Als Adresse ist sie bekannt, durchzieht doch die Ada-Christen-Gasse als eine zentrale Straße die vor mehr als einem halben Jahrhundert in Wien-Favoriten errichtete große Wohnhaus-Anlage Per-Albin-Hansson-Siedlung samt Haus der Begegnung, Einkaufszentrum usw. Damals sogar noch eher eine Seltenheit, dass eine Verkehrsfläche nach einer Frau benannt wurde. Doch selbst der Bezirksvorsteher Favoritens, der zur Premiere des Stücks mit Live-Musik und atmosphärischen Visuals im Hintergrund ins „Gleis 21“ im Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof kam, gestand, er habe lange nicht gewusst, dass Ada Christen der Künstlerinnen-Name der Schriftstellerin Christi(a)na von Breden (geborene Fr(i)ederik – 1839 – 1901) war.
„Ada Christen – die Stimme der Verlorenen“ nennt „Ensemble 21“ das (mit Pause) rund zweistündige Stück. Trotz der schon eingangs erwähnten Namens-Nennung sind die Werke der Schriftstellerin heute kaum bekannt. Und so entreißt die Performance die Autorin der Vergessenheit. Und mit den Texten aus einigen ihrer Erzählungen bringt sie auch das Leben vor allem der Masse der ärmeren Bevölkerung ihrer Zeit – zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts – (wieder) sehr anschaulich nahe. Die Künstlerin selbst hatte ein bewegtes Leben mit sozialen und finanziellen Auf und Abs, kannte also beide Situationen sowohl Wohlstand als auch Armut aus eigenem Erleben.
Zum runden 150-Jahr-Jubiläum des Bezirks Favoriten (2.-größter Wiener Bezirk und mit 220.000 Einwohner:innen mehr als Linz) stieß die Schauspielerin Rita Luksch bei ihrer Suche nach einem Stoff für ein neues Stück mit Lokalkolorit auf diese Frau. Schon als Kind musste sie zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Ihr Vater kam wegen Beteiligung an der 1848-Revolution ins Gefängnis und starb früh an den Folgen der Haftbedingungen. Handschuh-Näherin, Blumenverkäuferin… Schließlich kam sie in Kontakt mit einer Wandertheater-Gruppe und tingelte durch Teile der Monarchie. Einige Jahre (1855 – 1858) spielte sie im Meidlinger Theater. Bei einer der Theater-Tourneen lernt sie einen ungarischen adeligen Großgrundbesitzer kennen, die beiden heirateten, doch er starb früh – ebenso wie ihr Kind – und so verarmte sie wieder. Es folgte später ein weiteres Auf und wieder Ab.
Die Lebensgeschichte Ada Christens fasste die Schauspielerin in einer ersten Passage – fast ein bisschen zu schnell wie im Zeitraffer zusammen. (Zeitweise) berühmt wurde sie mit ihren Gedichten „Lieder einer Verlorenen“, unschwer zu erkennen auch Inspiration für den Titel des Abends. „Nicht alle haben meine Gedichte richtig verstanden – oder ja, vielleicht haben sie sie richtig verstanden aber wollen es sich nicht eingestehen. Eine Frau, die über die Liebe schreibt, sogar über die Leidenschaft, Lust zu erfahren, das ist offensichtlich für einigen Moralapostel zu viel. Es wäre wohl klüger gewesen, bei der Veröffentlichung meines ersten Gedichtbandes … meine Vergangenheit als Animierdame in einem Nachtlokal nicht zu erwähnen. Diese Erfahrung, für mich übrigens nicht die angenehmste Erinnerung, hat die Leute am meisten interessiert. Sie sehen nur das frivole Abenteuer. Ich war ein gefundenes Fressen für die Sensationspresse. Womöglich hat sich mein Band gerade deshalb so gut verkauft. Vielleicht sind sie weniger an guter Literatur interessiert als am Verruchten. Das, was sie sich selbst nicht eingestehen… Ich will aber etwas ganz anderes erzählen. Ich wollte Frauen Mut machen zu ihrer Lust und Leidenschaft zu stehen. Auch solidarisch sein mit den jungen Mädchen, die sich aus Geldnot und Hunger verkaufen, sei es an einen Liebhaber, im Animierlokal oder auf der Straße…“
Nach der – von Rita Luksch verfassten – Einleitung, lässt die Schauspielerin erfundene Figuren der Schriftstellerin aus einigen ihrer Erzählungen lebendig werden. Etwa die einer kindlichen Ich-Erzählerin, die immer und immer wieder am Verkaufsstand eines Buben vorbeikommt, der wächserne Kanarienvögel feilbietet. Deren Traum einen solchen haben zu wollen, das Näherkommen der beiden Kinder und die Erfahrung, dass er Prügel daheim bezieht, wenn er nicht alles verkauft – ist einer der Einblicke in Lebensrealitäten von Kindern im Wien von vor rund 150 Jahren.
