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Szenenfoto aus "Die.Stunde.Shining" von "das.bernhard.ensemble" im Off-Theater, Wien-Neubau

Sehr schräge, unterhaltsame, mitunter gruselige Theater-Tour

Eine Hetz mit Gruselmomenten und vielen mehr als schrägen Begegnungen ist die jüngste „Vermanschung“ von „das.bernhard.ensemble“ im eigenen Off-Theater in Wien-Neubau. Inspiriert vom Hotel, das nebenan seinen Eingang und über dem Theater etliche Zimmerfluchten hat, wirst du glich beim Eingang von Kassenpersonal in Hotel-Livree mit Fez auf dem Kopf empfangen. Schon dieses Detail nicht zufällig; es erschließt sich im Laufe des rund zweistündigen, sehr abwechslungsreichen und kurzweiligen Abends. Hier hat Ernst Kurt Weigl, Prinzipal des Ensembles und des Theaterhauses in das Mash-Up viel Historisches zum Haus selbst und seiner Umgebung bzw. dem Untergrund reingepackt; in dem Fall Stichwort Türkenbelagerung unter Kara Mustafa mit Hauptquartier am nahegelegenen Spittelberg und Ausssichts„warte“ am Turm der Ulrichskirche.

Auf Friedhöfen gebaut

„Die.Stunde.Shining“ verknüpft einerseits den Horror-Kinoklassiker „The Shining“ (1980) von Stanley Kubrick nach dem gleichnamigen Roman von Stephen King, der die Verfilmung gar nicht schätzte und fast 20 Jahre später das Drehbuch für einen mehrteiligen TV-Film schrieb, und andererseits Peter Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“. Dabei bediente sich das Mash-Up weniger an Handkes Stück selbst, sondern viel mehr an dem unsichtbaren Eindruck des Autors, der stundenlang Menschen beobachtete, die über den Platz in der Nähe Triests gingen, sich dort aufhielten, das eine oder andere verrichteten, ihnen passierte usw. Davon manifestierten sich in Handke bleibende Bilder, die so nur von dem von außen Beobachtenden gesehen, erahnt, gespürt werden konnten. Aber sozusagen etwas Bleibendes auch am Ort unsichtbar Spürbares hinterließen.

Und genau dasselbe passiert sozusagen im besagten Horrorfilm, den zu kennen das Stück-Erlebnis noch einmal stärker machen könnte. Ich muss zugeben, ich kannte/kenne ihn nicht, habe mich auch unzureichend vorbereitet und den Wikipedia-Eintrag dazu erst nachträglich gelesen. Aber auch in das – im Winter jeweils geschlossene Hotel „Overlook“ haben sich vormalige Ereignisse und Geschichten sozusagen eingeschrieben.
Übrigens sind sowohl das besagte Hotel als auch das Off-Theater in der Kirchengasse auf ehemaligen Friedhöfen gebaut!

Handke als überforderter Hausverwalter

„The Shining“ ist die Grundkonstellation entnommen. Der Hotelmanager sucht für die Schließzeit jemanden, der es mehrere Monate verwalten will/kann. Hier nicht wegen der Jahreszeit, sondern den Folgend der vielen Lockdowns. Es meldet sich ein Schriftsteller, um im leeren Hotel in Ruhe arbeiten zu können – im Film Jack, hier Peter, unschwer als Handke-Reminiszenz erkennbar – irgendwie unnahbar bis unheimlich, autoritär, gefährlich, von sich mehr als eingenommen Gerald Walsberger. Aus der Film-Wendy wird hier Winifred, irgendwie überdrehte, um ihre Unabhängigkeit kämpfende Schauspielerin – wunderbar, aufs erste gar nicht erkennbare Isabella Jeschke, die nie direkt ins Publikum blicken darf, weil sie die Gestalten – das Publikum – das aus Geistern der Toten aus dem Untergrund besteht, nicht sehen kann.

Der Film-Sohn Danny ist hier die Tochter Dani, die aber ebenso einen unsichtbaren Freund hat, den alle Tony nennen. Der wohnt in ihrem Mund und wenn die derben, vulgären Schimpfkanonaden daraus hervorbrechen, krümmt sie den Zeigefinger der rechten Hand zu einem Haken. Rina Juniku versinkt völlig in dieser wie aus dem Jenseits kommenden Figur – in beiden Seiten ihrer (Danis) Persönlichkeit.

DAS Werk 😉

Soweit das Setting der neuen Hausverwalter:innen. Peter, der nie gestört werden will, wenn er im maximal Zwei-Fings-System auf der Schreibmaschine an seinem monumentalen Werk arbeitet. Das er gegen Ende seiner Ehefrau als DAS Stück für sie antragen will. Und das diese zerfetzt. „Drei Monate für einen Satz!!!!???“

Wobei „ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist ich bin nur zufällig ich“ tatsächlich ein Handke-Satz ist – aus „Kaspar“ (1968) unschwer erkennbar nach Kaspar Hauser.

