Dort wo du vor ein paar Jahren schwimmen oder in seichtem Wasser relaxen konntest, spielt sich nun Theater ab. Alles ganz ohne Wasser. Im Dianabad, der vor fünf Jahren stillgelegten vierten Version desselben, spielt sich Nestervals „Fürst*in Ninetta“ rund drei Stunden lang ab. Rund zwei Dutzend Charaktere haben ihre eigenen Wege und Stationen – manche einzeln, viele zu zweit – und du folgst ihnen. Kannst aber auch dazwischen von einer der Lebenswege zu anderen wechseln, wenngleich strenge Guides das – obwohl zu Beginn verkündet – nicht so gern sehen.
In dem Bad, dessen Schwimmhalle in seiner ersten Version – ab 1810 – im Winter überdeckt und zum Ballsaal umfunktioniert wurde, fand am 15. Februar 1867 die Uraufführung des wohl berühmtesten Walzers statt. Dieser wird in „Fürst*in Ninetta“ auch gespielt – zum Jahreswechsel 1974 /75 in dem das Stück angesiedelt ist (als Hommage an den 50. Geburtstag von Anna Hötzeneder, Schwester von Martin Finnland, einem der Masterminds von Nesterval).
Inspirationsquelle ist die Operette „Fürstin Ninetta“ vom Pop-Star seiner Zeit, dem Walzerkönig und welche superlativen Zuschreibungen den Bekanntesten aus der Strauss-Dynastie auch immer begleiten (Libretto: Hugo Wittmann und Julius Bauer). Zur 200. Wiederkehr des Geburtstages von Johann Strauss Sohn und dem ihm gewidmeten Jahr mit dem Spruch „Wien in Strauss und Braus“ wurden neben klassischen Musikvorstellungen auch ungewöhnliche Performances gesucht – u.a. über den entsprechenden Escape-Room, Trickfilm-Workshops im Zoom Kindermuseum, sowie Zeitreisen in Riesenrad-Waggons hat Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… schon berichtet.
Die Handlung des Nestervals’schen immersiven Theaters – das Publikum sitzt nicht und verfolgt eine Aufführung, sondern verfolgt wie schon eingangs erwähnt, einzelne Protagonist:innen durch ein Gelände) orientiert sich an der besagten Operette. Alles spielt sich in und rund um ein Hotel im süditalienischen Sorrent ab. In die einstige Schwimmhalle – in der vierten Version wurde es zu einem Erlebnis- und Spaßbad mit Nischen, Grotten usw. hat die Gruppe jurtenartige Zelte (Bühnenbild: Andrea Konrad) gestellt, die die „Appartements“ darstellen, in denen einzelne der Protagonist:innen ihre Szenen haben.
Sorrent liegt in der Nähe Neapels und des Vulkans Vesuv – der im Stück auch eine Rolle spielt. Adelheid Möbius (Laura Athanasiadis) und Ferdinand Knapp (Fabian Tobias Huster) wollen heiraten und tun dies auch. Doch kurz nach der Trauung verraten seine Mutter Anastasia (Anne Wieben) und ihr Vater Hans (Christopher Wurmdobler), dass sie am Vorabend geheiratet haben. Womit das junge Brautpaar sozusagen zu Stiefgeschwistern geworden ist!
Dies ist aber nur eine der sich durchziehenden, verwickelten Handlungsstränge. Im Zentrum steht die titelgebende Fürstin. Ninetta (Mio Wendelin Riedl) taucht im Hotel – in das die Nestervals das einstige Bad verwandelt haben, das seit fünf Jahren nicht mehr in Betrieb ist, – zunächst als Mann namens Carlino auf und wird von vielen angehimmelt. Genauso wie später auch als Frau. Genau das dürfte die Nestervals, die viele ihrer Performances um Queerness, Genderfluidität usw. kreisen lassen, besonders interessiert haben, weshalb sie dem Adelstitel ein Genderstrenchen eingefügt haben.
„Bei Johann Strauss dient das Spiel mit den Identitäten vor allem der klassischen Verwechslungskomödie: Eine Frau, die sich als Mann verkleidet, sorgt für turbulente Verwirrung, romantische Missverständnisse und dramatische Enthüllungen. Doch während solche Rollen damals oft mit einem Augenzwinkern betrachtet wurden, liest Nesterval diese Thematik mit zeitgenössischem Blick – als tiefgehende Auseinandersetzung mit Geschlechtsidentität und gesellschaftlichen Erwartungen“, heißt es dazu auf der Homepage der Gruppe.
