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Szenenfoto aus "Mitten im Gesicht"

Gesang und Schauspiel rund ums Thema Beauty

Wer regelmäßig Vorstellungen im Theater im Zentrum, dem kleineren Haus des Theaters der Jugend in Wien besucht, hat beim Betreten des Saals, in dem das jüngste Stück „Mitten im Gesicht“ läuft, vielleicht zunächst ein Déjà-Vu: „Häh, ist das nicht fast das gleiche Bühnenbild wie beim vorigen Stück „Echtzeitalter“? Pixel, dieses Mal nur „aufgeblasen, größer?“

Tatsächlich sind die quadratischen Kästchen, das Innere digitaler Bilder, unabhängig voneinander zum Hintergrund der ganz unterschiedlichen Stücke geworden. Gemeinsam ist beiden, es geht um Zentrales im Leben Jugendlicher. Und bei deren Leben verschwimmen nicht selten auch reale und digitale Welt zu ihrer echten Wirklichkeit.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Mitten im Gesicht“

Wieder Flexible Pixel-Wände

Basierte „Echtzeitalter“ auf dem gleichnamigen Erfolgsroman Tonio Schachingers über (s)ein Leben in einem Wiener privaten Elite-Gymnasium rund um eine Hauptfigur, der einen Gutteil seines Selbstbewusstseins aus seinen Erfolgen in Bewerben eines Computerspiels bezog, so geht’s bei „Mitten im Gesicht“ eben um eine Nase mit wechselnden Homepage-Url als Art Kapitelüberschriften (Ausstattung: Ulrike Reinhard). Wie die Echtzeitalter-Pixelwände, so sind auch diese hier sehr flexibel. Übrigens – da hat niemand voneinander abgeschaut, die Konzepte für die jeweiligen Bühnenbilder entstanden unabhängig voneinander – einfach Zufall.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Mitten im Gesicht“

(Cyber-)Mobbing

Und was für eine. Ihre Trägerin, die 15-jährige Sophie Neumann vermeint, dass sie die größte der Welt ist. Und das ist kein feiner Rekord. Sie findet sich selbst damit unmöglich hässlich – da hilft kein Trost der Oma, die einen ähnlichen „Zinken“ ihr eigen nennt. Denn Mitschüler:innen verspotten sie, „Nasenbär“ ist noch eines der harmloseren Schimpfwörter, mit denen sie ständig konfrontiert ist.

Kränkungen und Selbstmitleid lassen sie gar nicht mitkriegen, dass einem Mitschüler, Paul, in der kleinen Arbeitsgruppe zum Thema Klima, in das sie aufgrund ihres Wissens viel einbringen kann, einiges an ihr liegt. Sie aber will eher dem aufgeblasenen Schönling Leo gefallen. Was ihre Gesichtsmittelgebirge eben verhindert.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Mitten im Gesicht“

Operation muss her

Einzig denkbarer Ausweg für Sophie: Eine OP muss her, Nasenverkleinerung. Ihre Freundin Luisa will Gegenteiliges bei ihren Brüsten, „Bienenstich statt Busen“, nennt sie es. Außerdem hat sie das Problem, dass sie auf diesen Paul steht, der wiederum sie nur als Kumpel mag.

In diesem personellen Setting lassen Peter Lund (Text), der schon etliche meist musikalischen Stücke (nicht nur) fürs Theater der Jugend verfasste und Gerald Schuller (Musik) ein 2¼-stündiges Ab und Auf rund um die Hauptfigur und vor allem das Thema Beauty, aber genauso auch Freund- und Kameradschaft und noch Cybermobbing samt Missachtung von Recht aufs eigene Foto ablaufen. Und so „nebenbei“ wird auch so manches rund um das Thema der Arbeitsgemeinschaft, nämlich Klima, angesprochen. Trotz schwungvoller Songs zieht sich – zumindest der erste Teil vor der Pause ein wenig.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Mitten im Gesicht“

Schöner, aber…

Und plötzlich sagt der – nie in Erscheinung tretende – Vater, der strikt gegen einen chirurgischen Eingriff ist, ja zur Operation. Die Nase ist klein, Sophie wunderschön, Leo wird ihr Freund und sie – urgrauslich, eingebildet, überheblich…

