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Szenenfoto aus (AT)Front, Theaterclub 3 des Burgtheaters

So fern und doch so nah – und das Tag für Tag, Nacht für Nacht

Zeitungen bilden sozusagen den verbindenden Bogen. Stehen zu Beginn einige der Darsteller:innen mit aktuellen gedruckten Blättern im Bühnenraum, aber auch schon zwischen Eingang und Publikumsreihen in Händen da, so verteilen sie am Ende eine eigene Zeitung an alle Besucher:innen der Performance „(AT) Front“. Es war dies die Präsentation der Arbeit des Theaterclubs 3 im Burgtheater bei dem kürzlich im Vestibül stattgefundenen Festival.

Die Zeitungen zu Beginn stehen stellvertretend für internationale Nachrichten, die am Ende veröffentlicht einige der Interviews, die die Teilnehmer:innen im Rahmen der Recherche für die Performance geführt haben. So wie die Aufführung in deutscher und englischer Sprache, bei der Performance mit einigen Passagen in weiteren Sprachen.

Szenenfoto aus (AT)Front, Theaterclub 3 des Burgtheaters
Szenenfoto aus (AT)Front, Theaterclub 3 des Burgtheaters

Kilometer und Daten

Gekennzeichnet war diese – und ist die Zeitung – von Entfernungsangaben in Kilometern und deren Bruchteilen. Von weit entfernten bis ganz in der Nähe. Und von Daten – vom 1. September 1939 bis nicht zuletzt 24. Februar 2022 – Beginn des 2. Weltkrieges mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen bis zum Einmarsch russischer Truppen im Nachbarland Ukraine.

Konkrete Erlebnisse, Bedrohungen, Gefühle direkt Betroffener oder „nur“ solcher von Angehörigen oder Freund:innen, wurden in berührenden Szenen gespielt, dargestellt und angesprochen. Sorgen um die Menschen in Kriegsgebieten wo auch immer auf der Welt und schlechtes Gewissen so mancher, die flüchten konnten und nun in (vermeintlicher) Sicherheit leben, aber vielleicht lieber zu Hause helfen würden. Geschilderte Erlebnisse von heute sowie Erinnerungen an frühere Kriegszeiten – nicht nur woanders, sondern auch hier – daher auch ganz kurze Distanz-Angaben.

Szenenfoto aus (AT)Front, Theaterclub 3 des Burgtheaters
Szenenfoto aus (AT)Front, Theaterclub 3 des Burgtheaters

Ein Satz, der mitten ins Herz geht

Leider völlig wahre Sätze wie, dass es keinen einzigen Tag auf der Welt gab / gibt, ohne dass nicht irgendwo auf der Welt Krieg(e) stattfinden bis zur fast unaushaltbaren Aussagen, dass selbst für jene, die hier in Österreich Zuflucht gefunden haben, der jeweilige Krieg ständig anwesend ist / mitschwingt in Gedanken und Gefühlen an jene, die am Ort des Geschehens leben (müssen).

Szenenfoto aus (AT)Front, Theaterclub 3 des Burgtheaters
Szenenfoto aus (AT)Front, Theaterclub 3 des Burgtheaters

Fast absurd

Und dann mit Verteilung der eigenen Zeitungen noch jene fast absurd wirkende Zusatz-Info: Diese Zeitung zu drucken wäre in Österreich teurer gewesen, als sie in der Ukraine produzieren zu lassen – allerdings wurde wenige Tage danach diese Druckerei bombardiert.

Schüler:innen mit Protest-Tafeln

Jugendliche protestieren gegen drohende Abschiebung ihres Klassensprechers

Montagmittag, Herbstferien. Gut zwei Dutzend Schüler:innen und einige Lehrer:innen trudeln auf dem Wiener Minoritenplatz ein. Ihr Ziel ist in diesem Fall nicht das Bildungs- sondern das Innenministerium am anderen Ende des Platzes gleich beim U-Bahn-Aufgang.

Sie haben eigenhändig geschriebene Kartontafeln mitgebracht, die sie nun auspacken. „Kranke Kinder abschieben?? Bitte nicht!“ oder „Jaba braucht Hilfe!“, „Gute Menschen für Österreich: Jaba“. Der Name des 16-Jährigen, der in den vergangenen Tagen schon durch etliche (soziale) Medien gegangen ist, steht auf der zuletzt genannten Kartontafel in rot-weiß-roten Streifen. „Eine Abschiebung würde ihm alles nehmen“, heißt es auf einer weiteren Tafel.

Zur Krebsbehandlung gekommen

Der Bursche ist Klassensprecher in der Abschlussklasse der Mittelschule Redtenbachergasse (Wien-Hernals). Vor fünf Jahren kam er mit seiner georgischen Familie nach Österreich. Er litt an Blutkrebs (Leukämie), die Familie ließ ihn zuerst in der Türkei behandeln, wofür sie rund 28.000 Euro bezahlen musste, nachdem sie ihr Hab und Gut in Tiflis verkauft hatten. In Istanbul wurde der Familie geraten, für die bestmögliche Behandlung nach Österreich zu reisen, das St. Anna Kinderspital wäre die optimale Stelle.