„Wer oder was ist Ninetta? Ist sie eine Frau, die sich als Mann ausgibt, um sich in einer männlich dominierten Welt zu behaupten? Ist Carolino eine eigene Identität, die sich nicht als bloße Verkleidung, sondern als gelebter Ausdruck einer anderen Geschlechtswahrnehmung verstehen lässt? Ist Ninetta trans, nonbinär oder einfach eine Person, die sich in keine der vorgegebenen Kategorien pressen lassen will? Nesterval lässt diese Fragen bewusst offen und stellt sie ins Zentrum der Erzählung. Es geht nicht darum, eine endgültige Antwort zu finden, sondern darum, das Recht auf Unentschiedenheit, auf Entwicklung und auf das individuelle Finden der eigenen Identität zu thematisieren“, findet sich in der Folge als Hintergrundinformation.
Wie die Gäste des Hotels – nicht die mitwandernden Besucher:innen, sondern die Charaktere und Figuren – unterschiedlich auf diese Figur, aber auch viele anderen der Szenen reagieren, ist Teil des Spiels, das beim Publikum, das selber auch immer in Bewegung ist (die doch langen drei Stunden ermüden allerdings mindestens einen Teil des Publikums), ebenfalls verschiedene Reaktionen auslöst.
Heftig ist die Szene rund um „Mitternacht“. Einem der Hotelgäste, Kassim Pascha (Chris Pfannebecker), wird das Verschwinden Ninettas angelastet. Er wurde als „Ausländer“ – obwohl ja wohl in dem Urlaubs-Hotel fast alle anderen auch nicht aus Italien kommen – schon zuvor für alles und jedes beschuldigt. Als er beim choreografierten Walzertanz der anderen zusammenbricht, lassen sich die Tänzer:innen nicht aufhalten, drehen weiter ihre Runden, steigen über ihn drüber… Fast nicht auszuhalten. Da würdest du am liebsten fast selber eingreifen, wenn du nicht wüsstest, dass dies Teil der Inszenierung ist.
Die der Gruppe wichtigen performten Gedanken zu Identitätsfragen kumulieren nicht nur in der Figur von Ninetta / Carolino. Hoteldirektor Josef Nesterval (Alkis Vlassakakis) spricht die ganze Zeit ausschließlich Griechisch – auch mit Besucher:innen. Wenn du doch von der einen zu einer anderen Gruppe wechselst, fällt dir auch auf, dass eine der Gruppen in Österreichischer Gebärdensprache durch das Geschehen geführt wird. Und den Infos ist zu entnehmen, dass Pam Eden, die Klärchen Wasén spielt, all ihren Kolleg:innen im Ensemble während der Proben so manche Gebärde beigebracht hat.
Neben Deutsch, Griechisch und Gebärdensprache spielt natürlich Musik eine große Rolle: Außer Donauwalzer, Pizzicatto-Polka usw. damit Johann Strauss Sohn sorgen Julian Muldoon (Gesang: Sarah Muldoon und Clara Pazzini) und viele bekannte alte Italo-Hits (u.a. Felicità – Al Bano und Romina Power; La bambola – Patty Pravo, Ti amo – Umberto Tozzi) für beschwingte Atmosphäre.
Die Krebserkrankung von Katharina Wagner (Astôn Matters) lässt ihren Mann, den Wissenschafter Dr. Anton Wagner (Martin Walkner) schier verzweifeln. Wissenschaft kann sie anscheinend nicht retten. Für die Schriftstellerin Marthe Schwerdtlein (Romy Hrubeš) hat sich die Gruppe gar fiktive Romanseiten einfallen lassen. Sie selbst kann sich von ihrem vor gut einem Jahrzehnt verstorbenen Ehemann nicht lösen, lenkt sich mit Weltreisen mit ihrer Begleiterin Cecely Bailey (Alexandra Thompson) ab, aber nur notdürftig. Selbst die esoterisch angehauchten Gesundungsrituale bei Linda Stölmayer (Eva Deutsch) – und nicht wie irrtümlich ursprünglich hier stand Siebel (Julia Fuchs – in einer Wellness-Oase des einstigen Bades helfen da nicht wirklich. Nesterval-Master-Co-Mind Martin Finnland himself tritt in mehreren Rollen auf – vom Bademeister bis zur wohl berühmtesten Disney-Figur Micky.
Übrigens: Die Hotel-Rezeption ist zu Beginn nicht besetzt, dahinter allerdings findet sich die Garderobe, wo du u.a. auch dein Handy abgeben musst – wohl eine der wenigen Theaterperformances wo es nicht dazwischen klingeln, vibrieren usw. kann 😉 Und dann steigst du in ein „Flugzeug“ mit Sicherheits-Video“ (Lorenz Tröbinger; Darstellerin: Laura Hermann), bevor du in der Hotel-Lobby von Herrn Brandner (Peter Kraus) empfangen wirst.
Am Ende bei Übergabe deiner Garderobe kriegst du einen Brief – die „Rechnung“ mit QR-Code zum digitalen Programmheft mit viiiiielen Hintergrund-Infos, auf die hier zum Teil zurückgegriffen wurde bzw. aus denen zitiert wurde.
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