Wie die Nase kleiner auf einer Bühne kleiner wird? Es bleibt dem wandlungsfähigen Schauspiel von Lucia Miorin überlassen – und einem Trick, der hier sicher nicht verraten wird. Neben ihr spielen Shirina Granmayeh die kumpelhafte, ein bisschen eifersüchtige Freundin Luisa. Fabian Grimmeisen ist „für einen CIS-Mann ein verständnisvoller, aufgeschlossener Junge“, Jakob Pinter ein „schöner“ Widerling Leon und Altmeisterin Susanne Altschul eine weise Großmutter Constanze Neumann. Insgesamt sind die Charaktere doch vielleicht zu schwarz-weiß klischiert.

„Schönheit beginnt in dem Moment, in dem du beschließt, du selbst zu sein“, zitiert das Theater der Jugend die französische Modedesigner-Ikone (1883 – 1971) auf seiner Homepage der Stückinfo vorangestellt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Mitten im Gesicht“

Ein Viertel denkt an Operationen

Wie groß das Thema für viele Jugendliche tatsächlich ist, zeigte eine für die Plattform  Safer Internet Ende 2023 durchgeführte Studie: „Mehr als die Hälfte der befragten 400 Jugendlichen würde gerne etwas am eigenen Aussehen ändern, mehr als 100 der 11- bis 17-Jährigen in dieser Studie (Dezember 2023) hat sogar schon einmal über eine Schönheitsoperation nachgedacht. Großen Einfluss auf das eigene Selbstbild, das sie zu Veränderungswünschen veranlasst, haben vor allem Influencer:innen und generell Social-Media-Plattformen im Internet“, berichtete Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… anlässlich des Safer Internet Tages im Vorjahr – der ganze Beitrag ist unten verlinkt.

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Wwdt – Was würdest du tun?

Mehrmals sprechen die jungen Protagonist:innen in ihrem Spiel untereinander mit dem Kürzel Wwdt – was würdest du (an meiner Stelle) tun an. Gegen Ende geht diese Botschaft auch ans Publikum. Über einen QR-Code im Foyer des Theaters ist die Teilnahme an einer Meinungsumfrage möglich, ob die Zuschauerin / der Zuschauer an Stelle von Sophie „die Nase machen lassen würde“.

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Zu einem Interview mit dem Autor und Regisseur des Musicals geht es hier unten

Autor und Regisseur Peter Lund im leeren Publikumsraum vor der Bühne von "Mitten im Gesicht"

„Musste in jugendliche Seelen reinkrabbeln und hab viel auch vom jungen Ensemble gelernt“

KiJuKU: Gab es eine reale Ausgangsgeschichte – aus deinem Umfeld oder dem Netz für diese Story?
Peter Lund: Nein, Aufgabe vom Theater der Jugend an mich war, nach „Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer“ (nach dem Roman von Mario Fesler) wieder etwas für diese Altersgruppe (ab 11 Jahren) zu schreiben. Mich ärgert das schon seit 15 Jahren, dass das wieder so auseinandergeht mit Barbie für die Mädchen und Krafttraining für die Jungs. In meiner Jugend und auch bei Frau Nöstlinger, da war alles nicht so geschlechtermäßig getrennt. Auf das Thema Schönheits-Operationen bin ich gekommen, weil ich das von vielen gehört habe; vielleicht nicht unbedingt mit 15, aber mit 18 geht das richtig los mit sich beschnippeln lassen. Eltern schenken das zum Geburtstag… Und die Jungs rennen ab 15 ins Gym und pumpen. Was da abgeht hat mich sehr interessiert und dann hab ich da sehr lange recherchiert. Als älterer Mensch versteht man das zunächst nicht, und da musste ich erst mal reinkrabbeln in jugendliche Seelen. Da hab ich viel gelernt – auch während der Produktion, das Ensemble ist ja auch recht jung, die haben mir digital auch etliches gezeigt.

KiJuKU: Bist du dann eingetaucht in die TikTok-Welt?
Peter Lund: Ja, so viel ich musste, um’s zu verstehen.

