Schon zwei Jahre bevor 2018 (Februar) die Nachricht von einer rothaarigen Kuh (Rasse Limousin), die in Polen nahe der tschechischen Grenze beim Transport zum Schlachthof abhaute und es damit in viele (inter-)nationale Medien schaffte, gelang einer anderen Kuh ähnliches in Deutschland (2016). Die Geschichte der polnischen Kuh hatte Paloma Schreiber zum teils fiktiven Bilderbuch „Mulya die Kuh“ veranlasst (erschienen im Achse Verlag; Link zur Buchbesprechung im Februar 2021 noch im Kinder-KURIER unten am Ende dieses Beitrages).
Die deutsche Kuh namens Elsa landete nach ihrer Flucht zunächst in einem Wald und später auf dem Gnadenschutzhof Sol Luna, da es dort aber keine Rinder gab, wurde sie von dort in den „Begegnungs- und Gnadenhof Dorf Sentana“ (Bielefeld) gebracht. Und wie viele andere Tieren, die hier ihr letzten Zuhause fanden und finden, wurde sie zum Star eines eigenen Bilderbuches. Mit Ausnahme des Giraffen-Buches – Besprechung unten am Ende verlinkt – leb(t)en die anderen alle wirklich auf dieser tierischen „Senior:innen“- oder Rettungs-Residenz.
Natürlich fiel/fällt den jeweiligen Autor:innen und Illustrator:innen auch so manch Ausgedachtes zur Vorgeschichte ein. „Elsa büxt aus – Eine ziemlich wahre Geschichte“ hatte ja nur die verbürgten Fixpunkte: Ausgerissen vor dem Schlachthof, irgendwo im nahegelegenen Wald Unterschlupf gefunden und schließlich die beiden Gnadenhöfe.
Christiane Wittenburg (Text) und Linda Mieleck (Zeichnungen) ließen sich verschiedenen Begegnungen mit Waldbewohner:innen einfallen, die sie auch personalisierten – Eichhörnchen Mümmel, Fuchs Friederich, Wildschwein Buddel, Hirschkuh Bernadett, Dachsfamilie Berry, Bailey, Beny, Bobby und Betsy, Hase Helmut… Wie diese auf die Fremde, die „Waldkuh“ reagieren und ihr aber dennoch helfen, zu überleben, das schildern die beiden Künstlerinnen in wortreichen Geschichten und dazu passenden Zeichnungen. Und letztlich auch den Weg ins Dorf Sentana – auch Geburtsort des Verlages Calme Mara.
Auf die Frage von Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… nach der Herkunft des Verlagsnamens, lüftete die Mediensprecherin das „Geheimnis“: „CalmeMara ist ein „geheimer“ Ort am Meer, den es tatsächlich gibt. Unser Verleger Ralph Anstoetz hat dort viele schöne (Vor)Lesestunden verbracht und ist dort auf die Idee gekommen, den Verlag zu gründen.“
Und wenn schon das Gnadendorf Tierleben schützt, so legt der Verlag – das steht in jedem der Bücher – Wert auf Tier- und Umweltschutz, stellt die Bücher möglichst regional (in Deutschland) her und vegan. „Vegan? Was ist an Büchern tierisch – außer mögliche Inhalte?“ – „Oft sind in Klebern tierische Produkte, wir achten darauf, dass weder im Leim, noch in den Druckfarben Tierisches drinnen ist“, lautete die Antwort auf die KiJuKU-Frage.
Buchbesprechung über Mulya die Kuh <- damals noch im Kinder-KURIER
Die an sich schon absurde Geschichte „Schlachthof“ von Sławomir Mrożek wird in der Regie von Ira Süssenbach beim Wortwiege-Festival in den Kasematten von Wiener Neustadt noch einmal überdrehter – in eine Art Zirkus-Setting mit clownesken Figuren in Szene gesetzt. Und zur kurzweiligen Demaskierung von herr-schaftlichen Unterdrückungssystemen.
