Auszüge aus dem drittplatzierten Text des Jugendliteraturbewerbs texte.wien von Bruna Karolyi aus dem Gymnasium Neusiedl am See (Burgenland); plus Jurybegründung.
„Schließlich tat ich das, was ich immer getan hatte, ich floh in mein Kinderzimmer. Wie erstarrt in der Zeit, so unberührt, dass es mir Angst machte. Mit einem seltsam fremden Gefühl ging ich im Raum auf und ab. Ich riss das Fenster auf, um den abgestandenen Geruch loszuwerden. Auf dem Bett unter der Dachschräge saß Rudi, mein Kuschelbär, mit dem von Oma bestickten Blümchenpullover. An den Wänden, glänzend poliert, hingen Medaillen, Pokale und Bilder von einem strahlenden Mädchen mit Dutt und Tutu neben einer noch strahlenderen Mutter. Die Spitzenschuhe, am Haken daneben, ließ ich unberührt in ihrem grazilen Stolz.
Dann begann ich nacheinander die Schubladen meines Schranks zu öffnen. Betrachtete alles mit Sorgfalt, als wäre es fremdes Eigentum. Vorsichtig strich ich über die aus Holz geschnitzten Tiere, mit denen ich mich stundenlang beschäftigt hatte. Die verblasste Spieldose, mit der sich drehenden Tänzerin, hielt ich besonders lange und summte die Melodie. Gemeinsam mit meiner Herzchen-Kette, die ich von meiner besten Freundin bekommen hatte, bildeten Rudi, die Holztiere und die Spieldose einen kleinen Haufen am Parkettboden vor mir. Die anderen Spielsachen schlichtete ich mit gründlicher Genauigkeit an ihren Platz zurück. In der untersten Lade meiner hellrosa Kommode fand ich meine alte Barbiepuppe Annelies. Ihre blonden Haare waren in einen großen Knoten zusammengefilzt, ihre Plastikhaut hatte längst den frischen Glanz verloren und ihr fehlte der rechte Stöckelschuh. Ich hielt sie und weinte. Endlich weinte ich. Die tiefgekühlten Gefühle schmolzen und tropften auf meine Hose. Ich weinte um das kleine Mädchen, ein Werkzeug der verpassten Träume ihrer Mutter und die Schuld, immer wieder daran zu scheitern, diese einzuholen…“
„Ein Haufen Kindheit entfaltet seine Dramatik in ruhigen, präzisen Bildern, die jedoch emotional mit großer Wucht voranschreiten. Durch die Gegenüberstellung des erstarrten Elternhauses und der sich immer schneller verdichtenden inneren Aufarbeitung erzeugt der Text ein stilles, aber stetig zunehmendes Tempo der Erkenntnis.
Die Autorin zeigt, wie kraftvoll langsames Erzählen sein kann: Die Rückkehr in das Kinderzimmer, das Öffnen der Schubladen und das Wiederentdecken der Objekte der Kindheit werden zu einer sukzessiven Beschleunigung des inneren Wandels. Der Moment des Weinenkönnens markiert einen emotionalen Durchbruc, der den Text – ohne äußere Hast – in ein starkes finales Tempo führt. Das scheint vor allem dem Publikum besonders gefallen zu haben. Denn ausschlaggebend für den dritten Platz war hier das Public Voting.“
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