Autor und Regisseur Peter Lund im leeren Publikumsraum vor der Bühne von
Autor und Regisseur Peter Lund im leeren Publikumsraum vor der Bühne von „Mitten im Gesicht“

KiJuKU: Und dann war der Plot gleich klar?
Peter Lund: Das war dann eine Art journalistischer Arbeit. Zuerst einmal war die Frage, ob Nase oder Brust. Nur da wäre wohl schnell klar, „du bist bescheuert“, bei der Nase ist zumindest halbe / halbe. Dann kam schnell die Idee mit der Oma. Ich wollte auf jeden Fall die alte Generation drinnen habe. Dann bau ich das so, wen braucht man dafür – den schönsten Jungen, einen besten Kumpel, der nicht ganz so schön ist. Und ich brauchte auch ein Mädchen, das mit ihren Brüsten unzufrieden ist, weil das ja eines der Hauptthemen ist, oder Hintern oder was weiß ich. So kam die Personage zusammen und davon ausgehend entwickle ich dann den Plot. Das ist dann so ein bisschen Heimarbeit.

KiJuKU: Wie kam’s zum Trick, der hier natürlich nicht gespoilert wird, dazwischen mit der veränderten Nase?
Peter Lund: Nun ja, das war recht rasch klar, dass es dazwischen eine längere Passage braucht, wo sie nicht die dicke Nase hat und wie sie sich dadurch verändert.

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Zu einer Besprechung des Musicals geht es hier unten

Schauspielerin Stefanie Reinsperger (re.) und Journalistin Alexandra Stanić (li.)).

„Zu viel, zu laut, zu Frau“

Sich von mehr Gewicht nicht aufhalten lassen, postuliert die bekannte und vielseitige Theater- und Filmschauspielerin Stefanie Reinsperger in einer TV-Doku, die zum internationalen Frauentag (8. März) auf 3Sat (Gemeinschafts-TV-Programm der drei öffentlich rechtlichen Sender ORF, ZDF /Deutschland und SRG SSR / Schweiz) erstmals ausgestrahlt wird. Online ist „Zu viel, zu laut, zu Frau – Ein Film über Frauen, die manchen zu viel sind“ bereits ab Mitte Februar – ein Jahr lang – abrufbar (Details in der Info-Box am Ende des Beitrages.

Äußerlichkeiten

Egal wie überzeugend Reinsperger, die nun fix im Ensemble des Burgtheaters in Wien engagiert ist, spielt, immer wieder wird sie auf ihr Gewicht, ihren Körper angesprochen – und das ist noch harmlos formuliert. Als sie 2017 und im Jahr danach bei den Salzburger Festspielen im Jedermann die Buhlschaft spielte, wurde sie von Shitstorms überhäuft – immer den Körper betreffend. Noch verletzender fand und findet sie, wenn diese Körper-Kommentar von Frauen kommen. Ähnliche Körper bei Männern hingegen würden niedlich empfunden, ein „Bärli“.

Reinsperger geht – auch – in diesem Beitrag darauf ein, dass ihr hin und wieder vorgehalten wird, dass Übergewicht ungesund sei. Das gelte auch für Rauchen und Alkohol trinken, aber werde allen die rauchen oder trinken das immer vorgehalten?

Schauspielerin Stefanie Reinsperger im Wiener Burgtheater
Schauspielerin Stefanie Reinsperger im Wiener Burgtheater

„Ganz schön wütend“

Als Catharina Kleber die Idee über „zu viel“ zu wälzen, stieß sie auch auf das Buch „Ganz schön wütend“ von Reinsperger, in dem sie (2022 erschienen) vieles davon thematisierte. „Ich hab die Steffi schon einmal vor ungefähr zehn Jahren interviewt, angerufen und gefragt, ob mit dem Buch für sie nun das Thema abgeschlossen sei und als sie gemeint hat, das beschäftige sie weiter und sie werde sich damit immer wieder zu Wort melden, hab ich beschlossen, ich überlasse ihr die Stimme in dieser Doku“, erzählt die Filmemacherin Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… wenige Tage bevor der rund halbstündige Film on Air ging.