Nestroy’sche Figur

Teppiche – gedruckt nach dem Muster aus dem genannten Film – legen die Wege für das Publikum, das jederzeit von einem in einen anderen Raum (White und Open.Box des Off-Theaters sowie alle möglichen Nebenräume von Foyers, Garderoben, Badezimmer, Werkstatt) in einen anderen wechseln kann – wo immer wieder auch gleichzeitig Auftritte stattfinden.

Als Hausmeister und erzählender Tour-Guide in Nestroy’scher Manier fungiert der Ausdenker (nicht nur) dieses Mash-Ups und Prinzipal bis Bub für alles im Off-Theater Ernst Kurt Weigel himself. Kajetan Dick schlüpft nicht nur in die Rolle des Hotelmanagers Halorani mit kosovarischen Vorfahren (eine Anspielung auf den echten vormaligen serbischen Hausmeister des Gebäudes), sondern in etliche weitere, ziemlich schräge Figuren – vom Taubenjäger bis zum Thunfisch-Aufstrich-Verzehrer. (Die beiden eben genannten erschließen sich erst nach Lektüre des ausführlichen, sehr interessanten Programmheftes als echt in diesem Theaterhaus einst agierende Personen bzw. Begebenheiten – so erst ergibt der aus einer fast übersehenen, nun geöffneten Tür erschallende Song aus dem Musical „Cats“ Sinn.)

Bluts-Schwestern

Wiederum aus dem Film „entstiegen“ sind die Zwillingsschwestern, die viele jeweils schräge bis blutige Auftritte an unterschiedlichen Stellen der Tour haben – und die meist auf echten Anekdoten in der Geschichte des Off-Theaters, meist abseits der Bühne, basieren. Yvonne Brandstetter und Leonie Wahl (die auch das Stück choreografierte) geben diese beiden mitunter mit heftigem Körpereinsatz agierenden Figuren.

Nicht nur als Taube, sondern vor allem als Akkordeon spielender „unlieber Augustin“ ist Bernhard Jammernegg einer der bereichernden Neuzugänge in einer Produktion von „das.bernhard.ensemble“.

Märchenspiel

Das Off-Theater beherbergt auch die Märchenbühne „Der Apfelbaum“. Stephanie Troehler baute Figuren und Objekte für eine nicht jugendfreie Version von „Die drei kleinen Schweinchen“, ein Märchen, das vor allem durch die Disney-Verfilmung (aus 1933, die einen Oscar für den besten animierten Kurzfilm bekam) bekannt wurde. Albane Troheler spielt in der Werkstatt des Theaters auf engstem Raum die Geschichte: Der Wolf will zwei Schweinchen aus einer strohbedeckten Unterkunft … Sie können entkommen, suchen Unterschlupf in einer Holzhütte, und in der Folge im Steinhaus eines dritten Schweinchens. Dort will der Wolf über den Kamin hinein. Im Original stellen sie einen Topf mit heißem Wasser unter den Kamin, hier eine Tiefkühltruhe – die gegen Ende des Stücks in Großformat eine Rolle spielen wird, wenn Winifred und Dani vor dem ausrastenden Peter mit Hacke flüchten wollen.

Sängerin

Keineswegs unerwähnt bleiben sollen Tamara Stern, die als wandelnde Geisterfrau im Foyer der White.Box auf und ab wandert bevor sie die kleine Eckbühne erklimmt und in unterschiedlichsten Stilen singt, summt, teils fast tonlos aber beeindruckend; begleitet am Kontrabass, den Mathias Krispin Bucher – in manchen Vorstellungen David Dolliner – bespielt (Soundscape für die ganze zweistündige Tour: Bernhard Fleischmann); zeitweise mit Katzenkopf. Christina Berzaczy ist ein, die einzige wirklich auch mitspielende Tour-Guide in Hotel-Uniform (Ausstattung und Kostüme: Pia Stross); und sie hat auch bei Regie und Dramaturgie sowie am Konzept stark mitgewirkt.

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Szenenfoto aus "Erwachsenenbeschiompfung" im TaO! - Theater am Ortweinplatz (Graz)

So, jetzt wisst ihr, was Jugendliche nervt…

„Ihr werdet heute Abend beschimpft werden…“ – so lautet der erste Satz, den die vier Schauspielerinnen dem Publikum entgegenschleudern. Na, das gerade nicht, sondern eher entgegen-sagen. Und nicht dem ganzen Publikum, sondern nur einer Hälfte der Zuschauer:innen – den Erwachsenen bzw. jenen, die vom jungen Theaterquartett zu solchen eingeteilt werden oder die sich als solche sehen/lesen. Und ja – die Leser:innen bei denen nun der Gedanke an das berühmte Theaterstück namens „Publikumsbeschimpfung“ auftaucht, haben Recht. „Erwachsenenbeschimpfung“ im Grazer taO! (Theater am Ortweinplatz) mit vier jungen – aus den Theaterwerkstätten kommenden – Schauspielerinnen (Franka Jauk, Emma Moser, Elena Trantow, Felicia Sobotka) ist davon mehr als inspiriert. Auch die Struktur und Eigenheit des Stücks, das damals für einen Skandal gesorgt hatte, wurde von Regisseur Simon Windisch, der gemeinsam mit dem Ensemble den Text entwickelte, übernommen.

