„Das ist wie wenn du als Kind auf den Spielplatz gehst, aber nur zuschauen und nicht (mit-)spielen darfst!“ So brachte Ahmad, einer von fünf Jugendlichen es auf den Punkt, dass rund vier von zehn 16- bis 24-Jährigen bei der kommenden Wien-Wahl (27. April 2025) nicht mitbestimmen darf.
Witold, polnischer Staatsbürger, darf als Bürger der Europäischen Union zwar die Bezirksvertretung mitwählen ebenso wie im Vorjahr die österreichischen Abgeordneten zum EU-Parlament, „aber über Gemeinderat und damit auch den Wiener Bürgermeister darf ich nicht mitbestimmen!“
Yurdanur musste darüber hinaus schon früher ihren ersten Berufswunsch kübeln.
Fünf Jugendliche – die schon genannten und dazu noch Yurdanur, Daniel und Monsef (Einzelinterviews mit diesen drei in eigenen, unten verlinkten, Beiträgen) sowie die Geschäftsführerin des Vereins Wiener Jugendzentren (JuZ), Manuela Smertnik und der Politikwissenschafter mit Expertise für Staatsbürgerschafts- und Wahlrecht, Gerd Valchars, luden eineinhalb Monate vor der Wien-Wahl zu einem Mediengespräch in den Jugendtreff J.at am Volkertmarkt in der Leopoldstadt (2. Bezirk).
Der Politologe präsentierte einige bemerkens- und bedenkenswerte Fakten: Während die Wiener Bevölkerung im Wahlalter (ab 16 Jahren) in den vergangenen fünf Jahren um fast 100.000 Menschen (97.503) gewachsen ist, ist der Anteil der Wahlberechtigten um 23.074 Menschen gesunken. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Prozentsatz der – wegen ihrer Staatsbürgerschaft – nicht wahlberechtigten Wiener:innen gar verdoppelt (von 17,5 auf 35,4 %). „Und das sind heuer 600.000 Menschen – so viel wie Graz, Linz und Klagenfurt oder das Bundesland Salzburg insgesamt an Einwohner:innen hat“, stellte der Wissenschafter fest.
Außerdem komme es zu einer zunehmenden Verzerrung zwischen Bevölkerung und Wahlberechtigten. So stellen die 16- bis 44-Jährigen zwar die Hälfte der Einwohner:innen Wiens, aber nur 43 Prozent der Wahlberechtigten, hingegen die Ü-60 ein Drittel der Wahlberechtigten, aber nur knapp mehr als ein Viertel (27%) der Bewohner:innen. Lücken tun sich auch in Sachen Einkommen und anderer Parameter zwischen Bevölkerung und Wähler:innen auf.
Obendrein habe Österreich einer Studie zufolge eines der einschränkendsten Staatsbürgerschaftsrechte, „nur die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudiarabien haben einen noch restriktiveren Zugang“. In der Europäischen Union liegt die durchschnittliche Einbürgerungsrate bei 2,6 Prozent, in Deutschland bei 1,5 % und in Österreich bei 0,7%. Hohe Einkommenshürden – netto müssen rund 1.100 Euro übrigbleiben nach Abzug von Wohn- und anderen Fixkosten – sowie hohe Gebühren erschweren den Zugang, um rechtlich Österreicherin oder Österreicher zu werden.
Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der Anteil jener, die nicht wählen dürfen, noch höher, so die Wiener JuZ-Chefin. „Bei der Nationalratswahl im Herbst waren es rund 41 Prozent. „In den mehr als drei Dutzend Einrichtungen erleben wir, dass sich viele Jugendliche in ihrem Umfeld engagieren, ob für Umwelt oder soziale Anliegen. Die meisten wachsen den Großteil ihres Lebens hier auf, viele sind schon in Österreich geboren und wollen auch politisch teilhaben.“ Dass sie vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, sei (nicht nur ) für sie frustrierend, ungerecht und damit auch letztlich desintegrierend. Smertnik zitierte einen Jugendlichen, der es so treffend formulierte: „Wir werden künstlich fremdgemacht“. Die Wiener Jugendzentren verstehen sich als „Stimmenverstärker“ auch dieses jugendlichen Wunsches nach Mitbestimmung.