Paradefall einer integrierten Familie

Das tat die Familie. Jaba wurde erfolgreich behandelt, die Intensivtherapie ist abgeschlossen, Erhaltungstherapie bzw. regelmäßige Kontrollen sind aber jedenfalls erforderlich. In der Zwischenzeit konnte er längst die Schule besuchen, wenngleich er aufgrund häufiger Krankenhaus-Aufenthalte ein Schuljahr im Verzug ist. Seine Mitschüler:innen bestätigten vor Mikrophon aber auch in Einzelgesprächen, wie gut er die Sprache beherrscht. Und nicht nur das, sie wählten ihn zum Klassensprecher, „weil er sehr respektvoll, hilfsbereit und vertrauenswürdig ist“´, wie Sena und Mansaroob Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erklären. „Außerdem ist der voll integriert, hat in der Schule auch ein Schachturnier gewonnen.“

Zur Kundgebung waren nicht nur Klassenkolleg:innen, sondern auch Schüler:innen anderer Klassen gekommen. Die wussten gar nicht alle von seiner Krankheit. „Darüber hat er nicht viel geredet, er ist ein ruhiger, sehr netter Kerl“, sagt Danijela. Ali, Ahmed und Francesco „kennen ihn nur über seinen Bruder Saba mit dem wir in die Schule gegangen sind. Die ganze Familie ist sehr nett, freundlich, gut integriert.“

„Ich finde das einfach nicht in Ordnung, dass Jaba abgeschoben werden soll. Wo bleiben die Kinderrechte!“, schüttelt Zainab verständnislos und ärgerlich den Kopf angesichts der drohenden Abschiebung.

Falschinformationen im Ablehnungsbescheid

Wobei – wie Katharina Glawischnig von asylkoordination österreich aus den amtlichen Schreiben zitiert – dort – trotz Hinweisen auf Deutschkenntnisse behauptet wird, „Integration in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar“.

Was nicht nur den Erfahrungsberichten der Mitschüler:innen sowie der Lehrer:innen, die nur anonym Auskunft geben dürfen, widerspricht, sondern auch allen Fakten: Von Schulerfolgen – seine Schwester Nini steht wenige Monate vor der Matura, der Vater arbeitet in einem unbefristeten Dienstverhältnis, die Mutter hat eine Job-Zusage…

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Kindeswohl nicht einmal nachgefragt

Und die Entscheidung sei auch insofern rechtswidrig, weil die Kinder/Jugendlichen gar nicht angehört worden sind. Und dies sei immerhin aus den Schlussfolgerungen der Kindeswohlkommission Pflicht. Darauf wies Irmgard Griss in ihrer Rede hin. Die ehemalige Höchstrichterin war nach dem aufsehenerregenden Fall der Abschiebung von Tina (ebenfalls nach Georgien, die nun wieder, weil die Entscheidung als rechtswidrig aufgehoben worden ist, in Österreich die Schule besucht) zur Leiterin der vorübergehenden Kindeswohlkommission bestellt worden. Erkenntnisse der Expert:innen: Kindeswohl ist jedenfalls vorrangig zu berücksichtigen, Kinder sind eigenständig zu beurteilen und sie müssen angehört werden.

Das wäre als würden Schüler:innen bei Tests oder Schularbeiten vieles falsch und fehlerhaft erledigen, brachte es Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez vom Netzwerk Kinderrechte auf den Punkt.

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Anders als andere Jungs

Jouly, stellvertretende Klassensprecherin, die ebenfalls bei der Kundgebung sprach, gestand, dass ihr fast die Tränen gekommen seien, als sie vom Schicksal ihres Kollegen Jaba erfahren habe. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erzählte sie auf Nachfrage noch ausführlicher über den Klassensprecher: „Er war gar nicht wie viele andere Jungs. Jaba streitet nie, er ist immer nett und erst dadurch, dass er Klassensprecher und ich -stellvertreterin bin, haben wir jetzt in der Klasse ein viel besseres Verhältnis zwischen Mädchen und Jungs.“

„Zum wiederholten Mal beweist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), dass Kinderrechte in ihrer Beurteilung keine Rolle spielen“, zeigt sich Christian Oxonitsch, SPÖ-Nationalratsabgeordneter und Vorsitzender der Wiener Kinderfreunde in einer Aussendung am Sonntag verärgert.

Fast wie ein Hohn wirkt diese Aufschrift auf einer Sitzbank:
Fast wie ein Hohn wirkt diese Aufschrift auf einer Sitzbank: „Unsere REchte – unsere Zukunft“

Fast zynisch

Hinter den Kundgebungsteilnehmer:innen steht eine himmelblaue Sitzgelegenheit mit einem großen Aufkleber des ums Eck beheimateten Außen- und Europaministeriums: in bunten Streifen steht in großer weißer Schrift: „Our rights our future“ (Unsere Rechte unsere Zukunft)!

Leider keine Einzelfälle

Am Rande der Kundgebung erfuhr Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…, dass auch an einer anderen Schule, dem Gymnasium in der Anton-Krieger-Gasse (Wien-Liesing) die langjährige Schülerin Maroa Alzobai von der Abschiebung bedroht ist.

Dagegen läuft – ebenso wie gegen die drohende Abschiebung von Jaba und seiner Familie – eine Online-Petition – Links am Ende des Beitrages.

Familie Alzobai lebt seit acht Jahren in Österreich, Maroa ist seit 2016 Schülerin der Anton-Krieger-Gasse, besucht jetzt die 7. Klasse. In der Petition wird sie so beschrieben: „Maroa war schon immer eine engagierte und fleißige Schülerin. Sie ist zielstrebig und hat große Ambitionen, und weiß ganz genau, was sie im Leben erreichen möchte. Es wäre definitiv nicht in Ordnung, sie nach 8 Jahren abzuschieben. Der Irak ist nach wie vor von Unsicherheit geprägt, und die wirtschaftliche Lage ist instabil. Für Maroa gibt es dort einfach keine realistische Zukunftsperspektive. Nach all den Jahren, die sie in Österreich verbracht hat, wird sie es schwer haben, sich in einem unsicheren Umfeld zurechtzufinden, insbesondere in einem Land, das ihr nicht mehr vertraut ist. Generell ist zu sagen, dass die Familie Alzobai sehr bemüht ist, arbeitet und ihren Pflichten treu nachgeht.

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