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die ersten Meter der Weitwanderung - durch den Türkenschanzpark in Wien-Währing
die ersten Meter der Weitwanderung - durch den Türkenschanzpark in Wien-Währing
04.09.2022

99 Tage mit den Menschenrechten wandern

Samstag (3. September 2022) früh, Wien-Währing, Türkenschanzpark. Während auf den Wegen Jogger:innen ihre Runden ziehen versammeln sich nahe dem Eingang an der Dänenstraße vor mehr als 30 Jahren errichteten „Türkischen Brunnen“ etwa zwei Dutzend Menschen. Sie stehen, sprechen miteinander, einige wenige Kinder sind dabei, spielen, kommen dem orientalisch gestalteten Brunnen und seinen vier Wasserauslässen hin und wieder näher oder suchen an Wiesenrändern kleine Äste oder Bockerln, um sie auf Ziele zu werfen.

Drei Menschen aus dieser Gruppe ziehen sich ein wenig unter eine Baumgruppe zurück, lesen Texte auf Zetteln, setzen sich auf die Stufen des Brunnens, einer schreibt – mit Hand und Stift in ein Heft, die andere filmt oder fotografiert mit ihrem Smartphone.

Aufbruch

Einige der Menschen hier haben dunkle T-Shirts mit einem roten Blitz und weißem Schriftzug. Und der steht für das Wanderprojekt, das hier seinen Ausgang nimmt und am 10. Dezember in Istanbul seinen Abschluss finden wird. 99 Tage, 2500 Kilometer UND vor allem 30 Artikel. Das sind die sozusagen die Zahlen von „Into the Cracks“ (Hinein in die Risse). Eine Wanderung, bei der zwei aus dem Kernteam – Carina Riedl und Dieter Kovačić (neben Stephan Werner, Johanna Preissler und Clara Gruber) dieser künstlerisch-politischen Aktion die ganze Wegstrecke zu Fuß zurücklegen werden. Um täglich auf Wegstrecken Begleiter:innen zu haben oder neu zu finden.

Genaues Hinschauen

Das Gehen ist das eine, das Zusammentreffen mit Menschen das Wichtigere. Gemeinsam wollen sie jeweils einen der (30) Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (von der UNO-Generalversammlung am 10. Dezember 1948 beschlossen) lesen. Aber nicht als deklamatorische Performance, wie Carina Riedl im Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … erläutert. „Nein, es geht darum, eher still und aufmerksam zu lesen, um den jeweiligen Inhalt zu verinnerlichen, sich mit all seinen Bedeutungen auseinanderzusetzen, in die Risse, Ritzen, Fugen einzudringen, sich hineinzufühlen, auch dorthin schauen, wo es weh tut – anderen und eine/n selbst.“

Hinter dem linken Ohr trägt Riedl ein tätowiertes R. Es ist einer der 6.773 Buchstaben der – englischsprachigen – Menschenrechtserklärung und Teil der Aktion „Human Rights Tattoo“. Diese Initiative ist eine Partner:innen-Organisation von „Into the Cracks“ – und existiert schon um einiges länger. Seit zehn Jahren tätowiert diese aus den Niederlanden stammende Initiative in Großbuchstaben die „Human Rigths“. Ob eines Tages alle Menschen mit ihrem kleinen Teil zum großen Puzzle der gesamten Erklärung zusammenkommen? Carolina Riedls R ist übrigens aus dem Artikel 24 („Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.“) und zwar der Anfangsbuchstabe des Wortes Right (Recht).

Neu-Start

Schon vor mehr als zwei Jahren habe sie ein solches Wanderprojekt begonnen. Idee dahinter: Die sogenannte Balkanroute in die umgekehrte Richtung zu gehen, sich auseinanderzusetzen mit dem was „Festung Europa“, die Abschottung, das Rausdrängen, Push Backs usw. „für uns hier bedeuten, was sie mit uns machen, was alles sag- und machbar geworden ist, was wir zulassen und wogegen wir nicht aufstehen, obwohl tagtäglich grundlegende Menschenrechte verletzt werden“, so erläutert die jahrzehntelange Theaterkünstlerin (u.a. Burg- und Volkstheater in Wien) dem Journalisten am Tag vor dem Abmarsch die Hintergründe.

Damals musste die grenzüberschreitende Wanderung aufgrund von Corona in Serbien abgebrochen werden. Die Aktivist:innen wanderten den „Rest“ in Tagesetappen auf der Donauinsel.

Internationale Route

Aber nun war’s/ist’s so weit: Der Weitwanderweg im Namen der Menschenrechte kann – hoffentlich – durch Österreich, Slowenien, Ungarn, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kosovo, Nordmazedonien, Bulgarien und Griechenland bis in die Türkei führen.

Vor mehr als 700 Jahren!

Und passend zum Zielort fand der Start – wie schon oben erwähnt beim „Türkischen Brunnen“ im Türkenschanzpark statt. Dieser Brunnen ist dem Dichter Yunus Emre gewidmet, der ungefähr zwischen 1241 und 1321 lebte, und von dem wenig über sein Leben, aber etliche seiner Gedichte bekannt sind. Vor mehr als 700 Jahre schrieb er (übersetzte) Zeilen wie
„Rachsucht und Hass haben für mich niemals existiert.
Unser wahrer Feind ist der Hass und die Rachsucht.
Ich hasse niemanden Für mich sind alle Menschen gleich.“

Oder
„Du, der du sagst: „Die Welt ist mein“ –
Die Welt ist nicht dein – he!
Sag‘ nicht „Ist mein!“ – dann lügst du ja,
Die Welt ist nicht dein – he!“

Was hätte besser gepasst als solche Verse, um vor dem Aufbruch zur Weitwanderung in der großen Runde die Präambel zur Menschenrechtserklärung reihum zu lesen, in der es u.a. heißt: „Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet …“

Information und Kommunikation

Die Homepage des Projekts „Into the Cracks“ mit einem roten Zick-Zack-Riss – es ist weder ein Blitz noch die harry-Potter-Narbe 😉 – bietet die Möglichkeit, die Fuß-Reise zu verfolgen, aber sich auch da und dort einzuklinken. So hat ein Gemeinderat aus Traiskirchen die Übernachtungsmöglichkeit nach der ersten Etappe Samstagabend in Möllersdorf angeboten. Dort finden sich aber u.a. auch (offene) Briefe, die Carina Riedl an Lebende (Carolin Emcke, Peter Handke) aber auch Tote (den Philosophen Walter Benjamin) schrieb und weiter schreibt. „Wirklich, echte Briefe mit der Hand geschrieben“, versichert die Künstlerin.

Gleichzeitig wird die Wanderung und Aktion vor allem auch auf Social Media der Weltöffentlichkeit mitgeteilt. Riedl hat auf ihrem Rucksack eine Action-Kamera montiert, alle paar Sekunden nimmt diese ein Bild auf – hinter der Wandergruppe. Am Anfang geht der Musiker und Filmemacher Dieter Kovačić, mit um die Brust geschnallter Action-Cam, die das Geschehen vor den Menschenrechts-Wanderer:innen aufnimmt.

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