Die Wiener Jugenzentren präsentierten bei diesem Mediengespräch auch ihre neu Plakatkampagne gegen dieses Demokratie-Defizit. Auf einem sind drei gleich Fußbälle, auf zwei anderen jeweils drei gleiche Kopfhörer sowie Spraydosen zu sehen. Jeweils eines der Objekte ist eingeringelt. Darüber steht die Frage: „Siehst du einen Unterschied?“ und am unteren Rand des Plakats die Frage Warum nicht GLEICH? Mit einem Kästchen und einem Kreuzerl wie er von Stimmzetteln bekannt ist.
Vor fünf Jahren war jeder dritte Buchstabe aus einem Plakat entfernt worden, um rund ein Drittel Nicht-Wahlberechtigter optisch einfach hinzuweisen.
warum-duerfen-wir-nicht-waehlen <- damals noch im Kinder-KURIER
gewaehlte-sprecherinnen-wollen-auch-ausserhalb-der-schule-waehlen-duerfen <- auch damals im KiKu
Monsef wählt für das Foto jenes Plakat mit den drei gleichen Fußbällen, von denen einer eingeringelt ist als Symbol für ein Drittel der Wiener Bevölkerung, die vom Wahlrecht ausgeschlossen ist. „Ich liebe Fußball“, beginnt der 20-jährige zu erzählen. „Ich hab bei Hellas Kagran gespielt und dann zu Rapid gewechselt.“ Der beidbeinige Flügelspieler und Stürmer hat drei Jahren HTL in der Ettenreichgasse absolviert und wechselte danach als Elektro-Lehrling zu Wien-Energie. „Dort bin ich jetzt im zweiten Lehrjahr, meine Kolleginnen und Kollegen haben mich zum Jugendvertrauensrat gewählt, auch in der Berufsschule wurde ich Schulsprecher und bin Stellvertreter in der Bundesschülervertretung.“
Schon in Syrien – die Familie flüchtet aus dem total zerstörten Homs zuerst in die Türkei und später nach Österreich, wo Monsef nun seit acht Jahren lebt – war er Klassensprecher, „weil ich mutig bin, offen sage, wenn ich etwas unfair finde und mich gern für andere einsetze“. Das hat er offensichtlich beibehalten, woraus sich die einigermaßen absurde Situation ergibt, dass er von Mitschüler:innen und Kolleg:innen zu ihrem Vertreter bzw. Sprecher gewählt wird, aber selber weder in der Stadt noch in dem Land, in der bzw. dem er lebt, arbeitet und damit auch Steuern zahlt, wählen darf.
Übrigens ist der nicht nur beidbeinig, spielt – nun bei Wien Energie – sowohl am linken als auch am rechten Flügel, sondern auch vielsprachig: Neben Deutsch noch Arabisch, Türkisch, Französisch und von Freunden lern ich noch Russisch und Bosnisch.
Übrigens kamen in dem Beitrag zur Wien-Wahl vor fünf Jahren auch zwei Jugendliche zu Wort, die damals von Mitschüler:innen gewählt wurden, aber selber nicht in der Stadt wahlberechtigt waren – Link zu diesem Artikel damals noch im Kinder-KURIER unten am Ende des Beitrages.
gewaehlte-sprecherinnen-wollen-auch-ausserhalb-der-schule-waehlen-duerfen <- auch damals im KiKu
„In der Volksschule so mit sieben oder acht Jahren haben wir unsere Berufswünsche gezeichnet. Ich habe eine Polizistin mit Polizeihund gemalt. Die Lehrerin hat daraufhin gesagt: Lass es, du hast nicht die österreichische Staatsbürgerschaft“, beginnt die 17-jährige vielsprachige Yurdanur das Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…
Die Absolventin der Mittelschule Greisenecker Gasse in der Brigittenau (20. Bezirk) unterrichtet derzeit als Assistentin bei der „Hobby Lobby“ Kinder beim Tanzen bzw. Töpfern. „Und ich suche eine Lehrstelle, am liebsten als Zahnarztassistentin oder als Augen-Optikerin.“ Aber oft wird – obwohl das unzulässig ist – auch da die österreichische Staatsbürgerschaft verlangt.
Gäbe es nicht so viele Hürden für die Staatsbürgerschaft, würde sie diese gern haben und dann sowohl wählen dürfen als es auch bei der Lehrstellensuche leichter haben, hofft Yurdanur. Die Jugendliche könnte übrigens neben Deutsch noch Türkisch und Bulgarisch als Kompetenz im Umgang mit Klient:innen / Kund:innen einbringen.
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