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Szenenfoto aus "Wurst, Obst, Stirbst"

Heftiges Lachen über schiache Zustände und innere Seiten

„Wurst, Obst, Stirbst“ – schon der Titel der Fortsetzung von „Ein bescheidener Vorschlag“ mit dem das Herminentheater den Nestroypreis für die beste Off-Theater-Produktion 2022 gewonnen hatte, greift in die Kiste des schrägen Humors. Sagen Sie sich einmal den neuen Stücktitel (halblaut) vor 😉

Vieles, auch sich selbst und das Publikum auf der Schaufel

Der Mut zur Hässlichkeit mit der die Figuren geschminkt und kostümiert (Eva-Maria Mayer) sind, der bei einem Erstbesuch vielleicht noch anfänglich Bedenken im Kopf entstehen lässt – „wäre das Body-Shaming über solche Charaktere zu lachen?“ – verfliegt bald. Die Typ:innen nehmen sich selbst und (hin und wieder) das Publikum auf die Schaufel. Und „entblößen“ vielleicht in ihrem bitterbösen-satirischen Schauspiel die eine oder andere dunkle Seite auch von Zuschauer:innen. Etwa wenn’s um die Verfrachtung der alten Frau Scherer (wunderbar schräg Ambra Berger) ins Pflegeheim geht und diese im Glauben lassen, es wäre nur ein kurzer Urlaub.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wurst, Obst, Stirbst“

Foto für die Medien

Eingebaut in komisch-schreckliche Szenen im Altersheim, sind „natürlich“ wieder solche der Polit-Satire: Der Bürgermeister (bitterbös Ida Golda, die auch Scherers Tochter spielt) ist Spritzwein-Fan und die Landeshauptfrau (Peter Bocek, auch Scherers Sohn und Arzt im Pflegeheim) ist keine Freundin von Gendern, weswegen sie lieber ein -mann am Ende ihres Titels trägt. Ach, natürlich brauchen sie ein nettes Foto mit Insaßinnen des Altersheimes für die Medien. Da ist es allen Beteiligten egal, dass die eine nur eine Aufblaspuppe, die von Pflegerin Lacrimosa mit östlichem Akzent (Anja Štruc) gehalten wird und die andere schon tot ist – „wurscht, ob’st stirbst“ sozusagen. Beim Gruppenfoto darf der schmierige Heim-Leiter (Kristóf Szimán) nicht fehlen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Wurst, Obst, Stirbst“

Krieg & Krieg

Traten die Bouffons im Vorgänger-Stück immer wieder aus ihren genannten Rollen raus und verwandelten sich in Schauspieler:innen kürzest parodierter Shakespeare-Szenen, so nehmen sie sich dieses Mal russische Klassiker vor – „ja darf man das jetzt überhaupt?!“ Und so steht unter anderem „Krieg und Krieg“ von Leo Toystory (ausgehend von Lew Tolstois berühmten Roman „Krieg und Frieden“) auf dem Spielplan des Quintetts.

Mitunter gelingt der Versuch einen fulminanten Erfolg zu wiederholen nicht genau so gut wie beim ersten Mal – das muss, jedenfalls nach dem Besuch der zweiten Vorstellung drei Tage nach der Premiere – hier festgestellt werden. Menschen, die das Vorgängerstück nicht gesehen haben, waren dennoch ebenso sehr überzeugt wie eine offenbar eingefleischte Fangemeinde.

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Noch bis Ende Mai (29.) ist das Stück vorläufig im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße, Wien-Mariahilf) zu erleben – Detailas siehe Info-Box am Ende des Beitrages.

Szenenfoto aus
Szenenfotos aus „Wurst, Obst, Stirbst“…
Szenenfoto aus "Dantons Tod" im Wiener Burgtheater: Felix Rech (Camille Desmoulins), Johannes Zirner (Lacroix), Maximilian Pulst (Philippeau), Andrea Wenzl (Marion), Nicholas Ofczarek (Danton)

Volk und Frauen sind für die Revolutionäre zweitrangig

Die Revolution – ein Trauerspiel in vorgeblich lustiger Maske. (Traurige) Clowns spielen seit Kurzem im Wiener Burgtheater Georg Büchners „Dantons Tod“ – angereichert um Heiner-Müller-Zitate (Regie Johan Simons). Das Drama des Schriftstellers und Mediziners (1813 bis 1837), der selber wegen revolutionärer Flugblätter aus Deutschland ins französische Straßburg flüchten musste, konzentriert sich auf eine kurze Phase (24. März bis 5. April 1794).

Szenenfoto aus
Michael Maertens (Robespierre) und Nicholas Ofczarek (Danton)

Danton (Nicholas Ofczarek), der an der zum Terror ausgearteten Revolution mit massenhaftem Köpfe-Rollen zweifelt und dies kritisiert, steht auf der Abschussliste seines Gegners Robespierre (Michael Maertens), des „Blut-Messias“. Der sich als der wahre Revolutionär und seinen vormals Verbündeten nun als „Verräter“ sieht. Wobei auch der – das ist nicht mehr Teil von Büchners Drama – dreieinhalb Monate später selbst guillotiniert wird. Eine Ahnung davon spricht Danton jedoch schon an. Der berühmte Sager von „Die Revolution frisst ihre Kinder“.