Schauspielerin Stefanie Reinsperger (li.) und Gexi Tostmann (re.), Trachtenmode-Unternehmerin.
Schauspielerin Stefanie Reinsperger (li.) und Gexi Tostmann (re.), Trachtenmode-Unternehmerin.

Autorin, Fotografin, Modell, Unternehmerin

Und so spricht Stefanie Reinsperger nicht nur über sich und ihre Erfahrungen, sondern interviewt, Kamera begleitet, weitere Frauen, die über „zu“ laut, frech, kritisch, wütend und was auch noch immer im lockeren Gespräch erzählen. Dazu zählen die Journalistin und Fotografin Alex Stanić, die Autorin Mareike Fallwickl, Sängerin, Schauspielerin, Modell und Content Creatorin Phenix sowie die Unternehmerin Gexi Tostmann. Letztere ist für ihre Dirndl und Trachtenmodengeschäfte in Wien und Salzburg seit Jahrzehnten bekannt und mit mehr als 80 Jahren nach wie vor hellwach und neugierig.

Nur weiß

Es sollten – so die Auswahl der Dokumentarfilmerin – „möglichst unterschiedlichen Frauen sein, um zu zeigen, dass es viele bis alle trifft, kein Nischenthema ist.“ Die Protagonistinnen kommen aus verschiedenen Berufswelten – wenngleich schwerpunktmäßig aus künstlerischen Bereichen -, mit unterschiedlichen Backgrounds, sind von ziemlich jung bis doch älter. „Woran wir gescheitert sind – alle sind weiß“, gesteht Catharina Kleber, von der die Idee ebenso wie das Drehbuch stammt, die Regie geführt und den Beitrag geschnitten hat.

Frauen von der Straße

Außerdem kommen immer wieder auch Frauen von der Straße in Kurz-Interviews zu Wort. Dies war für die Filmemacherin – von KiJuKU befragt, „was mich am meisten überrascht aber auch erschreckt hat. Obwohl sie dieses Format, „einem Menschen ein Mikro vors Gesicht zu halten gar nicht so mag, haben wir das gemacht, um neben den Prominenten auch andere Frauen zu Wort kommen zu lassen. Und es ist jeder Frau etwas eingefallen. Und das sogar schnell. Jede hatte was zu sagen, dass sie in diesem oder jenem als zu… abgetan wird.“

Brennender Stöckelschuh
Brennender Stöckelschuh

Als Filmemacherin sei sie natürlich froh gewesen, „aber sehr unglücklich über die Tatsache, dass ausnahmslos jede Frau sofort Beispiele verschiedenster Abwertungen parat hatte.“

In jeder der einzelnen Passagen beschreiben – sowohl die groß Interviewten Protagonistinnen als auch die auf der Straße Interviewten – meist helle Bälle (aus einem Bällebad) mit etwas, das ihnen oft vorgehalten wird, was sie „zuviel“ seien, wo andere, meist aber nicht nur, Männer ihnen ihre Normen (Schönheits-)Ideale und (Geschlechter-)Rollen überstülpen wollen.

Was zu von sich werfen

Wie sie darauf gekommen sei, wollte KiJuKU wissen. „Ich hatte relativ früh die Idee, etwas zu suchen, das am Ende von sich, also weggeworfen werden kann. Und so kam ich auf die Bälle und deren Beschriftung.“ Was am Ende ein eindrucksvolles Bild ergibt, das hier aber nicht verraten wird.

Zerstörungsvideos

Aber auch zwischen den einzelnen Passagen der größeren Interviews und Porträts sind Anti-Frust-Sequenzen zu sehen: Zerstörungsvideos, die zu den jeweiligen Protagonistinnen passen. Der brennende Stöckelschuh kann gespoilert werden – den gibt’s ja auch als Foto aus der Doku. Andere – lassen Sie sich / lass dich überraschen.

„Das habe ich selber im Keller der Produktionsfirma machen dürfen – mit Baseballschläger, Rohr und Böller durfte ich meinen Teil des Frusts über diese einschränkenden Abwertungen von Frauen ausleben“, lächelt Kleber zufrieden während des Interviews.

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Schauspielerin Stefanie Reinsperger in einem Wiener Kaffeehaus
Schauspielerin Stefanie Reinsperger in einem Wiener Kaffeehaus