Fast wie eingesperrt – trotz zweier Wände, die nur leere Rahmen, also offen sind – fidelt der junge Geiger (der ) in seinem Zimmer (Bühne: Andreas Lungenschmid). Hier als Weißclown und auf einer singenden Säge – mit vor zu viel Kolophonium staubendem Geigenbogen. Erstmals ist er an diesem Nachmittag nicht allein, eine Flötistin aus der Nachbarschaft leistet ihm Gesellschaft – die hier folgerichtig nicht dieses Instrument spielt, sondern ein blechernes Kazoo bläst – Dolly Partons in der Version von Whitney Houston weltberühmt gewordenes „I will allways love you“.
Sein Liebesgeständnis und ihre Nicht-Reaktion müssen aber ganz heimlich erfolgen, denn hinter der Tür lauert und lauscht die Mutter. Einerseits ist sie Ernährerin, Versorgerin des jungen (Möchtegern-)Künstlers, andererseits totale Herrscherin. Außer Geige-spielen soll der Sohn nichts dürfen, nur ein großer Künstler werden, auch wenn die Mutter von seinem Talent gar nicht so viel halten dürfte. Würde er dennoch berühmt, dann eher zur höheren Ehre und zum Ruhm der Mutter.
Schon dieses Eröffnungsbild des ursprünglich als Hörspiel geschriebenen Dramas (1973) von Sławomir Mrożek (1930 – 2013) kann wohl kaum anders als die Parabel auf einen Staatskünstler in einem autoritären System gehört/gelesen/gesehen werden. Wäre aber noch lange nicht Mrożek, da müssen noch weitere ganz absurd erscheinende Wendungen, um einen großen dramaturgischen Bogen zu schaffen einerseits sowie differenziertere, tiefgreifendere Themen andererseits anzusprechen/-spielen.
So wird der Violinist – alle Figuren übrigens namenlos – einerseits doch gleichsam über Nacht zum Virtuosen – im Austausch mit einer Niccolò-Paganini-Staute in seinem Zimmer, die sich wünscht lebendig zu werden. Der Deal: Raus aus der marmornen Starre, dafür wird der Geiger zum Virtuosen – eine Art Seelenverkauf an den Teufel (Paganini wurde/wird oft als Teufelsgeiger bezeichnet). Und noch schräger: Ein Schlachter mit einer blutigen Leber in der Hand taucht auf. Der Geiger, der zuvor – ob zuerst ohne und dann mit viel Talent – leidenschaftlich für die Kunst brennt, beginnt den Sinn derselben zu hinterfragen.
„Geiger: Aber stellen Sie sich vor, dass Sie diese Musik bei sich im Schlachthaus hören. Würden Sie dann keine Zweifel bekommen, sagen wir an der moralischen, ethischen Seite Ihres Berufes, würde Sie das nicht hindern … zu töten?
Schlachter: Wieso? Schlachthof ist Schlachthof. Ob man Geige spielt oder nicht. Musik hat damit nichts zu tun, obwohl sich das ja ganz nett anhört. Musik kann’s geben oder nicht. Schlachten muss sein.
Geiger: Merkwürdig, darüber habe ich nie nachgedacht.“
Und mir nichts dir nichts wirft er seine Kunst, sein ganzes bisheriges Lebensmodell über Bord, wird selber zum Schlachter. Und die Direktorin (im Original ein Direktor), die zuvor so auf den Auftritt des Geigers gedrängt hat, dient sich als Teilhaberin des Schlachthofs an. Der produziere ja Lebensnotweniges.
„Wir werden öffentlich töten, auf der Bühne im hellen Licht der Scheinwerfer. Offen und vorsätzlich. Wir schaffen eine Philharmonie der Instinkte, der ursprünglichen Gefühle und fundamentalsten Erlebnisse“, legt der Autor dem Philharmonie-Direktor – hier natürlich der Direktorin – in den Mund.
