Zentrum (Theater der Jugend)

Elitär

Eine Dimension des Romans, die im Stück weniger zur Geltung kommt, ist die immer wieder durchblitzende subtile bzw. fallweise sarkastische Kritik am abgehobenen elitären Dasein und der daraus resultierenden Haltung in dieser privaten eher Upper-Class-Schule, in der unter anderem viele überkommene Umgangsformen überleben.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Echtzeitalter

Von Tonio Schachinger; Bühnenfassung: Gerald Maria Bauer
Ab 13 Jahren; mehr als 2½ Stunden (eine Pause)

Till Kokorda: Ludwig Wendelin Weißenberger
Der Dolinar (Lehrer): Sebastian Pass
Tills Mutter / Direktorin / Therapeutin / Buchhändlerin / Fina: Sophie Aujesky
Tills Vater / Klaus / Ein Sektionschef / Der Feichtler / Clemens Exner-Ewarten: Clemens Matzka
Khakpour / Ein Typ / Ein Notar: Curdin Caviezel
Palffy / Georg / Ein 7C‘ler / Palffys Opa: Stefan Rosenthal
Feli / Tills Tante: Aña-Maria Kunz

Regie: Gerald Maria Bauer
Ausstattung und Licht: Friedrich Eggert
Dramaturgie: Sebastian von Lagiewski
Assistenz und Inspizienz: Eva Maria Gsöllpointner
Hospitanz: Maximilian Hassler

Wann & wo?

Bis 30. März 2025
Theater im Zentrum (kleinere Spielstätte des Theaters der Jugend)
1010, Liliengasse 3
Telefon: 01 52110-0
tdj -> echtzeitalter

Das Buch

Text: Tonio Schachinger
Echtzeitalter
360 Seiten
Rowohlt
gebundenes Buch:24,70 €
Kartoniert: 14,40 €
eBook: 9,99 €

Hörbuch – ungekürzte Ausgabe, 672 Minuten (11¼ Stunden) gelesen von Johannes Nussbaum
Edition argon
Audio CD, 2 MP3: 30 €