Szenenfoto aus
Maximilian Pulst (Philippeau), Felix Rech (Camille Demsoulins), Johannes Zirner (Lacroix), Nicholas Ofczarek (Georg Danton)

Köpfe statt Brot

Apropos „Fressen“- das Volk, in dessen Namen die Revolutionäre einst begonnen hatten, scheint ihnen ziemlich gleichgültig geworden zu sein. Während das Volk dringend nach Brot verlangt, bekommt es stattdessen Hinrichtungs-Spektakel serviert.

Die – auch heute noch – hehren Ziele, die sich in der Losung „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ manifestiert haben, wurden von den Revolutionären zwar heftig, ausführlich, grundsätzlich diskutiert, aber praktisch immer mehr missachtet.

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Felix Rech (Camille Desmoulins), Maximilian Pulst (Philippeau), Ole Lagerpusch (spielender Souffleur), Jan Bülow (St. Just), Michael Maertens (Robespierre)

Aufstand aus der Soufflage-Box

Das Volk vertritt in dem Fall ein Einzelner, ein Regie- und Dramaturgie-Trick, der Anleihe nimmt, dass Büchner als einen aus dem Volk auch einen Souffleur nennt: Aus einem diesfalls relativ groß und glänzend gestalteten Souffleur-Kasten windet sich immer wieder ein – ebenfalls als (Weiß-)Clown geschminkter Schauspieler (Ole Lagerpusch) und konfrontiert die (anderen) handelnden Figuren mit den Nöten jener, in deren Namen die anderen ihre Kämpfe austragen. Gegen Ende lässt er sich aus der Soufflage-Box Teile eines Fahrrades reichen, die nie zu einem ganzen fahrbaren Untersatz werden und damit die Revolution auch nicht weiterbringen.

Szenenfoto aus
Felix Rech (Camille Desmoulins), Johannes Zirner (Lacroix), Maximilian Pulst (Philippeau), Nicholas Ofczarek (Georg Danton)

Politik und Theater

Alles spielt sich auf der großen Bühne, die eine kalte Atmosphäre aus einem Mix an Arena, Sporthalle und Manege ausstrahlt (Bühne und Video: Nadja Sofie Eller). Einige wenige Klappsessel an der halbrunden hölzern wirkenden Wand im Hintergrund, vorne spielen sich die Debatten, Dialoge, Konfrontationen ab – verbale Schlagabtäusche, durch die clowneske Schminke und Kostüme (Greta Goiris) – verfremdet aber durch das Spiel aller Schauspieler:innen nie auch nur ansatzweise ins Lächerliche gezogen. Wenngleich auch die Parallelen zwischen Politik und Theater, öffentlicher Darstellung wie auf einer Bühne, Masken hinter denen die wahren Gesichter verborgen werden usw. spielerisch und verbal thematisiert werden.

Szenenfoto aus
Nicholas Ofczarek als Danton

Welche Freiheit, was ist Gleichheit – das fechten die Kontrahenten Danton und Robespierre mit ihren Adjutanten Camille Desmoulins (Felix Rech), Jean-François Lacroix (Johannes Zirner), Pierre Philippeau (Maximilian Pulst) einer und Louis-Antoine-Léon de St. Just de Richebourg (Jan Bülow) andererseits aus – selten übrigens direkt, meist in Abwesenheit des/der anderen. Da das Ende feststeht, ergibt sich die Dynamik – wenngleich es insbesondere zu Beginn der zweiten Stunde (ohne Pause) Längen gibt – aus den Grundsatzdiskussionen. Und gegen Ende krass symbolisch als sich die Bühne zu drehen beginnt und die Dantonisten beim Voranschreiten gegen die Drehrichtung somit praktisch nicht vom Fleck kommen.

Szenenfoto aus
Annamária Láng (Julie), Felix Rech (Camille Desmoulins), Andrea Wenzl (Marion), Marie-Luise Stockinger (Lucile), Nicholas Ofczarek (Danton)

Frauen bleiben an den Rand gedrängt

Georg Büchner hat für sein Stück, das zu seinen Lebzeiten (er wurde nur 23 ½ Jahre alt) nur zensuriert veröffentlicht wurde, viel Originalmaterial übersetzt verwendet – was die männlichen Haupt-Protagonisten betrifft. Die Frauenfiguren kamen bei ihm nur am Rande vor, teils auch historisch verfälscht; so folgte Julie nicht ihrem Mann Georg Danton freiwillig in den Tod, sondern überlebte ihn um Jahrzehnte. In der Burgtheater-Inszenierung haben Julie Danton (Annamária Láng), Lucile Desmoulins (Marie-Luise Stockinger) und Marion (Andrea Wenzl) zwar teils starke, aber doch nur wenige, kurze Auftritte. „Brüderlichkeit“ bleibt eine solche, wird nicht zu Geschwisterlichkeit ausgeweitet. Obwohl es da sogar historische Anknüpfungspunkte gegeben hätte, wie die feministische Philosophin und Autorin Eva von Redecker in einem Gespräch mit dem Dramaturgen Sebastian Huber für das Programmheft anmerkt: „Im Sommer 1793, also ein halbes Jahr bevor das Stück spielt, wurde in Paris ein aufsehenerregender Streit darüber geführt, ob und wie die Revolution auf die Frauen ausgeweitet werden soll. Das ist die Geschichte des republikanischen Frauenvereins unter der Schauspielerin und Frauenrechtlerin Claire Lacombe…“

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Szenenfoto aus
Ole Lagerpusch (spielender Souffleur), Ensemble