Szenenfoto aus

Meta-Ebene

Übrigens: Obwohl im Titel und im ersten Satz, im Prinzip wurde im Original (1966, damals war der spätere Literaturnobelpreisträger 24 Jahre) und wird im eineinhalb-stündigen aktuellen Stück nicht wirklich beschimpft. Der Skandal ergab sich vielmehr aus der Form, dass nicht eine Geschichte mit Figuren erzählt wird. Neben fundierter, grundsätzlicher Kritik „wenn ihr über die Zukunft sprecht, meint ihr immer die Vergangenheit“ – praktisch ohne Schimpfworte, eher immer wieder einmal mit Irritationen, wird viel über diese nicht-klassische Form des Theaters – und übers Sprechen selber – gesprochen.

Szenenfoto aus

Aneinander vorbei

Und im Fall der „Erwachsenenbeschimpfung“ über die Nicht-Kommunikation zwischen den Generationen, das mangelnde Verständnis der Erwachsenen für Kinder und vor allem Jugendliche – nicht zuhören, aneinander vorbeireden, in vorgegebene, eigene Richtungen zu drängen versuchen…

Szenenfoto aus

Backstage auf einer Bühnenhälfte

Jetzt gibt es aber nicht nur erwachsene Zuschauer:innen – und oben war die Rede, pardon Schreibe von der Publikumshälfte. Was hat es damit auf sich?

Der Theaterraum ist geteilt, getrennt durch einen Gaze-Vorhang, der – je nach Beleuchtung – Durchsicht auf die andere Seite erlaubt bzw. verhindert (Bühne und Ausstattung: Rosa Wallbrecher). Die Jugendlichen sitzen sozusagen Backstage. Über Monitore sehen sie das Bühnengeschehen aus der Sicht der Oldies. Dort ziehen sich aber auch die vier Schauspielerinnen manches Mal um.

Hin und wieder bleibt die eine oder andere des Quartetts länger auf dieser Seite und gibt sozusagen Regie-Anweisungen an die Jugendlichen – wie sie auf die (chorischen) Monologe so reagieren sollten/könnten, wenn das Licht für die Erwachsenen die Durchsicht erlaubt. Von fadisiert bis Daumen hoch – was aber nicht die Performance der Schauspielerinnen kommentiert, sondern sozusagen die Erwachsenen in dem was ihnen gerade eben vorgehalten wurde.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Erwachsenenbeschiompfung“ im TaO! – Theater am Ortweinplatz (Graz)

Denn ja, die (Vor-)vor-Generationen werden nicht nur kritisiert, sondern auch gelobt, etwa dafür, dass sie auf FCKW verzichtet haben, womit das Ozonloch sich wieder schließen konnte, oder dass sie Zwentendorf verhinderten – da wäre vielleicht das Wort Atomkraftwerk nicht schlecht gewesen, weil viele Jugendliche vielleicht mit dem Ortsnamen allein nicht so viel anfangen können. Und neben Bruno Kreisky, Ernst Jandl und Gorbatschow wäre vielleicht doch auch noch ein Dank an die eine oder andere Frau – wenn schon Anleihe bei Peter Handke hätte sich da die ebenfalls österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek angeboten. Oder war’s Absicht, um subtil männlich dominierte Geschichtserzählung zu kritisieren?

Doch ein paar Schauspiel-Szenen

Hin und wieder wird die gesprochene Textfläche durchbrochen – zum einen durch Emma Moser, die ihre Harfe heranschleppt und Songs – etwa „Wind of Change“ spielt oder – mit eigenem Text „Good old Hollywood is dying“ (Musik: Robert Lepenik und Ensemble). Bei Letzterem wechseln die vier die meiste Zeit in grauen Anzügen deklamierenden jungen Schauspielerinnen in weiße Anzüge. Elena Trantow wechselt gegen Ende flott hintereinander Kostüme und Altersdarstellungen – „sweet 16“, 21 sowie „very, very old“.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Erwachsenenbeschiompfung“ im TaO! – Theater am Ortweinplatz (Graz)

Vorurteile zerlegen

Und sie zählen Vorurteile Erwachsener gegenüber Jugendlichen auf und nehmen diese auseinander, am wirkungsvollsten in einer der wenigen wirklich schauspielerischen Szenen, in der sie – vor der jugendlichen Publikumshälfte einen heftigen Streit spielen, den die Erwachsenen auf der anderen Seite des Vorhangs nicht sehen, sondern nur hören. Um dann in einer Art „Ätsch“ auf den Kopf zuzusagen, genau, das glaubt ihr von uns, aber nur gespielt!

Und dieses Aha-Erlebnis könnte auch für die anderen angesprochenen vielfältigen Themen gelten. Vielleicht? Hoffentlich 😉  Zumindest wurde/wird viel und dicht angesprochen, was Jugendliche bewegt und an Eltern, Lehrer:innen und anderen Erwachsenen nervt.

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