Und der Geiger meint: „Ich werde töten. Nur auf diese Weise habe ich an der endgültigen Wahrheit teil. … Ich werde töten, und das wird sein wie gebären.“
„Flötistin: Du kannst nur fremdes Leben oder fremden Tod verursachen, zeugen oder töten. Aber aus dir selbst kannst du weder Leben noch Tod gebären. Du bist ein ewiger Vater, immer nur zur Vaterschaft verurteilt. Du hattest recht: Du bist nur ein Werkzeug, ein Instrument, ein Diener … außer wenn …“
Außerdem lässt Sławomir Mrożek (Deutsch von Christa Vogel) durch die Flötistin einen weiteren sehr klassische Männlichkeitsbilder zum Einsturz bringenden Gedanken äußeren: „Er vergisst dabei, dass wir Frauen gebären und mehr über das Blut wissen als ein Heerführer. Deine Schlachterei imponiert uns nicht, mein Junge, du kannst soviel Innereien ausreißen, wie du willst. Die Frauen werden dich immer nur als erbärmlichen Karrieremacher betrachten. Und selbst wenn du pausenlos tötest – es ist nie dein eigenes Blut, weder dein Leiden noch dein Leben.“
Direktorin: „Töten ist eine Kunst für alle, eine Kunst für die Massen. Töten kann jeder, immer und überall…“ Und sie endet mit des Geigers Todessturz mit einer Art The Show must go on: „Meine Herrschaften, die Vorstellung geht weiter! Und daher: Wer vertritt ihn? Wer ist der nächste? Wer meldet sich freiwillig?“
Überdreh von Sławomir Mrożek ist in all dem Gemetzel jedoch zwischendurch der Satz: „Wir essen nur Blumenkohl.“ – In weiten Teilen Österreichs Karfiol genannt. Was die Wortwiegen-Version auch zum Untertitel machte: „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“.
Ganz kurz zu Beginn Skepsis beim Rezensenten: Braucht ein an sich schon absurdes Theaterstück noch eine Zirkus-Inszenierung, wird da zu wenig auf Stück und Text vertraut? Doch die Inszenierung und vor allem das Spiel des Quartetts lässt den Gedanken bald verschwinden. Die Figuren werden damit nur auch optisch (Kostüme: Elena Kreuzberger; Maske: Henriette Zwölfer) unterstützt. Nico Dorigatti, das mehr als Talent aus der Umgebung von Wiener Neustadt spielt den clownesken Geiger als unaufgeregten, punktgenauen erst Künstler, dann genauso leidenschaftlichen Schlachter. Im Vorjahr spielte er am gleichen Ort in Václav Havels „Audienz“ den in eine Brauerei strafversetzten Schriftsteller Vaněk, dem ein Spionage-Deal angeboten wird. Dabei musste er in fast Strömen von pickigem Bier akrobatisch auf und um einen Tisch agieren. Diesmal – im Schlachthof – besteigt er ein kunstvoll aus Altmetall zusammengeschweißtes Pferd (Christoph Wölflingseder), übergießt sich mit klebrigem Kunstblut, um hernach gekonnt vom hohen Ross zu fallen.
Eine Entdeckung ist der aus dem deutschen Hanau stammende Roberto Romeo, der sowohl die diktatorische Frau Mama als auch die lebendig gewordene Paganini-Statue und obendrein noch den Schlachter in blutiger Schürze gibt. Die Zirkus-, pardon Philharmonie-Direktorin gibt Petra Staduan und in die Rolle der Flötistin schlüpft Saskia Klar – präzise je nach Situation zwischen distanziert und leidenschaftlich. Sie ist heuer die einzige, die auch noch im zweiten Wortwiege-Festival-Stück „Medea – Alles Gegenwart“ spielt; dort die Korinthische Königstochter Kreusa.
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