In einer anderen Erzählung dreht sich vieles um „die Christel“, vielleicht ein alter Ego der Schriftstellerin selbst? Tag für Tag wandert sie auf den Zimmererplatz, um dort Holzspäne einzusammeln, damit im Winter geheizt werden kann. Immer und immer wieder muss sie sich zu Hause anhören: „Ist zu sonst nix guat, des Ding, die Christel,“ sagt der alte Herr Fuchs, in dessen schmaler Kammer meine Mutter, ich, meine Schwester Maria und mein kleiner Bruder wohnen.“
Sie habe „aus den Erzählungen vier herausgesucht, die besonders deutlich das Leben, nicht zuletzt jenes von Kindern, so schildern, dass wir uns das heute vorstellen können“, verrät Rita Luksch Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… nach der vielbeklatschten Premiere im Veranstaltungssaal von „Gleis 21“, einem Kultur- und Wohnprojekt im Sonnwendviertel. „Ich habe mich weitgehend an die Originaltexte gehalten, sie nur ein bisschen gekürzt und manche alte sprachliche Ausdrücke, die heute niemand mehr kennt, weggelassen.“
Wie schon in vorangegangenen Produktionen von „Ensemble 21“ verkörpert die Schauspielerin die jeweiligen Figuren so hautnah, dass ihr sogar Tränen die Wangen runterlaufen, wenn die Person in der Geschichte weint. Und ebenso wird sie auf der Bühne vom Live-Musiker Georg O. Luksch (mit dem sie auch verheiratet ist) begleitet. Er bedient wieder ein kleines Cockpit an elektronischen Instrumenten, neuerdings auch ein „Soma-Terra“, erneut eine Erfindung von Vlad Kreimer wie schon die „White Pipe2, mit der der Musiker in früheren Produktionen spielte. Stets auf der Suche nach neuen ausgefallenen Instrumenten habe er immerhin das Exemplar mit der Seriennummer 6 dieses polyphonen und mikrotonale Synthesizers mit einer Vielzahl an Berührungs- und Bewegungssensoren – eingebaut in einer Art Holzbrett. Was wirkte, als würde Georg O. Luksch in manchen passenden Passagen der Erzählung singen, war „nichts anderes“ als mit dem Soma-Terra erzeugte Klänge und Töne zu denen er seinen Mund entsprechend bewegt habe, gesteht er nach der Premiere dem neugierigen Journalisten.
Ergibt schon die Kombination aus gesprochener und gespielter Erzählung mit der atmosphärisch passenden Musik eine beeindruckende Vorstellung, so runden – wie auch schon in früheren „Ensemble 21“-Stücken – die Visuals von Experimentalfilmer Erich Heyduck die Performance ab (wenngleich bei der Premiere sowohl vor als auch nach der Pause der gleiche Film ablief). Seine Bildimpressionen aus digital bearbeiteten Fotos gepaart mit Grafiken ergänzen das Gehörte um eine hintergründige Bilde-Ebene mit eigener ergänzender „Sprache“.
musikalischer-kleiner-prinz-voller-poesie <- damals noch im Kinder-KURIER
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